Erschienen in Ausgabe: No 103 (09/2014) | Letzte Änderung: 04.09.14 |
von Rainer Westphal
Bereits
in seinen Ausführungen „Bonifikationen für Chefärzte zwecks Erreichung
wirtschaftlicher Ziele“ (1) hat der Verfasser auf die negativen Folgen der
Fallpauschalen und den verstärkten Zwang zur Profitabilität der Krankenhäuser
hingewiesen. Nunmehr ist der Fall eingetreten, dass die Patienten in immer
kürzerer Zeit behandelt werden. Mehr Patienten in kürzerer Zeit und zwar
deshalb, da nicht mehr die Verweildauer dieser im Krankenhaus bezahlt wird
sondern die medizinische Leistung. Derartige Praktiken finden auch bei Haus-
und Fachärzten Anwendung.
Dieses
hat wiederum zur Folge, dass zwecks Erreichung wirtschaftlicher Ziele in den
Krankenhäusern jede Möglichkeit ausgeschöpft wird Operationen durchzuführen
welche hohe Erstattungen und Honorare versprechen. Allein durch einen so genannten demografischen
Wandel ist nicht mehr erklärbar, das Deutschland z.B. im OECD-Vergleich eine
führende Stellung bei Hüftoperationen und Herzkatheder- untersuchungen
einnimmt. Die Liste von Merkwürdigkeiten ließe sich wohl noch beliebig
erweitern.
Wie
bereits erwähnt kämpfen viele deutsche Krankenhäuser um ihre Existenz; ihre
wirtschaftliche Situation hat sich deutlich verschlechtert. Den Kliniken fehlt
das Geld zum investieren; bereits 2011 bestand bei 13 % der Kliniken erhöhte
Insolvenzgefahr. Experten sehen einen Investitionsstau von ca. 15 Milliarden
Euro. Die Einsparungen führen mittlerweile zu einer Gefährdung der Versorgung
von Patienten der gesetzlichen Krankenversicherung. Als Kostensteigerung wird
auch die Privatisierung angesehen, da die Kapitalgeber entsprechende Renditen
erwarten.
Mehr
als 50 % der Chefärzte unterschreiben bereits heute bei der Einstellung
Verträge welche wirtschaftliche Zielsetzungen beinhalten. Dieses führt
zwangsläufig dazu, dass diese verantwortlichen Ärzte sich die eigentlich fremde
Logik der Ökonomie zu ihrer eigenen machen.
Dieses entspricht nicht der Ethik eines Arztes. Eine Medizin die Patienten
meidet, kann sich nicht mehr als solche bezeichnen. Ärzte sind schließlich die Anwälte
ihrer Patienten und dürfen sich nicht durch Bonifikationen korrumpieren lassen.
Man muss sich mittlerweile die Frage stellen, ob bereits heute Patienten
austherapiert werden, da die Kosten die Erstattungen durch die gesetzlichen
Krankenkassen übersteigen. Das Thema wann austherapiert wird, was die
Lebensdauer eines Patienten beeinflusst, scheint sich bereits heutzutage nach
wirtschaftlichen Erwägungen auszurichten.
Der
ständige ökonomische Druck führt ständig zu einer Verdichtung von Arbeit der
Ärzte und Ärztinnen, sowie zur deren Demotivation. Es ist festzustellen, dass
die Medizin nicht als industrieller Produktionsprozess behandelt werden darf
und kann. Es kann nicht sein, dass den Krankenhausärzten die ökonomische
Verantwortung für die Klinik, in der sie tätig sind, zugeschrieben wird.
Dadurch,
dass ein Chefarzt bei seiner Einstellung einen Vertrag mit wirtschaftlichen
Zielsetzungen unterschreibt, wird er im gewissen Sinne erpressbar. Es
entspricht menschlicher Handlungsweise, z. B. die Insolvenz eines Unternehmens
oder den Verlust seines Arbeitsplatzes unter allen Umständen zu vermeiden.
Behandlungen von Patienten, welche wirtschaftlichen Zielen näher kommen werden
bevorzugt oder Behandlungen abgebrochen,
wenn diese wirtschaftlichen Erwägungen nicht entsprechen.
Was
die Kostensituation im Gesundheitswesen auch negativ beeinflusst ist die von
Controllern am Schreibtisch festgelegten Verweildauern von Patienten aufgrund
der vorliegenden Erkrankung. Diese Verweildauer ist Grundlage für die
Kostenerstattung durch die gesetzliche Krankenversicherung. Es sind die so
genannten Fallpauschalen. Die Tatsache, dass wirtschaftliche Erwägungen die
Handlungen von so genannten Medizinern beeinflussen, machen oftmals sehr aufwendige
Nachbehandlungen erforderlich. Im ungünstigsten Fall treten Todesfälle oder die
Notwendigkeit von zusätzlichen Operationen ein.
