Erschienen in Ausgabe: No 104 (10/2014) | Letzte Änderung: 16.10.14 |
von Sigbert Gebert
Trotz aller soziologischen
Aufklärung gilt dem landläufigen Verständnis Liebe weiterhin als Gefühl, und
das nicht ganz zu Unrecht, schließlich empfindet, fühlt man Liebe: Man sehnt
sich nach dem (personalen oder sonstigen) Liebesobjekt, will ihm nahe sein,
oder, sofern es sich um eine Tätigkeit handelt, sie immer wieder vollziehen.[1] Diese Sehnsucht ist eine
anthropologische Grundkonstante: Der Mensch weiß um seine Endlichkeit, „Unvollkommenheit“,
und sehnt sich nach Dauer, Vollendung, Vollkommenheit. Sie scheinen in den
Glücksmomenten erfüllter Liebe auf, sei es in der ekstatischen Versenkung in
Gott, im gelungenen Spiel, in der gemeinsamen Begeisterung für die Nation, im
Fußballweltmeistertaumel. Ihre vollkommenste Ausprägung findet die Liebe seit
der Romantik im Liebespaar, bei dem Sehnsucht auf Sehnsucht trifft und mit der
Geliebten verschmelzen will. Diese Verschmelzung wird insbesondere im
gegenseitigen erotischen, leidenschaftlichen Begehren erlebt: Gefühle werden
authentisch über den Körper kommuniziert. Die Liebenden beobachten ihre Körper
auf Anzeichen von Liebe, auf sehnsüchtiges Verlangen, auf Leidenschaft.
Gefühle (Emotionen) sind
nichts Dauerhaftes. Versteht man Liebe als Gefühl, so tritt sie nur episodisch
auf und dauert nicht lange – jedenfalls kein gemeinsames Leben lang. Liebe als
Passion, als Leidenschaft wurde denn auch jahrhundertelang als schnell
vergängliches Phänomen angesehen. Eine so wichtige Sache wie die Ehe auf Liebe
zu gründen, kam erst den Romantikern in den Sinn. Die Personen sind bei ihnen
als entwicklungsfähig gedacht, sie wachsen mit der Liebe, die deshalb dauern
kann (während zuvor die Person als konstant und deshalb die Liebe als
unbeständig galt). Das gemeinsame Wachsen ist aber kein Gefühl. Wenn man der
Liebe Dauerhaftigkeit unterstellt und sie auch im Alltag gelebt werden soll, so
kann Liebe nicht nur ein Gefühl sein.
Als Gefühl wird auch heute
vor allem die eher kurzzeitige Verliebtheit (Passion, Leidenschaft) angesehen.
Verliebtheit erfüllt alle Kriterien einer Emotion.[2]
Man empfindet als „Ganzes“, als „körperlich-geistige Einheit“, eine oft quälende
Sehnsucht nach der anderen. „Kognitiv“ weiß man um seine Verliebtheit und die
auslösende Person, von der man sich bezaubert fühlt. Körperlich erlebt man ein
Prickeln, Kribbeln, die berühmten Schmetterlinge im Bauch, hat Herzklopfen,
feuchte Hände, weit geöffnete Pupillen. Man wirft bewundernde Blicke auf das
geliebte Objekt, zeigt in Gestik und Mimik Unruhe, bei noch nicht erklärter
Liebe Unsicherheiten im Verhalten. Alle sonstigen Motive treten hinter das
Bestreben zurück, der Geliebten, unter deren Abwesenheit man leidet, in
irgendeiner Weise nahe zu sein, und zwar dauerhaft: „Alle Lust will Ewigkeit“.
Verliebtheit, die Sehnsucht, drängt nach Dauer, und die Erfüllung scheint durch
das möglichst häufige Miteinander möglich.
Verliebtheit schwankt in
ihrer Stärke, ist kein gleichbleibender Dauerzustand: Heftigen
leidenschaftlichen Attacken folgt eine Abschwächung, und die großen Gefühle der
Verliebtheitsphase nehmen mit der Zeit ab. Verliebtheit kann kurz, instabil,
wenig harmonisch sein. Nach landläufiger Auffassung verschwindet sie
schließlich, die Beziehung zur Geliebten bricht ab, oder Verliebtheit
verwandelt sich durch Bewährungsproben in „wahre“ Liebe, die sich immer wieder
in gemeinsamen Situationen und als „gemeinsames Wachsen“ bewähren muß. Was wird
bei „wahrer“, „echter“, „reifer“ Liebe aber aus dem Gefühl?
