Erschienen in Ausgabe: No 102 (08/2014) | Letzte Änderung: 06.08.14 |
von Bettina Reitz
Frau Reitz, was macht einen guten Film aus?
Ein Filmemacher muss sich
überlegen, was er erzählen und dann, wie er es erzählen will. Und diese
W-Fragen, die wir schon in der Schule bei Erzählungen gelernt und fragen
mussten, sind auch essentiell für einen guten und in sich stimmigen Film,
unabhängig, ob in der Kultur, im Krimi oder in der Komödie.
Inwieweit hat eine Fernsehdirektorin einen Einfluss auf die Veränderung
im Fernsehen?
Veränderungen sind immer in einem
Austausch mit der Fernsehdirektion zu sehen. Was ich grundsätzlich nicht mache,
ist meine Kreativität und Vorstellung als Vorgabe zu dirigieren. Die Verantwortung
liegt auch bei den Programmbereichen und Redaktionen. Als Fernsehdirektorin
arbeitet man nicht wie ein Manager großer Firmen, wo übergeordnete Strukturen
nach unten verteilt werden; vielmehr geht es darum, Kreativität frei zu setzen
und die Lust am Veränderungsprozess gemeinsam zu formulieren. Das Motto lautet
daher bei mir eher: Kreativität statt Verordnung.So wird erst einmal versucht Defizite im
Programm im wechselseitigen Gespräch zu beheben; es handelt sich also um einen
gegenseitigen Diskurs. Es geht uns meist um sanfte Schritte, neue Formate dem
Publikum zu vermitteln, ohne dieses zu erschrecken. Aber wir müssen uns auch
mit Blick auf die neuen Medien Veränderungsprozessen stellen, die radikaler
sein dürfen und auch müssen.
Film und Fernsehen haben eine gesellschaftliche Verantwortung, wo
liegen derzeit die Schwerpunkte?
Das Fernsehen ist immer noch eines
der wichtigsten Leitmedien, wenn nicht sogar das Wichtigste in Deutschland –
schon allein aufgrund der Vielfalt der Angebote und der Konzentration bzw.
Verweildauer. Es gibt keine gleichwertige Bindungsmöglichkeit an Zuschauer oder
Zuhörer wie starke TV-Angebote. TV deckt gemäß unserem Auftrag alles an
Informationen, Kultur und Unterhaltung ab, das man benötigt, um aktuell auf dem
Laufenden zu sein bzw. gut unterhalten zu werden. Die Vielfalt der
Programmangebote ist groß. Wo ich aber Nachholbedarf sehe, ist unser Dialog mit
der Jugend – eine der wichtigsten Herausforderungen, vor denen wir aktuell
stehen. Dies gilt nicht nur für die jungen Menschen als Zuschauer, sondern
genauso für die Förderung junger Talente. Die Frage, die sich mir dabei stellt,
ist: Haben wir die Vielschichtigkeit der Talente so im Blick, oder ist es nur
die ganz kurzlebige Leistungsschau, die über Talente entscheidet, wie sie in
der heutigen Leistungsgesellschaft zu funktionieren haben? Hier stört mich,
dass wir oft nur nach Punkten und Rankings entscheiden; wer ins Raster passt,
erhält seine Chance, wer nicht, wird einfach zur Seite gestellt. So fallen sehr
viele Talente durch den Rost, weil ihnen das knallharte Film- und
Mediengeschäft nicht den Raum und insbesondere die Freiheit lässt, sich zu
entwickeln, ihre kreativen Möglichkeiten entfalten zu können und uns
Programmverantwortliche zu überraschen.
Die gesellschaftliche Verantwortung
des Fernsehens sehe ich also auch in der Bereitschaft, bei aller
Budgetknappheit und liebgewonnene Gewohnheiten den Zuschauer herauszufordern,
in Umsetzung wie in der Thematik unseres Programms.
Wie richten Sie den BR auf ein jüngeres Publikum aus?
Ein jüngeres Publikum können wir
noch durch Events gewinnen. Wir versuchen, Sendestrecken zu bauen, durch die
wir auch jüngere Menschen erreichen und dadurch Verlässlichkeit erzielen. In
den letzten Jahren hat sich beim BR gezeigt, dass neben Fiktion insbesondere
große Faschingssendungen auch von Jüngeren gern gesehen werden. Bei Formaten
mit diesem Inhalt haben wir bereits einen Bereich, in denen die Jugend
nachwächst und damit zu einer festen Größe wird. Mit „quer“ und „Kabarett“
bedienen wir schon jetzt ein jüngeres Klientel.
Verstärkt setzen wir in Zukunft auf
Angebote mit Live-Events und auf eine noch engere Zusammenarbeit mit „Bayern 3“
und „Puls“, die ein jüngeres Publikum ansprechen. Zum einen bedarf es also
tatsächlich jüngerer Inhalte, zum anderen müssen wir aber auch die jungen Leute
irgendwo erreichen und z.B. über ein attraktives Webangebot auch auf die
linearen Angebote lenken. Hier ist eine enge Abstimmung von Radio, Internet und
Fernsehen gefragt. Wenn es uns künftig gelingt, an zwei oder drei Abenden
dieses Publikum mit z.B. fiktionalen Programmen an uns zu binden, wäre das für
den BR und mich schon ein Etappensieg auf dem Weg, jüngere Menschen zum
linearen Fernsehen zurückzuholen. Im Januar hat das bei der Ausstrahlung von
„Türkisch für Anfänger“ hervorragend geklappt.