Es
bedarf wohl nicht einer weiteren Erläuterung, dass die angeführten Aktivitäten
die Patienten schädigen und gleichzeitig die Kosten im Gesundheitswesen negativ
beeinflussen.
Es
ist unverständlich, dass sich Ärzte, also Akademiker, von Nichtärzten (Controllern)
Weisungen erteilen lassen, welche einen Eingriff in die Therapie beinhalten.
Als besonders verwerflich wird die häufige Handlungsweise von so genannten
Fachärzten angesehen, welche nach dem Muster der Konzepte von McKinsey ver-
fahren. Diese empfehlen, sich nicht um potentielle Kunden zu bemühen die man
nicht haben will. Fachärzte wollen privat Versicherte Patienten behandeln,
welche gut betucht sind um denen Therapien zukommen zu lassen die viel Geld
bringen. Dieses betrifft auch die Verschreibung von teuren Medikamenten. Die
Vergabe von Konsultationsterminen richtet sich bereits danach, ob ein Patient
privat oder gesetzlich versichert ist. Zur Abschreckung werden entsprechende
Wartezeiten von über 3 Monaten für gesetzlich Versicherte in Aussicht gestellt.
Selbst
der Gesetzgeber sieht sich mittlerweile gezwungen gegen derartige Verhaltensweisen
vorzugehen.
Es
ist u. a. erstaunlich, dass Patienten sich mit minderwertigen Medikamenten
welche die Krankenkassen vorschreiben, ohne Widerspruch zufrieden geben. Die
Begründung, dass in billigeren Medikamenten gleiche Wirkstoffe wie in teuren vorhanden
sind erinnert an die Aussage, dass billige Weine den gleichen Alkoholgehalt wie
Spitzenweine zum Inhalt haben, also gleichwertig sind. Richtig ist, dass teure
Medikamente nicht unbedingt besser sein müssen als billige. Es ist aber auch
richtig. dass Qualität einen gewissen Preis beinhaltet. Die Qualität eines
Medikaments hängt zum Beispiel zum großen Teil von seiner biologischen
Verfügbarkeit ab. Auf die missbräuchliche Preisgestaltung vieler
Medikamentenhersteller kann im Rahmen des Kommentars nicht eingegangen werden.
Wenn
man anerkennt, dass eine Qualität einen höheren Preis hat dann sollte man sich
nicht darüber wundern, dass das Gesundheitswesen in der BRD immer weiter in ein
Zweiklassensystem abgleitet. Betroffen von den drastischen Einsparungen und der
daraus resultierenden Verschlechterung der Leistungen sind zum größten Teil die
Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherungen. Dieses sind in der Regel
Patienten die nicht über entsprechende Mittel verfügen eine bessere Qualität,
als den vorhandenen Standard, in Anspruch zu nehmen.
Die
Aussage, dass weniger begüterte Menschen früher sterben als Reiche dürfte als
immer realistischer einzuschätzen sein.
Als
eine besonders üble Variante selbsternannter „Patientenschützer“ dürfte anzusehen
sein, dass diese die Forderung aufstellen, die Kosten für selbst verursachte
Erkrankungen nicht mehr von den Krankenkassen erstatten zu lassen. Diese
Forderung, welche auf das Verursacherprinzip der Ökonomie zurückgreift, ist als
Beweis dazu anzusehen, wie sehr das Gesundheitsweisen und die Medizin
ökonomisiert wurden und diese weiter betrieben wird.
Auf
die ethische Problematik der Forderung nach dem Verursacherprinzip im
Gesundheitswesen braucht wohl nicht näher eingegangen werden. Es wird aber
darauf hingewiesen, dass derartige Überlegungen allein an genetischen und
sozialen Vorbelastungen eines Menschen scheitern. Bei derartigen Überlegungen wird immer davon ausgegangen werden, dass
das Verhalten von Menschen ständig im Zusammenhang von Kosten zu sehen wäre;
dieses würde die totale Entmenschlichung dieser bereits angeschlagenen
Gesellschaft beinhalten. Man muss sich in diesem Zusammenhang dann die
Frage stellen, wer es eigentlich wagen will die Entscheidung darüber zu
treffen, ob eine Krankheit durch eigenes Verschulden aus- gelöst wurde. Bereits
heute entscheiden irgendwelche Gutachter der Rentenversicherung darüber, ob ein
Mensch mit Krankheiten nur weniger oder mehr als 3 Stunden am Tag arbeiten
kann. Eine Aussage in solchen Fällen kann nur als unakademisch oder als
„Kaffeesatzleserei“ bezeichnet werden.
