Erschienen in Ausgabe: No 102 (08/2014) | Letzte Änderung: 04.09.14 |
von Anna Zanco-Prestel
Mit dem Namen von Lion Feuchtwanger verbindet man auf Anhieb
den Titel eines seiner bekanntesten Werke, nämlich den sich im München der 20er
Jahre abspielenden Roman „Erfolg“. Und ein wahrer Erfolg war die am 16. Juli in
der Israelitischen Kultusgemeinde am Jakobsplatz organisierte Veranstaltung,
bei der eine neue Biographie des Schriftstellers vorgestellt wurde. Beinah ganz
gefüllt zeigte sich der Burda-Saal, während sich noch vor dem Eingang eine
Schlange interessierter Besucher gebildet hatte. Anwesend
Alt-Oberbürgermeister Dr. Hans-Jochen Vogel, der einige Tage davor mit der
höchsten Auszeichnung der IKG, der „Ohel-Jakob-Medaille“ in Gold, geehrte
worden war. Die Präsentation erfolgte in Form eines lockeren Podiumsgesprächs
zwischen dem Autor Dr. Andreas Heusler und der BR-Kulturjournalistin Sabine
Zaplin und der Lesung einiger Stellen durch BR-Sprecherin Gaby Hinterstoisser,
die mit ihrer unverwechselbaren Stimme die erzählerische Qualität des Textes
ganz besonders zur Geltung kommen ließ. Heuslers Feuchtwangers Biografie „Lion
Feuchtwanger -Münchner – Emigrant – Weltbürger“ öffnet ein Fenster über die
Zeit, in die Feuchtwanger 1884 im Lehel hinein geboren wurde. Ein Fenster über
die „Provinzmetropole München“ wie sie vor 130 Jahren war, kurz vor Ludwig II.
Tod (1886)und vor der Errichtung der von ihm gewollten Hauptsynagoge (1887)
hinter dem Karlsplatz, einem Tempel für 1.800 Personen in einer Stadt, in der
4.500 Juden lebten. Feuchtwanger wächst in einer jüdisch-orthodoxen Familie auf
als erstgeborener Sohn eines wohlhabenden„Kunstbutter“-Fabrikanten, der sehr
hohe Erwartungen an ihm stellt. Für ihn selbst ist das Judentum, zu dem er sich
stets offen bekennt, ein „Konzept der kulturellen Identität“.
Als ein Kind der Jahrhundertwende atmet er die Atmosphäre
einer goldenen Epoche des noch friedlichen Miteinanders und der Hoffnung auf.
München ist ein Zentrum der Moderne und ist vielerlei unterschiedlichen
Einflüssen von Außen ausgesetzt.1911 malt der aus Russland angereiste W.
Kandinskij das erste abstrakte Bild und eröffnet kurz danach die Saison vom
„Blauen Reiter“, der zu Münchens Markenzeichen wird und heute noch ist. Es ist
die Zeit der Schwabinger Bohème, die in einer schillernden Persönlichkeit wie
Franziska von Rewentlow eine außerhalb der bürgerlichen Konventionen lebenden
Protagonistin findet, vom George-Kreis und von Erich Mühsam.
Von Frank Wedekind und Max Halbe maßgeblich geprägt,
erkenntFeuchtwanger in Friedrich Nietzsche und Oscar Wilde seine Vorbilder.
Zunächst vom Theater hingezogen, findet er mit Jud Süß
um 1921 den Weg von der Bühne zum Roman, dem ein historischer Stoff zugrunde
liegt. Seinen bevorzugten Arbeitsplatz hat er in der Bayerischen
Staatsbibliothek inne. Es folgen die frühen Jahre des Exils im französischen
Sanary-sur-Mer im Kreis anderer prominenten Exilautoren, die abenteuerliche
Flucht über Lissabon nach Kalifornien, wo er als Nachbar von Thomas Mann und
Franz Werfel in Pacific Palisades seinen Lebensabend verbringt. Wieder lebendig
wurden Lion Feuchtwanger und seine Ehefrau Marta in einem von Thomas Manns
Privatsekretär Albrecht Joseph 1956 gedrehten Film, der zur Abrundung des
Abends als seltenes Dokument Einblicke in die Schreibwerkstatt des
Schriftstellers und in den Garten seiner Villa vermittelte.
