Erschienen in Ausgabe: No 103 (09/2014) | Letzte Änderung: 04.09.14 |
von Sylvia Hüggelmeier
Nachdem der letzte Vorhang zur „Götterdämmerung“ gefallen
war, blieben nach dem dritten Zyklus in diesem Jahr heftige Buh-Rufe aus.
Stattdessen sekundelange Ergriffenheit und stürmischer Beifall, der vor allem
der auch für Bayreuth außerordentlichen musikalischen Qualität galt. Aber
sollte dem neuen „Ring“ ein ähnlicher Akzeptanzzuwachs beschieden sein wie
seinerzeit dem Jahrhundertring von Chereau? Zuerst heftige Ablehnung, dann
zunehmende Begeisterung? Jedenfalls decken sich die Argumente gegen ihn im Wesentlichen
mit denen von1976: Kapital versus Mythos ( die Giebichungenhalle als
Krupp-Stahlwerk bei Chereau und der Ölbohrturm aus Baku in Castorfs „Walküre“),
insgesamt die mangelnde Werktreue! Aber der Zugriff des Berliner Volksbühne-Intendanten
Frank Castorf auf den „Ring“ – man könnte ihn auch als Angriff sehen – ist viel
radikaler. Affirmation ist nicht angedacht, stattdessen scheint der Provokateur
Brechts„Glotzt nicht so romantisch!“ ins Publikum zu schleudern.
Bereits am „Vorabend“ der monumentalen Wagnerschen Tetralogie im „Rheingold“
zieht der Regisseur alle Karten seines Theaters zwischen Groteske, Slapstick
und visueller Überforderung.
Sein Konzept des postdramatischen Theaters zielt auf Verfremdung und
Übertreibung, eine Wiedererkennung von bereits Gesehenem ist nicht eingeplant.
Das grell bunte Personal der Tankstelle mit Motel an der Route 66imAmerika der
70iger Jahre, was hat es zu tun mit Wagners Göttern, Riesen und Zwergen? Öl
statt Gold ist das Thema, aber dennoch wird ein Haufen Gold aus dem
Swimmingpool geklaut. Wotan ist Zuhälter, Obergangster und geil. Die
Rheintöchter sind planschende Prostituierte mit Blondhaar und reichlich Busen,
Erda wirkt wie eine Edelnutte und Alberich genießt seine Bratwurst und
beschmiert sich seine breite Brust mit Senf. Fernab vom Rhein und der
Götterburg spielt sich diese Ballade von Schuften und Schlampen nicht nur auf
der Bühne sondern auch in einer Parallelwelt aus Videoaufnahmen ab. So entgeht
dem Zuschauer nichts, weder Brutalität noch Sex, weder Geilheit noch Suff.
Kohärentes Erzählen ist Castorfs Sache nicht, und so muss sich der
Opernbesucher auch die reichlich eingeblendeten Bildzitate, vornehmlich aus
Filmen, selber erklären. Ein Cineast, der alles wieder erkennt! „Im wirklichen
Leben versteht man ja auch nicht alles“, könnte der Regisseur dazu sagen – in
Anlehnung an seine Bemerkung zu den ungünstigen Sichtlinien dieser Produktion
von den rechten Randplätzen im Festspielhaus.
Die „Blutspur des Öls“ führt in der „Walküre“ nach Baku, wo das flüssige Gold
am Ende des 19. Jahrhunderts nur so sprudelte.1880 setzte der Ölboom , in den
Nobel und Rothschild als Unternehmer investierten, ein. Für den jungen Josef W.
Dschugaschwili, den späteren Stalin, wurde der Ort zum Katalysator auf dem Weg
zum Revolutionär. Wotan ist jetzt ein Patriarch mit Rauschebart im zaristischen
Russland, Fricka eine Art aserbaidschanische Königin. Der Neuanfang, der auch
bei Wagner im ersten Akt der „Walküre“ mit der Liebesgeschichte von Siegmund
und Sieglinde einsetzt, führt bei Castorf zu einerneuen Exposition, einer
Zurücknahme der Mittel und einer verhaltenen Personenregie, die das Kraftwerk
der Gefühle in der Musik belässt. Auf der riesigen Bayreuther Drehbühne mit dem
hyperrealistischen Bühnenbild der Ölbohrstelle mit Bohrturm von Alexandar Denic
spielt sich die unmoralischste Liebesgeschichte der Operngeschichte ab, Inzest
und Ehebruch mit Wagnerschem Belcanto. Aber immer, wenn dem
Volksbühnenrevoluzzer die Musik zu rauschhaft ertönt, setzt er in seiner Regie
dagegen. Ist es die Wälsungenmutter, die im Videobild mit Wotan telefoniert und
Sahnetorte isst? Brünnhildes Auftritt in einem Kostüm, das an der Met nicht
schöner sein könnte, unterstreicht dagegen den nur in der „Walküre“
festzustellenden „opernhaften“ Charakter mit Rampensingen. Dramaturgisches
Genie blitzt erst auf, als Castorfim 3. Akt mit dem Walkürenritt den Ausbruch
der Oktoberrevolution auf die Bühne bringt. Fanatisierte Rebellen mit roter
Fahne stürmen den Bohrturm, die Walküren entledigen sich ihrer üppigen und züchtigen
Robenaus der Zarenzeit, und wie schon im „Rheingold“ ist der Videofilmer dabei.
