Erschienen in Ausgabe: No 105 (11/2014) | Letzte Änderung: 04.12.14 |
von Marius Mestermann
1.Was bedeutet Politik, damals und heute?
Es klingt wie die klassische rhetorische Frage zu Beginn eines Lehrbuchs für
Studierende der Politikwissenschaft. Das Erlernen verschiedener empirischer
Politikdefinitionen stellt schließlich einen wichtigen Grundbaustein des Faches
dar. Welche Institutionen meinen wir, welche Akteure und Vorgänge schließen wir
mit ein, wenn wir von Politik sprechen? Policy, polity, politics – wo liegt der
Unterschied? Und dann gibt es ja noch das große, scheinbar unendliche Feld der
politischen Theorie.
Dort
prallen Konzepte von Politik, Moral und Gesellschaft aneinander, dort wird
normativ gedacht und interpretiert. Ein beliebter Antagonist heutiger
Politikvorstellungen, insbesondere im Bezug auf unsere liberaldemokratische
Gesellschaft, ist der Verfassungstheoretiker Carl Schmitt. Wie viele andere
Denker vor und nach ihm versucht er, die genuine Logik der Politik zu
beschreiben. Als Kritiker der Moderne fragt er nach dem „Wesen des Politischen“[1].
Mit seiner Parlamentarismuskritik und der aktiven Rolle als Jurist im Dritten
Reich stoßen seine Thesen heute jedoch vielerorts auf Ablehnung und
Unverständnis. Können wir trotzdem, oder gerade deshalb aus seinem Begriff des
Politischen lernen, gar ‚fürs Leben’?
2.1.Dazu muss zunächst geklärt werden, aus
welcher Perspektive Carl Schmitt im Folgenden analysiert werden soll. Die
Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland zeichnet sich stark mehrheitlich
durch eine positive Einstellung gegenüber Demokratie und liberalen Werten aus.
Daraus folgt die erwähnte Skepsis etwa gegenüber der Parlamentarismuskritik
Schmitts oder auch seiner Freund-Feind-Unterscheidung. Es handelt sich um ein
sehr grundlegendes Misstrauen, das die Deutschen gegenüber solchen Behauptungen
hegen. Letztendlich zeugt es von einem Lernprozess aus der Geschichte, sprich
den beiden Weltkriegen, vor allem aber aus dem NS-Regime zwischen 1933 und
1945. Gleichwohl hat Carl Schmitt politische und gesellschaftliche Diskurse in
der Bundesrepublik mitgeprägt und z.B. einflussreiche juristische Schriften
vorgelegt. Daher wird sein Begriff des Politischen hier zunächst neutral
analysiert und dann mit den heute dominanten Werten konfrontiert. Dabei ist
entscheidend, dass es sich nicht um eine bloße theoretische Diskussion handelt,
sondern auch der praktische Kontext von Schmitts Konzept zu berücksichtigen
ist.
2.2.
Zunächst wird erörtert, warum eine
Reflexion des Schmittianischen Konzepts vom Politischen nicht sinnvoll bzw.
kontraproduktiv für eine liberale Demokratie wie die unsere ist. Dafür gibt es
im Wesentlichen zwei Argumente: Erstens beruht Schmitts Begriff des Politischen
auf einer völlig anderen politischen Realität und kann daher nur schwerlich
übertragen werden. Und zweitens macht sich der einzelne Bürger oder vielleicht
auch eine Gruppierung bei Schmitt Argumente zunutze, die seiner/ihrer
Glaubwürdigkeit als Teil einer liberaldemokratischen Gesellschaft schadet und
nur angreifbar werden lässt.