Gefühle können nicht im
eigentlichen Sinne wahr oder falsch, echt oder unecht sein. Sie werden gefühlt,
sind da oder nicht da. Wenn die Liebe schnell schwindet, spricht man von
unechter Liebe, bloßer Verliebtheit. Unecht ist aber nicht das Gefühl. Es
dauerte nur nicht lange, während Liebe Dauerhaftigkeit verlangt. Geht es dabei
aber um ein dauerhaftes Gefühl? Muß man dauernd Liebe fühlen?
Gefühle sind sprachlich
vermittelt. Die Frage der Echtheit taucht auf, weil Liebe auf Kommunikation,
mediale und sonstige soziale Vorgaben aufbaut, sprachlich geprägt ist (Tiere
lieben nicht). Liebe ist bekanntlich sehr gesprächig, da das Gefühl nicht
direkt, sondern nur als kommuniziertes Gefühl vermittelt werden kann.
Kommunikation ist im Gegensatz zu (analogen) Gefühlen binär, durch
Unterscheidungen gegliedert und kann alles, auch die Gefühle, nach echt oder
unecht qualifizieren. Bei einem „gefühlten Gefühl“ taucht eine solche Frage
nicht auf, denn es ist unmittelbar gewiß. In der heftigen Verliebtheit stellt
die Sehnsucht für die Liebende so ein unbezweifelbares Faktum dar. Sind die
Gefühle lau, wird weniger gefühlt als reflektiert oder geredet, stellt sich
erst die Frage nach echt oder unecht. Steht sie aber erst einmal im Raum,
bleibt immer ein Zweifel. Denn jede Frage fordert eine Antwort, und jede,
notwendig kommunikative Antwort kann wieder echt oder unecht sein, aber nie ein
Gefühl. Bezüglich Liebe als Gefühl gilt in der Tat: „Über Liebe kann man nicht
schreiben. Man liebt oder läßt es bleiben.“ (Robert Gernhardt)
Liebe als Gefühl ist „nur“
Verliebtheit, traditionell Verliebtheit aber ein kurzzeitiges Phänomen. Die bürgerliche
Ehe tötete die Leidenschaft denn auch ab: „Die Leidenschaft flieht, die Liebe
muß bleiben.“ Die adeligen Familienbeziehungen fußten hingegen von vorneherein
nicht auf Liebe, sondern politisch-wirtschaftlichen Überlegungen: Leidenschaft
war für die Mätressen reserviert, für die Ehefrau die wankelmütigen
leidenschaftlichen Gefühle völlig unangebracht – was im übrigen auch lange
bürgerliche Praxis war.
Heute funktionieren diese
Modelle, die Leidenschaft und Liebe zeitlich oder räumlich trennten, nicht
mehr. Leidenschaft und Sexualität außerhalb der Beziehung – die räumliche
Aufteilung – sind Trennungsgründe. Und zeitlich geht mit dem sexuellen Ausschließlichkeitsanspruch
die Erwartung einher, daß auch das Gefühl von Liebe erhalten bleibt, obwohl man
es nicht kontrollieren kann, oft selbst nicht mehr weiß, ob man es hat – was
kein Wunder ist, wenn die Leidenschaft abnimmt, sie aber gerade das Liebesgefühl
ist. Wer nur auf Liebe als Gefühl setzt, wird zwangsläufig mit der Zeit – sei
es nach fünf, nach zehn oder auch erst zwanzig Jahren – enttäuscht. Trotzdem
bleiben die meisten Paare zusammen. Warum? Nach dem „Investitionsmodell“ wägt
man die Zufriedenheit, Alternativen, Investitionen ab, aber meistens dürfte es
einfach fraglose Gewohnheit sein (in schlechten Beziehungen die Gewohnheit der
täglichen Machtkämpfe). Sollte man das noch als Liebe bezeichnen? Was meint
man, wenn man von „echter“ Liebe redet?
Liebe muß kommuniziert
werden, sonst findet ein Paar nicht zusammen. Wird Liebe kommuniziert, erwartet
man ein bestimmtes Verhalten, das man ohne Liebe nicht an den Tag legen würde.
Gegenseitig kommunizierte Liebe ermöglicht ein „an sich“ unwahrscheinliches
Verhalten, macht eine höchstpersönliche Kommunikation unter Einschluß des
Körpers wahrscheinlich. Die Kommunikation von Liebe gibt ein Skript, eine
Vorschrift, wie man sich zu verhalten hat, was beidseitig erwartet wird und welche
Gefühle gefühlt werden sollen.