Kalifornien wird der mit Bertolt Brecht und Hanns Eisler
befreundete Feuchtwanger mit engen Verbindungen zur Filmindustrie nie wieder
verlassen, aus Angst – wie Charlie Chaplin widerfahren war- nie wieder in die
Staaten zurückkehren zu dürfen. Als linksliberaler Intellektueller vom Mc
Carthy-Committee gegen Unamerikanische Umtriebe verdächtigt und beobachtet, bleibt
er seinem Gastland, wo er als Schriftsteller sehr geschätzt und populär ist,
grundsätzlich fremd und bekommt keinen amerikanischen Pass. München ist für ihn
Zeit seines Lebens nicht nur der Ort seiner Geburt, sondern „Sehnsuchtsort“
tout court. 1957 wird ihm ausdrücklich allein für seine Verdienste auf
literarischem Gebiet der Dichterpreis der Stadt verliehen, den er aus den oben
angeführten Gründen nicht entgegen nehmen kann.
Informativ und aufschlussreich auch dank der Erschließung
neuer Quellen wie u. a. von Feuchtwangers Tagebüchern, reflektiert die Biographie
nicht nur das Wirken des gefeierten Romanciers sondern auch den Menschen und
Menschenfreund immer an der Seite der Schwächeren und unablässig der in den
vielen Phasen des Exils in Not geratenen Exilanten.
Feuchtwanger, der mit seiner analytisch-scharfer
Beschreibung wie kaum ein anderer den Aufstieg des Nationalsozialismus in der
bayerischen Hauptstadt literarisch vorausgesehen hat, soll – so Heusler – von
nun an als der Münchner Schriftstellerangesehen werden. Seine, neue
Akzente setzende Biographieie ist ein wichtiger Beitrag zu seiner Renaissance,
die sich in das generelle Comeback jüdischer Kultur unserer Tage einfügt.
1960 in Calw geboren, hat Dr. Andreas Heusler
Geschichte und Politikwissenschaften in München und Tübingen studiert. Seit
1994 ist er Leiter des Sachgebiets Zeitgeschichte/Jüdische Geschichte am
Stadtarchiv München. Für zu reduzierend hält die Bezeichnung „Sachgebietsleiter“
IKG-Präsidentin Dr. Charlotte Knobloch in ihrer Einführung und nannte ihn voll
des Lobes „Hüter
der Geschichte der Stadt München“, der sich der Geschichte derbedeutenden
Münchner, die eine unauslöschliche Spur hinterlassen haben, aber auch der
kleinen Leute annimmt und deren „Erinnerung bewahrt“, als wäre sie „ein Stück
der Geschichte“. Heuslers Leistung im Zeichen der „“Erinnerungskultur“
insbesondere aus der dunklen NS-Zeit, lässt sich anhand seiner bekannten
Publikationen wie „München arisiert“ (2004),„Das Braune Haus. Wie München zur
‚Hauptstadt der Bewegung‘ wurde“ (2008) und „Kinder für den ‘Führer’. Der
Lebensborn in München“ (2013) verfolgen. Sie stehen exemplarisch für sein
jahrelanges, persönliches Engagement in Sachen Wiederherstellung einer historischen
Wahrheit, die in der Vergangenheit viel zu oft Verdrängungsmechanismen zum
Opfer fiel.
Er ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des
NS-Dokumentationszentrums München und Mitherausgeber der Reihe „München im
Nationalsozialismus. Kommunalverwaltung und Stadtgesellschaft”. Gemeinsam mit
Michael Brenner zeichnet er für die „Studien zur Jüdischen Geschichte und
Kultur in Bayern” verantwortlich.
Im Stadtarchiv an der Winzererstraße betreut er u. a. das
dort als „Ort der Begegnung“ rekonstruierte Arbeitszimmer und die Bibliothek
eines anderen berühmten Münchners Emigranten, nämlich des als Fritz Rosenthal
geborenen Schriftstellers und Religionsphilosophen Shalom Ben Chorin.2010
kuratierte er unter dem Titel„ Im Zweistromland – Shalom Ben Chorins Leben zwischen
Isar und Jordan“ eine Ausstellung im Studienraum vom Jüdischen Museum.
Andreas Heusler
Lion Feuchtwanger. Münchner – Emigrant – Weltbürger
364 S., zahlreiche Abbildungen
Residenz Verlag, St. Pölten
ISBN: 9783701732975; ISBN ebook: 9783701744602
EUR 24,90 / sFr 34,60
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