Erschienen in Ausgabe: No 103 (09/2014) | Letzte Änderung: 04.09.14 |
von Anna Zanco-Prestel
Auf einmal steht man im rechten Seitenschiff der St. Paul-
Kirche in München vor einerReihe von
Bildnissen ungleicher Art in einem völlig zusammenhanglosen Kontext. Und gleich
gerät man in die Versuchung, sie zu identifizieren, ihnen einen Namen zuzuweisen.
Denn sie kommen uns– persönlich oder
gar vielleicht aus den Medien – irgendwie bekannt vor.Dem Autor der sieben köpfigen Reihe, dem
Schauspieler und Künstler Stefan Hunstein,geht es aber keineswegs darum, Prominente abzubilden.Er orientiert sich auch nicht nach einem
Schönheitsideal. Er hat nach Antlitzen gesucht, in denen Spuren vom Alter
eingeschrieben und unverhüllt zu sehen sind.„Unzeitgemäße Gesichter“– wie er
bei der Eröffnung erklärt -,die von
einem „gelebten Leben“ sprechen. Antlitze voller Charakter,die anCharakterdarstellern denken lassen, wie der bärtige Mann in der
Mitte,der einem Christus ähnelt, aber
auch eine Dostojewski-Figur oder sogar Dostojewski selbst sein könnte.Menschen, die aus einer anderen Zeit auf uns
herüber schauen. Gesichter, die den Blick desBetrachters auf sich ziehen, dem es - beim genaueren Hinsehen –
allmählich bewusst wird, nichtFotos,
sondern Videos vor sich zu haben, in denen diemenschliche Existenz auf ein Minimum reduziert wird, meistens auf ein
Blinzeln oder auf ein kaum wahrnehmbares Atmen. Anekdote, Überraschungen sind
nicht zu erwarten, sondern nur eine direkte Begegnung mit einem Gegenüber.
„Gegenwart...!“, in Anführungsstrichen gesetzt und mit einem
Ausrufezeichen“,liest man in der
schwarzen Schrift am Boden, die als Titel dient. Eine „Aufforderung, die
Gegenwart zu erleben“ – betont Hunstein, denn „Gegenwart ist jetzt, das
Kostbarste, was wir haben“.
Eine Madonna links und eine Paulus-Figur rechts von seinem
„Männer-Chor“ interagieren mit ihm, indem sie auf ihn schauen, und eine
spürbare Spannung entstehen lassen.Noch
spannender die zwei schwarzen Spiegel auf ausgelichtetem schwarzen Papier,
worin sich dieBetrachter wiederfinden
und ihr Erscheinungsbild –je nach
Tageslichteinwirkung – kontinuierlichenWandlungen aussetzen. Ein existentieller Dialog zwischen Gegenwärtigkeit
und Heiligkeit bahnt sich an.
Die Grenze des Materiellen ist überschritten und jede
Deutung möglich. Das Ganze ist in Hunsteins Konzept keine Ausstellung, denn
eine Ausstellung nicht in einer Kirche gehört, sondern in einemMuseum, wo man hingeht, um etwas anzuschauen.
Man betritt einen kirchlichen Raum–
lehrte Pater Rainer Hepler in seiner einleuchtenden Einführung – nicht um zu
sehen, sondern um uns selbst anderen auszusetzen.„Gegenwart...!“ ist vielmehr eine
Installation, die einen Parcours „vom Anschauen in den angeschaut werden“
einleitet undihre Wirkung sanft auf
alle ausbreiten soll, die bereit sind, sich auf das Geistige in der Kunst einzulassen.
Bis zum 17. Februar 2015
St. Pauls-Platz 11 - Täglich 8.30-17 Uhr- Eintritt frei.
Kuratierung: Rainer Hepler in Zusammenarbeit mit Dr. Ulrich
Schäfert, Fachbereich Kunstpastoral der Erzdiözese München und Freising u. Dr.
Alexander Heisig, Hauptabteilung Kunst der Erzdiözese München und Freising.
Zur Ausstellung istein 40.seitiger bebilderter Katalog erschienen mit Beiträgen v. Dr. N.
Jocher u. Dr. A. Heisig
Vom besonderen Interesse die auch kunsthistorisch
vertiefenden Ausführungen Rainer Heplers, der in seinem Essay „Theologische
Reflexionen“ auf Hunsteins Installation auch im Kontext anderer in St. Paul
ausgestellten Werke eingeht.
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