Erschienen in Ausgabe: No. 36 (2/2009) | Letzte Änderung: 20.03.09 |
von Constantin Graf von Hoensbroech
Wenn Barack Obama Ende des Monats erstmals in seiner
Eigenschaft als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika nach Europa
kommen wird, ist das für die Bundesregierung kein Anlass zu Euphorie. Die
Flitterwochen der neuen US-Administration seien vorbei, sagt
Kanzleramtsminister Thomas de Maizière und mahnt angesichts der vielfältigen
gemeinsamen Herausforderungen: „Nach dem Gipfelsturm kommen die Mühen der
Ebene, deshalb ist sehr viel Realismus angebracht.“ Dennoch freue sich die
Bundesregierung auf die Zusammenarbeit mit dem neuen Präsidenten. Es scheine
ein neuer Ton in die US-Administration eingezogen zu sein. Es gebe eine neue
Offenheit für Multilateralismus, Perspektiven und den Rat der Partner. Als gute
Nachricht für die transatlantischen Beziehungen wertet de Maizière den Befund,
dass es seines Erachtens nach kein völliges Umschwenken in der Substanz geben
wird. Will heißen: Gemeinsame Interessen, Werte, politische Überzeugungen und
kulturelle Vorstellungen als Grundlage der Beziehungen zwischen Europa und den
USA werden sich nicht verändern.
Wie sehr diese Beziehungen aber immer wieder neu gelebt
werden müssen und nicht beim Blick in die Vergangenheit stehen bleiben dürfen,
zeigen zwei bemerkenswerte Treffen. So führte der erste Besuch der neuen
US-Außenministerin Hillary Clinton nach Südostasien. Und der erste ausländische
Regierungschef, mit dem Obama nach seiner Vereidigung zusammentraf, war der
japanische. „Europa ist nicht mehr der erste Ansprechpartner für die USA,
Europa muss sich als starker Partner bewähren“, führte de Maizière kürzlich bei
einer Kooperationsveranstaltung der Deutschen Gesellschaft für auswärtige
Politik sowie des Kölner Presseclubs aus.
Die erste Bewährungsprobe steht nun unmittelbar bevor. Den
Auftakt macht das Treffen der G20 in London – nachdem Obama, wie zu erwarten
steht, zuvor in getrennten bilateralen Begegnungen in Berlin und Paris seine
neue Visitenkarte abgegeben haben wird. Für die deutsche Regierung und andere
Partner, allen voran im Schulterschluss mit Frankreich, geht es beim
Weltfinanzgipfels der führenden Industriestaaten und Schwellenländer vor allem
darum, neue und verbindliche Regeln zu finden, „um zukünftig so etwas wie die
gegenwärtige globale Finanz- und Wirtschaftskrise zu vermeiden. Es muss
deutlich werden, dass die Finanzmärkte gegenüber der Realwirtschaft eine
dienende Funktion haben.“ Der Wunsch nach internationalen Vereinbarungen für
die Überwachung der internationalen Finanzmärkte hat für viele Länder oberste
Priorität. Daher beobachtet die Bundesregierung laut de Maizière auch mit
Sorge, dass sich einige Länder wie etwa die USA und Großbritannien wieder einer
expansiven Geldpolitik zuwendenund
weitere Konjunkturprogramme zur Krisenbekämpfung auflegen wollen. "Man
kann Fieber nicht durch Fieberschocks bekämpfen", so der CDU-Politiker. In
diesem Zusammenhang wies er zudem auf die Erwartung der Bundesregierung auf
einen Durchbruch bei der Doha-Runde der Welthandelskonferenz (WTO) mit dem Ziel
der Liberalisierung des Welthandels hin. „Das wäre, gerade jetzt, ein ganz
starkes Signal für den Freihandel und ein kräftiger Impuls für die globale
Wirtschaft.“
Die nächste Bewährungsprobe für
Europa und die USA gleichermaßen steht dann ebenfalls Anfang April an, wenn es
beim NATO-Gipfel darum geht, anlässlich des 60. Geburtstages die neue Strategie