Bei Verliebten ist
Leidenschaft ein zentrales Element. Was meint man aber mit „ich liebe dich“ in
längeren Beziehungen? In guten Beziehungen besteht gegenseitig eine positive
Grundeinstellung: Man ist der anderen Person wohlgesinnt, will mit ihr zusammensein,
will Nähe, Geborgenheit, empfindet Sympathie, Zuneigung, Wohlwollen, Vertrauen,
Respekt, Zusammengehörigkeit, sorgt sich um die andere, leistet ihr Hilfe,
nimmt Anteil an ihrem Leben, versteht sie. Eine gute Beziehung berücksichtigt
und bejaht die andere in ihrer „ganzen“ Existenz: Jede wird – das ist die heutige
Funktion der Liebesbeziehung – als „Ganzes“ und in ihrer Weltsicht bestätigt.
Die gegenseitige Bestätigung als „Ganzes“ erlaubt es, in einer unpersönlichen
Welt, in der die Person in einzelne Rollen „zerfällt“, Selbstbewußtsein und
Selbstidentität aufzubauen und aufrechtzuerhalten. Die Beziehung unterstellt
dabei eine gemeinsame Welt, schafft eine Wir-Welt mit einer eigenen Geschichte
und grenzt sich mit der Unterscheidung, dem „Beziehungscode“ Wir/Rest der Welt
von ihrer unpersönlichen Umgebung ab. Die Beziehung besteht solange, wie die gemeinsame
Wir-Welt das Handeln bestimmt. Die Gemeinsamkeiten können dabei durchaus fiktiv
sein – es genügt, daß beide an sie glauben.
Die Übereinstimmung ist nie
vollständig. Die andere wird ja nicht als Doppel, sondern als „Ergänzung“, als
„Vervollständigung“ geliebt (Simmel: Die Liebe „entzündet sich nur an der Individualität…“).
Die individuellen Unterschiede und Interessen führen zu mehr oder weniger
großen Konflikten (Simmel pessimistisch: „…und zerbricht an der
Unüberwindlichkeit der Individualität“) und werden besonders beobachtet. Man
fragt sich, ob die andere eigene Interessen oder Gewohnheiten in der Beziehung
zurückstellt und Rücksichten auf die Befindlichkeiten der anderen nimmt. Die
Außenabgrenzung Wir/Rest der Welt wird durch die Binnenbeobachtung
Eigeninteressen/Rücksichten ergänzt. Im Unterschied zu unpersönlichen
Beziehungen wird erwartet, daß mein Erleben einer Situation und meine Gefühle
das Handeln der Geliebten mitbestimmen – und ihr Erleben und ihre Gefühle mein
Handeln. Kurz: Liebe bedeutet eine positive Grundeinstellung zur anderen, eine
gemeinsame Weltsicht, Zurückstellen eigener Interessen.
Sie kennzeichnen aber auch
Freundschaften. Längere Beziehung, in denen Vertrauen, Fürsorge, Toleranz an
Bedeutung gewinnen, gleichen sich Freundschaften an. Zugleich bringt der im
romantischen Ideal schon angelegte und sich heute durchsetzende
Gleichberechtigungsanspruch ein Liebe und Freundschaft fremdes Element hinzu,
entwickelt sich die Liebesbeziehung verstärkt zur Partnerschaft.
Partnerschaft stützt sich auf
Gleichheit, Gerechtigkeit, Kooperation, Verständigung, Verhandlungen,
Interessendurchsetzung, ist ein rationales Tausch- und Zweckverhältnis. Liebe
und Freundschaft sind hingegen Selbstzweck. In ihnen wird beidseitig freiwillig
und gerne, ohne genaue Aufrechnung gegeben und auf die Befindlichkeit der
anderen Rücksicht genommen. Gabe und Gegengabe sind Geschenke. Liebe und
Freundschaft bieten mehr als eine zum gerechten Ausgleich verpflichtende
Partnerschaft, die alles diskutiert und aushandelt. Insbesondere die
Liebesbeziehung muß aber heute – eine soziale Vorgabe – dieses liebesfremde
Element, ein partnerschaftliches Verhältnis, integrieren, darf den
Gleichberechtigungsanspruch nicht zu deutlich unterlaufen.