Wotan mutiert jetzt zum russischen Kombinatsdirektor und zynischen Säufer,
Mitleid ist nicht angebracht. Während sich am Schluss die Wotanstochter ganz
hinten im Bohrturm zu langem Schlaf begibt, brennt vorne ein Ölfass.
Am wenigsten mit Wagners Libretto hat der „Siegfried“ zu tun. Für Frank Castorf
ist es der Teil des „Rings“, in dem er dem märchenhaften Geschehen seine
eigenen politischen Erfahrungen in der DDR und seine Phantasien implantiert.
Das aufwendigste Bühnenbild aller Bayreuther Inszenierungen seit 1876 zeigt auf
der einen Seite den Mount Rushmore, die Ikone der amerikanischen Demokratie,
mit den Köpfen von Marx, Lenin, Stalin und Mao. Nach einer Drehung wird der
Alexanderplatz sichtbar als Symbol des real existierenden Sozialismus. Die
Geschichte von Macht und Machtmissbrauch, Ausbeutung und Gier findet in dieser
Inszenierung nicht in mythologischer Ferne statt, sondern in konkreten
historischen Phasen an sehr unterschiedlichen Orten in Ost und West. Die Bühne
bedient diesen Ansatz in großartiger Wandelbarkeit und einem Hyperrealismus wie
man ihn auf der Opernbühne lange nicht gesehen hat. Dagegen ist der Bär, der
mit Siegfried in Mimes Schmiede stürmt, kein Bär sondern der stumme Statist,
der in den unterschiedlichsten Rollen den gesamten „Ring“ begleitet. Der Drache
ist auch kein Drache sondern eine Mischung aus Zuhälter, Türsteher und
Partyveranstalter und wird statt mit dem Schwert von einer Kalaschnikow erledigt.
Das Filmzitat (ein Filmausschnitt von Stanlay Kubricks „Clockwork Orange“?)
steht für Gewalt. Beim Waldweben kündigt sich dann eine rührende Beziehung an,
die dem konservativen Opernbesucher gar nicht gefällt. Siegfried und der
Waldvogel (in einem Kostüm wie aus dem Revuetheater) werden ein Paar. Siegfried
als Naturbursche kennt ja die kreatürliche Vereinigung und seine Furcht vor der
Menschenfrau Brünnhilde bleibt trotzdem stimmig. Frank Castorf erzählt die
Geschichte der Mannwerdung Siegfrieds von Beginn an rotzig und rüde, aber auch
im realen Leben verläuft oft der Lebensweg eines Heranwachsenden zumal als
Waisenkind bei einem ungeliebten Vater nicht störungsfrei und endet häufig in
Gewalt. Oder ist das schon zu viel Interpretation für den Regisseur? Im dritten
Akt sitzen Wotan als verlotterter Wanderer und Erda an einem Biertisch am
Alexals verhandelten sie eine gescheiterte Beziehung. Die Fellatio am Ende der
Begegnung – eine überflüssige Zuspitzung?
Wie Castorf das Pathos von Wagner unterläuft, gefällt auch in der letzten Szene
ganz und gar nicht und führte während der Proben zu langen Diskussionen mit dem
hervorragenden Dirigenten Kirill Petrenko. Brünnhilde in einem Spreewald-Brautkleid
wird zwischen Müllsäcken erweckt und zur wunderbaren Stretta im Schlussduett
sieht man kopulierende Krokodile auf der Bühne, Symbole für Geschlechtlichkeit
oder für den heraufziehenden Raubtierkapitalismus?
Auch in der „Götterdämmerung“ sprudeln die Ideen des Regisseurs nur so hervor.
