Erschienen in Ausgabe: No 102 (08/2014) | Letzte Änderung: 06.08.14 |
von Constantin Graf von Hoensbroech
„Caspar, Melchior, Palthasar, steht mir bey in allem meinem
Thun und Lassen, Handel und Wandel, Gehen und Stehen es sey auf dem Wasser,
oder Land, die wollen mich vor Kugel Feuer, Wasser, und alles, was dem Leib und
der Seele schädlich ist, allzeit behüten und bewahren im Leben und im Sterben,
mit ihrer starken und mächtigen Gnad (...).“ So lauten einige Zeilen um das
Jahr 1800 aus dem „Dreykönigzettel oder Gebeth, so zu Cöln am Rhein in der
Domkirche mit goldenen Buchstaben geschrieben und aufbewahret wird“.
Angerührtzettel wurden diese Pilgerzeichen auch genannt, die über die Schädel
der ersten Christuspilger gestrichen wurden und dem Pilger sozusagen als
Nachweis für seine Wallfahrt dienten. Vielfältige Pilgerzeichen sind im Laufe
der Zeit entstanden, seitdem die Gebeine jener Magier aus dem Morgenland, die
dem Stern gefolgt waren, um dem neugeborenen König der Juden zu huldigen (Mt,
2,1-2), nach Köln übertragen wurden.
Das war im Jahr 1164. Am 23. Juli brachte der damalige
Kölner Erzbischof und Kanzler des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation,
Rainald von Dassel, die Reliquien nach einer beschwerlichen Reise von über 40
Tagen als ein Geschenk des Kaisers Friedrich Barbarossa nach der erfolgreichen
Eroberung von Mailand mit. Der Rückkehr des Erzbischofs und seiner Kriegsbeute
stürzte laut zeitgenössischen Quellen die gesamte Einwohnerschaft entgegen und
geleitete ihn und die Gebeine mit Hymnen und Gesängen in den Dom. Doch dieser
karolingische Dom, der laut des heute amtierenden Dompropsts Norbert Feldhoff
sicherlich so etwas wie ein Unesco-Weltkulturerbe im XXL-Format wäre, war dem
machtbewussten Erzbischof zu unbedeutend für ein Reliquiar solcher Qualität.
Also wurde der Abriss des Domes sowie ein Neubau beschlossen - und so steht der
heutige gotische Dom als Schrein für den Schrein mit den Heiligen Drei Königen,
und folglich, so Feldhoff, „wäre Köln nicht das, was es heute ist“. Das weiß auch
der aktuelle Oberbürgermeister Jürgen Roters und nahm daher selbstverständlich
an der Eröffnungsfeier und Ausstellungseröffnung im Binnenchor des Kölner
Wahrzeichens teil.
Von den zurückliegenden 850 Jahren seit der ,Translatio‘
erzählt diese beeindruckende Schau unter dem Titel „Caspar Melchior Balthasar –
850 Jahre Verehrung der Heiligen Drei Könige im Kölner Dom“, die seit dem
Wochenende im Dom sowie in der Schatzkammer gezeigt wird und den Auftakt zu den
verschiedenen Feierlichkeiten dieses herausragenden Datums kölnischer
Stadtgeschichte markiert. Dabei handelt es sich um ein Datum, das weit über die
Region hinaus strahlt. Schließlich ist das Ereignis aus dem zwölften
Jahrhundert auch aus kirchengeschichtlicher sowie kulturgeschichtlicher Sicht bis
heute prägend, was die fulminante Ausstellung auch angemessen abbildet und in
den unterschiedlichsten Aspekten würdigt und befragt. Warum wurde den Gebeinen
der ersten Christus-Pilger nicht schon in Mailand jene Verehrung zuteil, wie
sie seit ihrer Kölner Zeit erfuhren und bis heute erfahren? Wie kamen sie
eigentlich nach Mailand? Wie oft sind die Drei Weisen noch innerhalb der Kölner
Kathedrale umhergewandert (worden) und welche Orte der Verehrung gab es, bis
sie ihren definitiven Platz gefunden haben? Welche Verbindungen gibt es
zwischen dem berühmten goldenen Schrein des Nikolaus von Verdun und der
Goldschmiedekunst des frühen 13. Jahrhunderts? Wie wurden Geschichten, Legenden
und Verehrung der Begründer des Pilgerwesens in Kunstwerken und Literatur wiedergegeben?