In Freundschaften ist das
kaum ein Thema: Sieht sich ein Freund stark benachteiligt, löst er die
Freundschaft auf. Bei Liebesbeziehungen zögert man länger: Liebe ist wichtiger,
intensiver, totalitärer, ambivalenter, konfliktreicher. Nur deshalb kann Liebe,
im Unterschied zur Freundschaft, als Emotion bezeichnet werden: Alles ist
gefühlsbeladen. Das zeigt sich vor allem bei negativen Gefühlen, bei Ärger,
Wut, Eifersucht, Überdruß, Abneigung, Haß. „Liebe“ ruft andere Affekte hervor
oder steigert sie. Sie ist in solchen Fällen kein eigenständiges Gefühl,
sondern Katalysator für andere Gefühle. Bleibt die positive Einstellung zur anderen
auch über solche negativen Phasen und Phasen der Gleichgültigkeit hinaus
erhalten und führt zu einem für beide mehr oder weniger befriedigenden Kommunikationsstil,
so geht man vom Weiterbestehen der Liebe aus.
Der entscheidende Unterschied
von Liebe zur Freundschaft liegt im Einbezug von körperlicher Intimität und
Sexualität. Verliebtheit strebt gerade sie an, ist mit leidenschaftlicher
Sehnsucht, mit dem Gefühl der Liebe verknüpft. Was wird bei dauerhafter Liebe
aber mit der Leidenschaft? Da sich kein von Verliebtheit unterschiedenes
Liebesgefühl ausmachen läßt, bleibt nur die Abgrenzung über die Intensität:
Auch „wahre“, „reife“, „reine“ Liebe ist – mehr oder weniger große – Sehnsucht.
Liebe als Gefühl ist nichts anderes als Verliebtheit, die sich bei längeren
Beziehungen „normalisiert“.
Was aber bedeutet
Normalisierung? Begehren oder Leidenschaft als akutes Gefühl ist immer nur
zeitweise da, flammt auf und ab, ist mal stärker, mal schwächer. Liebe als
Gefühl besteht solange, als die Sehnsucht aufflammt, episodisch Gefühle auftreten.
Wie groß die Abstände dann auch sein mögen, und ob es nun ekstatisch oder wie
auch immer gedämpft (als Gefühl von Vertrautheit, Nähe und Geborgenheit)
auftritt: Das Sehnsuchtsgefühl zeigt den Weiterbestand der Liebe als Gefühl an.
Man bezeichnet etwas als gute Liebesbeziehung, wenn die Partner freundschaftlich
miteinander umgehen und eine mehr oder weniger leidenschaftliche Intimität pflegen.
Langfristige, „reife“, „wahre“ Liebe kann „an sich“ ohne große Gefühle
auskommen. Die ganze Liebespraxis und nicht ein einzelnes Gefühl entscheidet über
den Verlauf einer Beziehung und über das Zusammenbleiben. Dauerhafte Liebe wird
gelebt und erprobt, und ob man dabei etwas fühlt, ist „an sich“ mehr oder
weniger belanglos.
Liebe und Freundschaft
bedeuten eine positive Grundeinstellung zur anderen. Eine positive dauernde
Einstellung ist eine Stimmung oder eine Gefühlseinstellung, kein akutes Gefühl,
keine Emotion. Hinzu kommen eine gemeinsame Weltsicht, die Zurückstellung
eigener Interessen, als liebefremdes Element aber auch ein partnerschaftliches
Verhalten. Und dann, das ist, wenn man so will, das ideologische Moment des
heutigen Liebeskonzepts, sieht es das Fortdauern eines Liebesgefühls vor, so
daß zumindest ein Liebesgefühl als vorhanden behauptet werden muß (das gilt
auch für andere Arten der Liebe wie die noch stärker ideologisierte
Mutterliebe, hat doch heute jede Mutter schon Schuldgefühle, wenn sie ihre
nervenden Kinder nervig findet). Das Liebesgefühl ist jedoch nichts anderes als
Verliebtheit. Sie tritt in guten Beziehungen immer wieder episodisch auf. Die
meiste Zeit läuft die Beziehungspraxis ohne Gefühle ab. Kein Wunder, daß dann,
wenn man Liebe als Gefühl ansieht, leicht die Frage aufkommt, ob man noch
liebt.
Das Gefühl der Liebe, die
Verliebtheit, die Leidenschaft, ist Teil des heutigen Konzepts der Liebe – und
das sein Problem: Man will Leidenschaft (lohnt das Leben ohne sie?) und Dauer.