Die Nornen sind in einer Hinterhofgarage dem haitianischen Voodoo- Zauber
verfallen, und das Zusammenleben von Siegfried und Brünnhilde im silbernen
Wohnwagen, der schon als Behausung von Mime diente, gestaltet sich ungemütlich.
Brünnhilde mischt Karten und Siegfried wirkt depressiv. Während der
„Rheinfahrt“, wenn aus dem Orchestergraben ein Feuerwerk an Motiven erklingt,
liegt er nur herum. Die Giebichungenhalle ist ein Berliner Mauer-Ort mit
Döner-Bude wie hinter der Berliner Volksbühne. Castorf hat die Ring-Handlung
gründlich verfremdet, fragmentiert und auf seine Weise zusammengesetzt. Er
führt uns bis zum Schluss in seine radikal subjektiven Erlebnis- und
Phantasiewelten und auf einen engmaschig gewobenen Assoziationsteppich. Der
Regisseur ist nicht mehr dienender Handwerker sondern selber Künstler, der sein
eigenes Werk schafft. Damit ist der Begriff der „Werktreue“ im Regietheater(nicht
nur von Castorf!) obsolet. Hat sich das Publikum einmal damit abgefunden, kann
auch diese „Götterdämmerung“ zum schillernden Erlebnis werden. Der riesige Turm
mit der Leuchtreklame „Plaste und Elaste aus Schkopau“ der chemischen Werke
Buna, stand, bevor er im Museum der Geschichte landete, ursprünglich an der
Transitautobahn Berlin-Hof. Jetzt dominiert er außer einem verhangenen
Reichstag in schwarz-rot-goldener Leuchtschrift die Drehbühne. Nachdem Frank
Castorf 2011 seinen Vertrag mit Bayreuthunterschrieben hatte, sah er sich das
Berliner „Rheingold“ an und begann, fieberhaft Material zu sammeln. Der in den
Medien verbreitete Vorwurf einer oberflächlichen und zu kurzen Vorbereitung ist
nicht haltbar, zumal 2012 ,bereits ein Jahr vor der Premiere 2013, von März bis
zum Beginn der Festspiele in Bayreuth geprobt wurde.
Liebe außerhalb der geschlechtlichen ist Castorfs Thema nicht. Lustvoll und mit
Sex genießt Siegfried in Gestalt Gunthers den Betrug an Brünnhilde , schnell
hatte er sich vorher an Gutrune herangemacht. Auch den Rheintöchtern im dicken
Mercedes- Cabrio kann er kaum widerstehen. Derraben schwarze Hagen mit
Irokesenfrisur, der Anführer einer Schlägertruppe, erschlägt ihn dann in
abgedunkelter Kulisse mit dem Baseballschläger. Der Beginn der russischen
Revolution erscheint noch einmal als Zitat, die so genannte potemkinsche Treppe
am Hafen von Odessa.
Ist es Castorf in seinem rüden, auch zynisch oder ironisch zu nennenden Umgang
mit Wagners theorieschwerem Welttheater gelungen, eine treffende Aussage über
unsere Zeit zu machen, die Kapitalismuskritik im 21. Jahrhundert
fortzuschreiben? Am Schluss der „Götterdämmerung“ fällt die Hülle des
Reichstages im Christo-Look und die Wall-Street erscheint. Das Öl, um das die
Menschheit Kriege führt, und das wie das Rheingold die Gier nach Reichtum und
Macht entfacht, ist zwar ein tragfähiger gedanklicher Ansatz, aber er
„versickert“ häufig im Detail. Der Ring aus der Hand der Rheintöchter wandert
im Kreuzberger Hinterhof in die Flammen eines brennenden Ölfasses, Brünnhilde
schwenkt Benzinkanister und eilt von der Bühne. Offensichtlich will sie
Walhall-Wall-Street abfackeln und Hagen treibt in der letzten Videoeinspielung wie
William Blake in Jim Jarmuschs Film „Dead Man“ auf einen offenen See hinaus.
So sehr diese Inszenierung ihre Vorlage in dekonstruktivistischer Manier auch
zerlegt, so hat sie doch eines mit ihr gemeinsam, sie ist ein Abgesang auf die
Idee einer besseren Welt, nach dem Scheitern des real existierenden Sozialismus
allerdings noch ein weiterer. Und deshalb ist dieser „Ring“ vielleicht auch ein
Reflex des Schmerzes, den der allzu schnell erfolgte Untergang der DDR bei
Castorf ausgelöst hat.
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