Welche Auswirkungen hatte die Aufbewahrung der Gebeine auf den wirtschaftlichen
Aufschwung Kölns sowie auf die Stadt- und Reichspolitik?
Diesen und vielen weiteren Fragen und Aspekten geht die von
Leonie Becks, Matthias Deml und Klaus Hardering unter Beteiligung fast aller
Gewerke der Dombauhütte konzipierten Schau in drei Themenkomplexen nach. So
geht es innerhalb des Doms in der Hubertuskapelle um den Verehrungsort der
Heiligen vom Ende des 17. Jahrhundert bis weit ins 19. Jahrhundert, das barocke
Dreikönigenmausoleum. Außerdem werden in der Kapelle anhand von ausgewählten
Exponaten – auch mittels Kopfhörer – Geschichten über die Verehrung sowie
Darstellungen in der Kunst thematisiert. Der dritte Schwerpunkt liegt in der
Schatzkammer, wo der Dreikönigenschrein als bedeutendste Goldschmiedearbeit des
Mittelalters sowie die Goldschmiedekunst des 13. Jahrhunderts im Mittelpunkt
stehen. Gleichwohl stammt das wohl sensationellste Objekt dieses Bereichs aus
einer ganz anderen Zeit: der Ptolemäer-Kameo aus dem Jahr 278 vor Christus.
Dieser Stein zeigt in seiner Gravur zwar den ägyptischen
König Ptolemaios II. und seine Frau Arsinoe, wurde aber im Mittelalter aufgrund
der Darstellung eines dritten Kopfes auf dem Nackenschild des Helmes als eine
Darstellung der Heiligen Drei Könige interpretiert. Dieses erhabene Relief
bildete bis 1574 den wertvollsten Schmuckstein des Dreikönigenschreins. Dann
gelang es einem unbekannten Täter während der Morgenmesse den Stein und andere
Kostbarkeiten vom Schrein abzubrechen. Später gelangte der Kameo in die
kaiserlichen Sammlungen in Wien. Nun ist er 440 Jahre nach seiner gewaltsamen
Entfernung wieder für die Dauer der Ausstellung in unmittelbarer Nähe seines
angestammten Platzes, der Trapez-Platte, zu sehen. Diese Platte, die die Sicht
auf das sogenannte Häupterbrett mit den gekrönten Reliquienschädeln der
Heiligen Drei Könige verschließt, wurde für die Jubiläumsausstellung eigens
abgenommen. So bekommen die Besucher aus nächster Nähe nun einen Blick auf die
überaus kleinteilig und kunstfertig gestaltete Platte und ihre
Goldschmiedebeschläge. Die stammen übrigens weitestgehend aus dem 18.
Jahrhundert. An dieser Stelle sei die kürzlich erschienene dreibändige Arbeit
der Kunsthistorikerin Dorothee Kemper (Die Goldschmiedearbeiten am
Dreikönigenschrein, Verlag Kölner Dom) erwähnt, die auf 1400 Seiten in einer
kriminalistischen Forschungsarbeit der Frage nachgeht: Was ist am Schrein
eigentlich original?
Wenn im September die Domwallfahrt ansteht, wird es auch
wieder die Möglichkeit geben, das bei mittelalterlichen Pilgerfahrten bekannte
und seit 2006 wiederbelebte Pilgerzeichen zu ,erwerben‘: der Gang unter dem
Schrein. Dahinter steht die Vorstellung, dass der Pilger dabei von den Gebeinen
der Heiligen angerührt wird. Es wird in Köln und – so ist zu hoffen – weit
darüber hinaus mit diesem Jubiläum die verschiedensten Möglichkeiten und
Einladungen geben, sich von den ersten Christus-Pilgern anrühren zu lassen und
auch über das eigene Unterwegs-Sein zu reflektieren. Im Pilgerlied, das
erstmals 1998 erklang und rasch Eingang in das Liedgut der Messen im und um den
Kölner Dom gefunden hat, heißt es dazu treffend: „Gottes Stern, zeige uns stets
den Weg zum Leben. So machten sich die Weisen auf und folgten deinem
Himmelslauf.“
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