Hinter
dem Gedanken der politischen Realität steht ein historischer Rückblick. Die
Demokratie der Weimarer Republik, in der Carl Schmitt lebte und während der er
den Begriff des Politischen zunächst in einem Aufsatz (1928) und später in
einem Buch definierte (1932), war eine fehlerhafte, kaputte Demokratie. Sie
litt unter den Reparationszahlungen an die Sieger des Ersten Weltkriegs, statt
frei und unabhängig in die Zukunft blicken zu können. Schwere Wirtschaftskrisen
schüttelten den Staat genau so nachhaltig durch wie die ständigen Intrigen und
Angriffe extremer politischer Akteure. Durch die scharfe Spaltung und
zusätzlich immense Zersplitterung der Parteienlandschaft wurde die Weimarer
Republik ihrem eigenen Ende entgegen getrieben. Daher sank auch kontinuierlich
das Vertrauen der Bürger in die neue Staatsform. Gegen die demokratische
politische Kultur des Debattierens, die durch das Parlament institutionalisiert
worden war, wandte sich auch Carl Schmitt. Seinen ‚Begriff des Politischen’
ohne jeden Kontext und nur aufgrund seiner Argumente zu betrachten, erscheint
vor allem der heutigen ‚Neuen Rechten’ verlockend. Diese grenzt sich von
Neonazis gerne genauso ab wie von Liberalen, Linken und vielen mehr. Dennoch
beruft sie sich häufig auf einen Denker, der zwischen 1933 und 1945 vor allem
durch seinen Opportunismus auffiel. Er unterstützte besonders in den frühen
Jahren der NS-Diktatur die politische Führung mit seiner rechtlichen Expertise
und stieg daher zum ‚Kronjurist des Dritten Reiches’auf. Aufgrund dieser Verwicklungen kann man entsprechend leicht argumentieren,
dass eine rein theoretische Beschäftigung mit Carl Schmitt, sofern sie denn der
Findung einer eigenen Position dient, historisch ignorant und gefährlich für
die logische Kohärenz der liberalen Demokratie ist.
Daran
schließt der zweite Gedanke an, denn der ‚Begriff des Politischen’ bringt
einige problematische Implikationen mit sich. Vor allem die als zentral
postulierte Freund-Feind-Unterscheidung widerspricht unserem heutigen Konzept.
Eine der wohl meist zitierten Passagen bei Schmitt lautet: „Der politische Feind braucht nicht moralisch böse, er braucht nicht
ästhetisch häßlich zu sein; er muß nicht als wirtschaftlicher Konkurrent
auftreten, und es kann vielleicht sogar vorteilhaft scheinen, mit ihm Geschäfte
zu machen. Er ist eben der andere, der Fremde, und es genügt zu seinem Wesen,
daß er in einem besonders intensiven Sinne existenziell etwas anderes und
Fremdes ist [...].“[2]
Was
bei Liberaldemokraten heute Regierung und Opposition als konträre Erscheinungen
einer politischen Dichotomie sind, waren bei Schmitt eben Freund und Feind.
Direkt damit verknüpft ist diese Folgerung: Was politisch ist, muss die reale
Möglichkeit des Kampfes, also einer Konfrontation mit Waffengewalt und nicht
nur etwa des rein moralischen Kampfes (respektive Debattierens), anerkennen.
Existiert diese Möglichkeit nicht, weil z.B. alle Welt pazifistisch ist, so
gibt es nach Carl Schmitt auch keine Politik mehr.
Spätestens
hier sollte jeder Liberaldemokrat Zweifel an Schmitts Konzept bekommen. Er
wendet sich explizit gegen die Idee des Individuums, der die Politik des
Liberalismus ja eine zentrale Rolle zuschreibt. Der Einwand: Jeder Einzelne in
seinen Assoziationen, wie Schmitt es
nennt, kann aber doch Politik betreiben, an ihr teilhaben, sie ablehnen oder
befürworten – und Politik für sich gegebenenfalls nur als ein System neben
anderen, sozialen Systemen begreifen (und nicht als Schmitts übergeordnete
Dichotomie, die sich eventuell auch aus moralischen, religiösen oder
wirtschaftlichen Konflikte speisen kann, mit diesen jedoch nie gleichgesetzt
ist). Dies ist, im Zusammenspiel mit vielfältigen Bürgerrechten, eine der
essentiellen Grundlagen einer funktionierenden
Demokratie, wie die Bundesrepublik Deutschland eine ist. Immerhin darf man
hier eine Anleihe bei Schmitt nehmen: Es geht um die formale Beschreibung der
Realität und nicht um normative Bewertungen des Politischen, wenn man die
Funktionsfähigkeit eines Staates bestimmen möchte. Die sich daraus eröffnende
Debatte muss hier allerdings bei einer Andeutung belassen werden, um den Rahmen
nicht zu sprengen.