des Verteidigungsbündnisses zu definieren. Dass Frankreich seine Jahrzehnte
lange Sonderrolle aufgeben und in die integrierte Kommandostruktur zurückkehren
wird, kann sicher als Beitrag zur künftigen Ausrichtung gewertet werden. Das
von Deutschland und Frankreich gemeinsam ausgerichtete Treffen in Kehl und
Straßburg – sicher auch ein weiterer Meilenstein in den deutsch-französischen
Beziehungen – soll natürlich dokumentieren, dass die NATO ein existenzieller
Kern der deutschen und europäischen Außen- und Sicherheitspolitik im
Zusammenspiel mit den USA ist. Spannend wird die Antwort aber darauf sein, wie
das Bündnis zukünftig mit Artikel Fünf seines Vertrages umgeht. Für de Maizière
bleibt dieser Passus, der den Bündnisfall als Beistandsverpflichtung aller
Mitglieder bei einem bewaffnetem Angriff auf ein oder mehrere Mitglieder
regelt, das „Gravitationszentrum“, das durch die Entwicklungen der letzten
Jahre nun eben weltweit zur Geltung gelangen könne. In diesem Sinne sei die
Erweiterung eine Erfolgsgeschichte und insbesondere für Europa ein
Stabilitätsgewinn. „Das hat auch Russland, ohne Euphorie, aber konstruktiv
begleitet, weil es auch der russischen Sicherheitsempfinden entspricht“,
urteilt de Maizière. Er erhofft sich vom Gipfel zudem eine klare Zuordnung im
Zusammenspiel von Bündnis und der EU, die, wie immer wieder betont, als
strategischer Partner der NATO auftreten soll. „Da wurde in der Vergangenheit
aber oft aneinander vorbeigeredet und nicht im Sinne einer strategischen
Partnerschaft gehandelt.“
Mit seiner Kritik an Alleingängen
zielte de Maizière nur allzu offenkundig auf die USA und wünschte sich von
Barack Obama bei einigen globalen Herausforderungen eine konkrete
Positionierung, weil die Richtung noch nicht eindeutig erkennbar sei. Wie gehe
es beispielsweise weiter mit dem im Dezember auslaufenden Abrüstungsvertrag
Start 1? Wie geht es weiter mit dem Thema Raketenabwehr? Auch beim Thema Naher
Osten sowie Klima und Energie gäbe es zwar einige bemerkenswerte Signale, aber
noch keine klar erkennbare Linie. „Die Berufung kraftvoller Sonderbeauftragter
ersetzt keine Außenpolitik.“ Themen, die sicher auch neben anderen Aspekten wie
etwa der Umgang mit dem Iran sowie das Verhältnis zu Russland beim EU-Gipfel in
Prag unmittelbar nach dem NATO-Gipfel diskutiert werden dürften. Auch die
globale Herausforderung Klima und Klimawandel, Energie, Energieeffizienz sowie
Erneuerbare Energien steht wohl auf der europäisch-amerikanischen Agenda weit
oben. Die Erwartung der Europäer im Allgemeinen und Deutschlands im Besonderen
sei, so de Maizière, dass ein glaubwürdiges Engagement der USA für
Energieeffizienz und Erneuerbare Energien die Durchsetzung bestimmter Standards bei den
Schwellenländern befördern würde. Er fügt hinzu: „Meines Erachtens bietet das
Thema Energieeffizienz darüber hinaus genügend Potenzial für eine enge
deutsch-amerikanische Zusammenarbeit, die der gesamten Welt nutzt.“
Bemerkenswert war, dass de Maizière das Stichwort
Afghanistan zwar als schwieriges Thema bezeichnete, aber nicht für die
transatlantischen Beziehungen. „Übertriebene Forderungen an Europa oder an
Deutschland gibt es nicht. Afghanistan ist eher ein Thema für die deutsche
Gesellschaft. Die Frage ist doch: Ist die deutsche Öffentlichkeit bereit, sich
in der Welt zu engagieren und dauerhaft internationale Verantwortung zu
übernehmen, auch wenn das Blut und Geld kostet?“
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