Zugleich bin ich mir aber bewusst, dass die
jüngere Generation nicht mehr gewonnen werden kann, wenn wir uns nicht auf die
Seh- und Benutzergewohnheiten des jungen Publikums einstellen. Dies bedeutet
für uns, dass wir hier nur mithalten können, wenn unsere Programme sowohl im
Netz als auch bei den Abspielgeräten präsent sind. Über die Mediathek müssen
wir zeigen, was wir an originellen und qualitativen Sendungen haben, da es der
Jugend am Ende egal ist, ob sie unsere Inhalte auf einem klassischen
Fernbedienungsknopf oder mobil finden. (Die Jugend hat noch nie viel
ferngesehen und ist heute zuerst mobil und im Netz unterwegs!) Ich persönlich
wünschte mir mehr Reihen wie aktuell „Hubert und Staller“ oder „München 7“,
oder am besten eine Serie, die noch jüngere Menschen anspricht. Generell
brauchen wir Sendungen, die generationsübergreifend funktionieren und starke
Bindungen erzielen.
Was bedeutet Trimedialität, der Bayerische Rundfunk setzt verstärkt
darauf?
Der
Bayerische Rundfunk setzt auf die enge redaktionelle und technische
Zusammenarbeit zwischen Radio, Fernsehen und Online, weil die Trimedialität
genau da ansetzt, wo Grenzen zwischen diesen Formaten zu überwinden sind. Was
wir versuchen, ist Ressourcen zu heben, dass also die Themen nicht von den
einzelnen Kollegen jeweils einzeln aufgesetzt werden, wobei dreimal aneinander
vorbeigearbeitet wird, sondern dann die Recherchen zusammengeführt werden. Dies bedeutet einen Paradigmenwechsel, da die
meisten Bereiche im BR getrennt „gewachsen“ sind: in Fernsehen, Hörfunk und
Online. Nicht der Ausspielweg oder die einzelne Sendung steht im Vordergrund,
sondern das Thema. Das stellt hohe Anforderungen an Arbeitsweise und Kultur
aller Gewerke im BR. Der Vorteil bei der trimedialen Zusammenarbeit besteht
darin, eine breitere Wissensbasis zu ermöglichen, neue kreative Angebote zu
schaffen und Themen in unterschiedlichen Formen und aus verschiedenen
Blickwinkeln zu setzen, die dann auf den jeweils besten Ausspielwegen einem
breiteren Publikum zur Verfügung gestellt werden können. Wichtig dabei: Es muss
auch weiterhin im BR eine breite Meinungsvielfalt geben.
Und es wird nach wie vor Inhalte
wie das fiktionale Programm geben, die immer noch in ihren klassischen
Redaktionshoheiten angesiedelt bleiben. Ein Unikat eines Fernseh-,Kinofilms oder Hörspiels wird auch dann noch
ein Unikat bleiben. Aktuell gehen wir davon aus, dass diese Unikate als
eigenständige Werke neben der trimedialen Aktualität überleben werden.
Wie sieht das Fernsehen der Zukunft aus? Haben Sie Angst vor den
Onlineangeboten durch das Internet, durch YouTube, wo jeder sein eigener
Programmdirektor ist?
Angst ist ein schlechter Begleiter.
Ich denke, Neugierigsein und mit Abenteuerlust diesen Prozessen beizuwohnen,
ist die richtige Haltung. Ich glaube, wir werden noch lange die
Programmdirektoren mit ihren Planungseinheiten brauchen, denn nicht jeder
Mensch will immer sein eigener Programmdirektor sein. Aber künftig wird diese
Arbeit verstärkt von Maschinen übernommen, die unsere Interessensprofile
auswerten. In Zukunft wird diese Programmmaschine dann spezielle Angebote für
ihre speziellen Interessen und Schwerpunkte suchen. Aber Protagonisten und
originelle oder wichtige Inhalte, die die Zuschauer lieben oder ansprechen,
müssen gefunden und entwickelt werden – das können die Suchsysteme noch nicht.
Wie genau das Mischverhältnis sein
wird zwischen den noch klassisch vorbereiteten Angeboten und dem, was über
einen globalisierten internationalen Markt über uns hereinbrechen wird, ist
eine spannende Frage. Es steht aber jetzt schon fest, dass wir eine junge
Generation haben, die international geprägt ist – insbesondere amerikanische
Serien sind sehr beliebt. Aber es zeigt sich auch, dass eine Vielzahl der
jungen Menschen andererseits stark regional geprägt ist, es gibt ein
ausgesprochenes Heimatgefühl. Je globaler sie auf der einen Seite aktiv sind und
agieren, umso mehr finden sie in ihrer Heimat ein Stück Sicherheit. Dies
beobachten wir bei unseren Programmangeboten. Und hier ist es wichtig, dass wir
uns in Zukunft anders aufstellen.
Generell müssen das Fernsehen und
der Rundfunk der Zukunft neue Events generieren, bei denen die Menschen
zusammenkommen und gleichzeitig aus diesen Events auch Programmangebote
erstellen. Darin sehe ich auf der einen Seite eine Brücke zur Heimat, eine
Brücke, die eine Programmsicherheit gerade für regionale Anbieter garantiert.
Auf der anderen Seite sind jüngere Menschen auch große Programmabenteurer.
Dadurch wird sich der Markt noch weiter global öffnen und in eine Konkurrenz
zur Regionalität treten. Welcher Inhalt wird gesucht und setzt sich wo und wie
durch? Diesen neuen Herausforderungen sehe ich mit Spannung entgegen.
Herzlichen Dank für das Interview,
das Dr. Dr. Stefan Groß führte.
Das Interview entstand auf dem
Bayerischen Filmpreis 2014.
© exklusiv für den WirtschaftsKurier:
www.wirtschaftskurier.de
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