Als
kurzen Überblick über diese Seite der Betrachtung sei festgehalten: Carl
Schmitt war ein umstrittener Denker aufgrund seiner Ideen, aber auch aufgrund
seiner Person und seiner Handlungen. Er kann begründet veraltet und
demokratiefeindlich genannt werden und sollte nie ohne seinen Kontext
reflektiert werden. Doch was ist dem entgegenzusetzen?
2.3.
Vor allen Argumenten, die eine
Inspiration durch Thesen von Schmitt befürworten können, muss man ohne Frage
auf die Relevanz des Staatsrechtlers verweisen. Er kann heute schon deshalb
nicht vernachlässigt werden, weil er eine bedeutende Person in zahlreichen
öffentlichen Diskursen war, noch immer Identifikationsfigur mindestens einer
politischen Strömung ist und insgesamt ein sehr streitbares Gedankengut
hinterlassen hat.
Unter
Verweis auf diese Tatsachen kann man nun versuchen, von Schmitt zu profitieren,
selbst wenn man Liberaldemokrat (d.h. per definitionem erklärter Gegner rechter
Ideen) ist. Denn einerseits ist es möglich, mithilfe seines theoretischen
Werkzeugkastens alte und neue politische Konflikte, die nicht auf
liberaldemokratischer Logik beruhen, besser zu verstehen. Andererseits: Durch
Reflexion fremder Ideen kann die eigene Position überdacht und anschließend
geschärft werden.
Zum
ersten Argument gehört natürlich die empirische Analyse politischer Konflikte.
Es bieten sich dabei besonders Auseinandersetzungen unter Einsatz von
Waffengewalt an, da sie scheinbar genau die ‚Politik=Kampf’-Idee verkörpern.
Man nehme als Beispiel islamistische Extremisten, die sich den Westen (oder häufig konkret die USA als Verkörperung und
Ursprung der westlichen Werte) zum Feind erklärt haben, da er sich von ihnen in
grundlegender Manier unterscheidet, sie selbst bedroht und daher bekämpft
werden muss. In diesem Fall kann man mit Carl Schmitt zwar sehr gut verstehen,
warum dieser Konflikt entstanden ist. So schreibt er über Kriege, die bspw. auf
kulturellen oder religiösen Unterschieden gründen:
„Solche
Kriege sind notwendigerweise besonders intensive und unmenschliche Kriege, weil
sie, über das Politische
hinausgehend, den Feind gleichzeitig in
moralischen und anderen Kategorien herabsetzen und zum unmenschlichen Scheusal
machen müssen, das nicht nur abgewehrt, sondern definitiv vernichtet werden muß, also nicht mehr nur ein in
seine Grenzen zurückzuweisender Feind ist.“[3]
Es
stimmt wohl, dass politische Konflikte häufig deshalb eskalieren, weil sie
stark mit Vorstellungen von Gut und Böse verwoben sind. Schmitt verlangt, dass
das Politische als davon unabhängige Kategorie betrachtet wird, der politische
Feind also nicht unbedingt böse sein muss oder umgekehrt. Doch die Folgerungen
aus dieser Definition sind fragwürdig: Muss deshalb jeder politische Akteur
zwangsläufig eine politische Einheit sein, und wenn er sich nicht maßgeblich
auf der Freund-Feind-Achse einordnen kann, seine Existenzgrundlage verlieren?
Auch
hier ergeben sich wieder zahlreiche Möglichkeiten der Interpretation, die an
dieser Stelle nicht erschöpfend behandelt werden können. Ein interessanter
Einspruch gegen eine heutige Anwendung Schmitts sei trotzdem genannt: Chantal
Mouffe lehnt es ab, den war on terror
der US-Regierung unter George W. Bush als Produkt einer Schmittianischen Logik
zu betrachten.[4]
Denn Bush stützte seine Politik im Wesentlichen auf die Abgrenzung zu bösen Islamisten, ergo auf eine
moralische Kategorie.
