Erschienen in Ausgabe: No 103 (09/2014) | Letzte Änderung: 03.09.14 |
von Anton de Winter
“Man sieht nur mit dem Herzen gut” - das war die
Zentralbotschaft des Kleinen Prinzen. Millionen von Lesern haben sich davon
bezaubern lassen, seit Jahrzehnten, rund um den Erdball. Nun stellt ein neues
Prinzenbuch die Frage, ob man nicht auch mit dem Verstand gut sehen könne. Siebzig
Jahre nach dem Tod Antoine de Saint-Exupérys erscheint die Weitererzählung des
Weltbestsellers “Der kleinen Prinz”. Die Gütersloher Verlagsanstalt (Random
House) veröffentlicht das Werk des Autors Emile Vigneron unter dem Titel “Der
große Prinz”.
Das Fortsetzungsbuch geht der Frage nach: Was
passiert, wenn der kleine Prinz doch nicht gestorben ist und erwachsen wird?
Poetisch denkt Emile Vigneron die Geschichte von Antoine de Saint-Exupéry
weiter. Der große Prinz ist Schäfer geworden (in seiner gemalten Kiste waren
nämlich zwei Schafe, die sich vermehrten) und zieht mit seiner Schafherde um
die Welt. Dabei erlebt er allerlei Abenteuer, die ihn schließlich in den New
Yorker Central Park führt.
Genau wie als kleiner so begegnet auch der große
Prinz schrägen Vertretern einer typischen Welt, die seinen Sinn für die
eigentlichen Dinge des Lebens schärfen. Während der kleine Prinz mächtige und
geldgierige Kameraden der kalten Rationalität erlebt und erleidet, so trifft
der große Prinz auf die Protagnisten der übertriebenen Emotion. Vom Vielfraß
Lukullus in einer Waldlichtung über den Rasen der Liebenden bis zum Wiese der
Weltverbesserer. Es wird klar, dass auch die Welt der Emotionen ihre Untiefen
hat. Ein blindes Leben im Gefühl erscheint plötzlich genauso falsch wie das in
der reinen Vernunft. Der große Prinz ist also ein weltanschauliches und
erzählerisches Spiegelbild des kleinen. Es ist wie die andere Hälfte der
Wahrheit, die sich beim Lesen auftut.
Auch beim großen Prinzen kann man schmunzeln und
mitfühlen und sich sorgen. Der Tonfall ist ähnlich liebevoll-naiv-märchenhaft.
Und man wird Freund des Helden, der so gar kein Held sein will. Das Buch ist
eine “zärtliche Verteidigung der Vernunft”, so der Verlag. Tatsächlich
verteidigt der französische Autor die Vernunft als eine unterschätzte
Kategorie, aber er verteidigt sie doch mit den beiden Mitteln, der
emotional-literarischen und der erkenntnishaft-pädagogischen.
Natürlich werden die wahren Freunde des kleinen
Prinzen eine Weitererzählung ebenso skeptisch lesen wie ein Weiterdenken der
Zentralbotschaft. Für sie kann und darf der Prinz gar nicht groß werden. Aber
da manche Leser inzwischen selber groß geworden sind, können sie es ja doch
einmal wagen, ihre Gedanken und Einstellungen mitwachsen zu lassen. Schon die
kleinprinzenhafte Neugier sollte einen reizen, die Reise mit dem Erwachsenen
anzutreten. Zumals die wunderbaren Illustrationen des deutschen Zeichners,
Peter Menne, das Vergnügen an diesem Büchlein noch vergrößern.
Bibliographische Daten:
Emile Vigneron
Der große Prinz
Wenn der kleine Prinz erwachsen wird
Halbleinen. 96 Seiten
€ 14,99 [D] / € 15,50 [A] / CHF 21,90* (*empf.
VK)
ISBN 978-3-579-07079-7
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