Im
Kontext zu der genannten Forderung ist die Frage nach der Verantwortlichkeit
des betroffenen Menschen zu stellen. Psychiater, Psychologen, Neurologen und
Sozialarbeiter könnten zu diesem Thema wohl einige wertvolle Beiträge leisten.
Festzustellen
ist, das die Forderung nach dem Verursacherprinzip in der Regel von Menschen
gestellt werden, welche über erhebliche wirtschaftliche und finanzielle Mittel
verfügen. Offensichtlich ist diesen der Solidaritätsgrundsatz und so etwas wie
Empathie abhanden gekommen. Derartige unüberlegte Verhaltensweisen können dazu
führen, dass Behandlungskosten, die durch Solidaritätsverhalten bezahlt werden,
für den Einzelnen nicht mehr erschwinglich sind. Dieses kann dann durchaus für gut Begüterte dann irgendwann gelten.
Wenden
wir uns im Gesamtzusammenhang dann dem Überschuss im Gesundheitsfonds zu, der
Ende 2013 ca. 13,3 Mrd. Euro betrug. Dieser Überschuss und die gesteigerten
Rücklagen der Krankenkasse wurden durch radikale Leistungsverminderungen,
vornehmlich für die Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherungen, erzielt. In diesem Zusammenhang ist der
Investitionsstau in den Krankenhäusern von ca. 15 Mrd. Euro als ein interessanter Faktor zu bezeichnen.
In
den Gesundheitsfonds zahlt die Bundesregierung Zuschüsse zwecks Finanzierung
von versicherungsfremden Leistung wie beispielsweise die kostenlose
Mitversicherung von Kindern. Der erzielte Überschuss wurde prompt, zwecks
Haushaltssanierung, für 2014 um 3,5 Mrd. Euro gekürzt. Für 2015 ist eine
Kürzung um 2,5 Mrd. Euro bisher vorgesehen. Aus Sicht des Verfassers handelt
es sich bei diesen Maßnahmen um eine verwerfliche Vorgehensweise, da die Sparmaßnahmen
oder Leistungskürzungen im Gesundheitswesen einer anderen Verwendung zugeführt
werden; vornehmlich zu Lasten der Beitragszahler der gesetzlichen
Krankenversicherung. Vorbeugend, da sich erkennbar die Überschüsse abbauen,
hat die Bundesregierung wieder Zusatzbeiträge der Krankenkassen künftig genehmigt, was letztendlich zu Lasten
der abhängig Beschäftigten geschehen wird. Dieses wird umso deutlicher, da man
zusätzlich die Arbeitgeberbeiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung
gedeckelt hat.
Die
gegenwärtige Situation stellt sich derzeit so dar, dass sich bereits im zweiten
Quartal der Fehlbetrag der gesetzlichen Krankenkassen auf 620 Millionen Euro
belaufen, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ berichtete. Demnach soll
gemäß des Ersatzkassenverbandes bereits eine Unterfinanzierung eingetreten
sein, da die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds nicht ausreichen.
Abschließend
ist festzustellen, dass sich offensichtlich der neoliberale Virus auch im
Gesundheitswesen weiter vermehrt hat. Es ist festzustellen, dass neoliberale
Steuerungselement in der Medizin nichts zu suchen haben, da diese moralischen
und ethischen Erwägungen widersprechen. Abgesehen von diesen, werden Fehlhandlungen
gegen Patienten und gegen medizinische Notwendigkeiten über einen
vermeintlichen Wettbewerb geradezu provoziert.
Wenn
nun der selbsternannte Experte für Gesundheitsfragen der SPD, Herr Lauterbauch,
sichin der Öffentlichkeit für eine
Suizidhilfe einsetzt, dann würde es ihm gut zu „Gesicht“ stehen, sich mit den
negativen Folgen des Neoliberalismus im Gesundheitswesen zu befassen; den
Kommentar „Datenphobie der Deutschen“ zu lesen (2) und sich dann auch mit
möglichen, und wenn nicht sogar wahrscheinlichen Folgen der „Geschäftemacherei“
im Gesundheitswesen zu befassen. Eine Abhilfe zwecks Beseitigung des als
„krank“ zu bezeichnenden Systems ließe sich nur durch eine solidarische
Krankenversicherung darstellen in der alle Bürger einzuzahlen hätten. Übrigens wurde dieses Konzept einmal von den
„Sozialdemokraten“ propagiert.
Den
interessieren Lesern wird empfohlen, sich weitere Informationen über das
„Deutsche Ärzteblatt“ zu beschaffen. Das komplexe Thema konnte im Rahmen eines Kommentars
natürlich nicht in aller Ausführlichkeit behandelt werden.
Kommentarhinweise:
(1)
http://www.tabularasa-jena.de/artikel/artikel_3951/
(2)
http://www.tabularasa-jena.de/artikel/artikel_3343/
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