Das
zweite Argument ist sehr komplex und ausdrücklich nur für die
liberaldemokratische Perspektive gedacht. Es besteht darin, dass man aus Carl
Schmitt zwar lernen kann und sollte, aber nicht, indem man seine Gedanken
übernimmt oder in die eigene Einstellung eingliedert. Vielmehr muss man seine
Bedeutung für das Aufkommen einer ‚Neuen Rechten’anerkennen und sich argumentativ gegen seine Thesen zur Wehr
setzen. Damit ist selbstverständlich nicht nur sein ‚Begriff des Politischen’
gemeint, sondern sein ganzes Werk. Hier verbindet sich die Kritik an einer
Reflektion Schmitts von weiter oben mit der Einsicht, dass wir uns in einer
liberaldemokratischen Gesellschaft mit eventuellen gefährlichen Meinungen
vertraut machen müssen. Der Diffamierung des Parlamentes bspw. als ineffiziente
und dem Sinn des Politischen widersprechende Institution muss klar
widersprochen werden, da man ansonsten nicht konsequent eine
liberaldemokratische Position vertreten kann. Und genau hier offenbart sich die
Stärke dieser Position: Um sich politisch anderslautenden Ideen oder gar
Ideologien entgegenzustellen, muss man diese nicht zum (öffentlichen) Feind
deklarieren. Es genügt im Idealfall, sie in einen Diskurs zu verwickeln und
dann mit der Macht des besseren Argumentes zu ‚schlagen’, vergleiche Jürgen
Habermas’ Konzept der deliberativen Demokratie.
Die
ursprüngliche Frage dieser Arbeit war, ob und wie eine liberaldemokratische
Gesellschaft wie die unsere (die der BRD) aus dem Denker Carl Schmitt lernen
kann. Darauf folgte eine abwägende Analyse, die neutrale Gesichtspunkte und
eine liberaldemokratische Perspektive gleichermaßen berücksichtigt hat, um
Schmitts Thesen zu präsentieren und zu kontrastieren. Auf Basis dieser
Betrachtung gelange ich zu dieser abschließenden Synthese: Mit der nötigen
Vorsicht und Sorgfalt kann es durchaus lohnenswert sein, Carl Schmitt zu lesen.
Dies sollte jedoch nicht passieren, ohne auch die Gegenseite zu konsultieren
(die vor allem in der jungen Bundesrepublik aufkam, nachdem das totalitäre
NS-System lange eine Gegenmeinung erschwert hatte). Außerdem muss der hier oft
erwähnte Kontext von Schmitts Leben und Wirken mit einbezogen werden. Ein ‚Wort
fürs Leben’, also eine sinnvolle Anleitung für politisches Handeln, sind
Begriffe von Politik generell nur bedingt, was auch hier zutrifft; trotzdem
kann jeder Bürger aus ihnen lernen.
3.
Keinesfalls will diese Arbeit sich
anmaßen, einen Überblick über Schmitts komplettes Werk und die Reaktionen
darauf geben zu wollen. Dazu existieren bereits interessante Analysen und
Zusammenfassungen. Auch handelt es sich nicht um ein rein liberaldemokratisches
Plädoyer. Es gibt aber nachweislich etliche andere Blickwinkel und
Herangehensweisen, mit Hilfe derer Carl Schmitt auch heute noch Thema
wissenschaftlicher Arbeiten sein kann. Die wichtigste Konsequenz, die aus einer
Argumentation wie der vorliegenden gezogen werden kann, ist, die politische
Bildungsarbeit in Deutschland in einer modernen und abwägenden Art und Weise
voranzutreiben. Das Wortspiel um den Begriff ‚modern’ ist beabsichtigt.
Literatur
Mouffe,
Chantal (2007): Carl Schmitt’s warning on
the danger of a unipolar world, in: Odysseos, Louiza/Petito, Fabio: The International Political Thought of Carl
Schmitt: Terror, Liberal War and the Crisis of Global Order, Routledge,
Abingdon, 147-153.
Schmitt,
Carl (1991): Der Begriff des Politischen
: Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Collarien, 3. Aufl. der Ausg. von
1963, Duncker und Humblot, Berlin.
[1]
Schmitt 1990: 20
[2]
Schmitt 1990: 27 [sic]
[3]
Schmitt 1990: 37 [sic]
[4]
vgl. Mouffe 2007 147ff.
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