Die abnehmende Leidenschaft als das „an sich“ entbehrlichste Element im Alltag
längerer Beziehungen droht sie zu sprengen. Damit man dauerhaft mit einer
anderen alles teilen will, bedarf es der Sehnsucht, der Leidenschaft, der
Verliebtheit, die mit der Dauer gerade abnimmt. Nach der Verliebtheitsphase
brechen die individuellen Unterschiede auf – und das ist kein individuell
steuerbares Problem (sonst gäbe es keine Scheidungen). Statt die Eigendynamik
der Liebesbeziehung zu beachten und die Beziehungsprobleme als strukturell im
Liebeskonzept selbst, den sozialen Vorgaben, angelegt zu verstehen, werden sie
jedoch als individuelle Unzulänglichkeiten, schlechte Beziehungen und Trennungen
als Schuld der einzelnen angesehen – denen dann psychologisch geprägte, also
auf individuelle Veränderungen zielende Beziehungsarbeit helfen soll. Das
althergebrachte monogame Zusammenleben dient als Fixpunkt, obwohl es das
Problem des zugleich „an sich“ entbehrlichen und unentbehrlichen Liebesgefühls
verstärkt. Es bedarf aber neuer Liebesstrukturen, um es zu entschärfen.[3]
Der größte Fehler des heute
immer noch vorherrschenden Beziehungsmodells besteht im Zusammenleben in einer
gemeinsamen Wohnung. Im alltäglichen Zusammenwohnen wird die einzigartige
Geliebte zu einem ganz normalen, oft nervigen Menschen und kommt es
unvermeidbar zu den bekannten alltäglichen Konflikten. Eine Liebesbeziehung ist
zu wertvoll, um sie durch Zusammenleben unnötig zu gefährden. Man prüfe die
Notwendigkeit getrennter Wohnungen durch die einfache Frage: Mit welchem
langfristig zusammenlebenden Paar würde ich gerne tauschen?
Da in langfristigen
Beziehungen die Leidenschaft hochwahrscheinlich abnimmt, die
Wahrscheinlichkeit, daß man sich in jemanden anderen verliebt, entsprechend
zunimmt, sollte man sich außerdem mit Mehrfachbeziehungen anfreunden. Der
Personentausch, die serielle Monogamie, löst ja nicht die strukturellen
Probleme des heutigen Liebeskonzepts, führt hochwahrscheinlich nur zu
Wiederholungen – zu denselben Problemen und Enttäuschungen.
Wenn sich dann doch die Frage
stellt, ob man mit jemandem zusammenbleiben soll, so beantwortet man am sie besten,
indem man Emotionen (insbesondere Wut, Eifersucht, Rachegelüste) ausblendet und
statt sie über die Kriterien des „Investitionsmodells“ entscheiden zu lassen,
diese bewußt, „rational“ durchgeht, also die Zufriedenheit mit der Beziehung,
die möglichen Alternativen und die Höhe der bisherigen (emotionalen und
finanziellen) Investitionen abwägt. Und statt sich undifferenziert zu fragen,
ob man noch liebt oder geliebt wird, sollte man konkretisieren, was man mit
Liebe gerade meinen könnte. „Ich liebe dich“ kann heißen: Ich will dich küssen,
will mit dir schlafen, finde dich schön, bin gern mit dir zusammen, fühle mich
bei dir geborgen, kann gut mit dir reden, streiten, gemeinsame Sachen tun, habe
mich an dich gewöhnt, erfreue mich an deinem Essen, deinem Putzen, deiner
Gartenarbeit, brauche jemanden für das Projekt Familie, brauche eine
Haushaltskraft, finanzielle Versorgung. Die kitschigen „Liebe ist …“ Sprüche
und Cartoons deuten „an sich“ in die richtige Richtung: Sie sind kitschig, weil
man sie gerade nicht ernst nimmt, die Figuren Liebe als Gefühl anstatt die
Vielfalt der Bedeutungen von Liebe symbolisieren. Das im Liebesalltag „an sich“
entbehrliche Liebesgefühl ist aber nur in Verliebtheitsphasen gemeint.
[1]Zur
philosophischen, soziologischen und psychologischen Diskussion von Liebe und Verliebtheit
vgl. Gebert, S., Sinn – Liebe – Tod, Kehl 2003, Kap. II, 39-81 und die dort
angeführte Literatur, insbesondere Hahn, K./Burkart, G., Hrsg., Liebe am Ende
des 20. Jahrhunderts, Opladen 1998, Luhmann, N., Liebe als Passion, Frankfurt
1982, außerdem Demmerling, C./Landweer, H., Philosophie der Gefühle – Von
Achtung bis Zorn, Stuttgart 2007, 127-165.
[2]Zu
Gefühlen und ihrer Abgrenzung (Empfindungen, Emotionen, Gefühlseinstellungen,
Stimmungen) vgl. Gebert, S., Philosophie vor dem Nichts, Kehl 2010, 124-129.
[3]Zum
Folgenden vgl. Gebert, S., Mehrfachbeziehungen als Ideal – Für eine neue
Liebeskultur, Tabula Rasa 85, 03/2013.
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