Erschienen in Ausgabe: No 102 (08/2014) | Letzte Änderung: 06.08.14 |
von Hans Gärtner
Das
schönste „Amen“, das wohl je im Salzburger Dom erklang, war das siebte von
acht, die Claudio Montiverdis 8-teilige „Marienvesper“ enthält. Sir John Eliot
Gardiner glückte dieses Wunder-„Amen“. Nennen wir es „marvelous“ in der Sprache
derer, die es sangen und spielten: „The Monteverdi Choir“ und „The English
Baroque Soloists“: erstaunlich, wunderbar, fabelhaft, fantastisch. So wie die
ganze Aufführung des gut 400 Jahre alten Hymnus auf Maria in dieser superben
Interpretation zu erleben war – als, nach Haydns „Schöpfung“ tags zuvor,
zweiter Einstieg in die Salzburger Festspiele 2014.
Selbst
die Festspielpräsidentin musste gestehen: Alexander Pereiras Idee der „Ouverture
Spirituelle“ erweist sich als Zugnummer. Sie würde, so Rabl-Stadler, als „sein
Vermächtnis“, auch nach seinem Weggang aus Salzburg, erhalten bleiben. Zu
Monteverdis „Vespro della Beata Vergine“ strömte man scharenweise, freilich
auch seines bekannt genialen Ausdeuters wegen, in die Kathedrale. Viele
Karteninhaber waren merklich ungeduldig, bis
man sie, auch ungehalten darüber, dass
man sie erst 14 Minuten vor Konzertbeginn aus der Qual der 33 Grad Celsius starken
Domplatz-Hitze erlöste und in die Kühle des zentralen Sakralraums der
Festspielstadt ließ. Er füllte sich bis auf den letzten Platz. Und erwies sich
als akustisch hoch geeignet für eine spektakulär-theaterhafte, dennoch
meditative Aufführung des solitären, mit
alten Instrumenten besetzten geistlichen exzeptionellen Werkes, das der ersten
Oper, dem „L`Orfeo“, stellenweise sehr nahe kommt. Nach knapp zwei Stunden,
während der man eine Stecknadel hätte fallen hören können, war der Dom von
einem Jubel bei Standing Ovationes erfüllt, dass es selbst das müdeste
Mütterlein von der Kirchenbank riss, um in den lang anhaltenden Applaus
einzustimmen.
Der
fulminante, im Wechsel von grandiosen Soli und mehrstimmigen Chören auf und
nieder wogende Huldigungsrausch an die Gottesmutter erfasste noch den letzten
Zauderer unter den Anwesenden. Manche hatten Tränen in den Augen. Sie erlebten
ein Konzert, das trotz – oder gerade wegen – seines hohen Anspruchs bewundernd
und dankbar für so viel Kompetenz und vokalsolistische und instrumentale Brillanz
der weltberühmten britischen Gäste entgegen genommen wurde. Die physische und
mentale Größe Gardiners, der Leitfigur bei der Wiederentdeckung Alter Musik paarte
sich mit der des tiefgläubigen Christen und Star-Anwalts geistlicher Tonkunst.
Wie feinfühlig Gardiner eine (ohnehin selten live zu erlebende) überschwänglich
beredte geistliche Komposition von der Gelenkstelle der Spätrenaissance zum
Frühbarock für das Show-verwöhnte Publikum von heute „arrangierte“, war allein schon
phänomenal. Er nützte Dom-Balkone, schickte bald Solisten, bald
Instrumentalisten hoch, ließ sie sich langsamen Schrittes von ihren Plätzen
lösen, fügte den von Wolfgang Götz präzise einstudierten Salzburger Festspiel-
und Theater-Kinderchor organisch ein, brachte also auch fürs Auge Mobilität ins
Spiel.
Der
sich bald machtvoll aufschwingende, bald in zarteste Fasern zerrinnende
Gardiner-Monteverdi-Klang, die raffiniert eingesetzte Echo-Technik im „Audi
coelum“-Teil, die berückenden (Counter-)Tenor-Passagen, die kluge Nutzung von
Vorder- und Hintergrund im Wechsel von Tutti und Soli, die Feier der Allmacht
Gottes – über der lauretanisch variiert angerufenen Virgo Virginorum – im
vorletzten „Gloria Patri“, das den bebenden Höhepunkt der Aufführung bot –
alles fügte sich zu einem Ganzen von geradezu überirdischer Ästhetik.
Das
50-jährige Bestehen des Monteverdi-Chores wird von den Englischen
Barock-Solisten mit Aufführungen der „Marienvesper“ in Cambridge, Versailles
und Barcelona gefeiert, um anschließend mi G. F. Händels „Dixit Dominus“ auf
Sommerfestival-Tournee zu gehen. Salzburg war sich wohl der Auszeichnung
bewusst, eine der ausersehenen Stationen der Geburtstagsgastspielreise zu sein.
Der logistische Aufwand eines solchen Unternehmens ist ja enorm. Doch dürfte schon
in der Erhabenheit der Aufführungsstätte ein Quäntchen Entschädigung
liegen.
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