Erschienen in Ausgabe: No 106 (12/2014) | Letzte Änderung: 04.12.14 |
von Axel Rösike
»Vorgetäuschte Unordnung
benötigt vollendete Disziplin; vorgetäuschte Furcht benötigt Mut; vorgetäuschte
Schwäche benötigt Stärke.« (1)
Diskursive Freiheit / komplex oder kompliziert?!
Recht und Ökonomie sind
unnötig komplex. Man muss sagen: kompliziert. Denn komplex kann
wissenschaftlich immer auch die Reduzierung von unzähligen komplizierten
Einzelphänomenen und ihren verschiedenartigen Verschlingungen genannt werden.
Steigerung der Komplexität wäre insofern (systemtheoretisch) eine Gestaltung
von Ordnung (Formation). Aber gut, das verlagert das Problem nur auf die
Feststellung: es gibt evtl. zu viel Ordnung. Daran anschließend die Frage der
Ordnung der Ordnung(en) und so weiter und so fort. Geht die rationale und kommunikative
Entwicklung der Gesellschaft so weiter, dann geht die Republik vielleicht unter
wie in der »Laokoon-Gruppe« dargestellt?!
Das Wort kommunikativ
zuvor soll darauf hinweisen, dass es nicht nur um Aussagen, Sätze, Fakten und
Entscheidungen geht, sondern dass auch Austauschprozesse beteiligt sind, seien
diese eher natürlicher oder eher rationaler bzw. sprachlicher Art und Weise. Es
handelt sich nicht (nur) um ein Problem von Schrift & Sprache. Also es sind
keine primären Abstraktionsleistungen des menschlichen Verstandes, denn als
solches könnte man Schrift und Sprache bezeichnen.
Soziale Aufgabe
Es wäre eine Aufgabe der
Wissenschaft oder systematisch denkender / arbeitender Individuen (beides als
Gruppen soziale Akteure), hierzu auch eine Reduzierung anzubieten. Und zwar
nicht nur im Sinne einer einfacheren Darstellung. Alle Einwohner eines Landes
sollten die Chance haben, zu verstehen, nach welchen Regeln und Bedingungen sie
leben. Und zwar aus selbständiger Einsicht. Und nicht durch schmerzhafte Erfahrung
oder zusätzliche workshops (für die man bezahlen müsste). Und eben nicht nur
durch die Erkenntnis schaltender und waltender Mächte, denen man erliegt.
Die Angelegenheit der Mit-
und Selbstbestimmung ist noch eine andere. Stellt aber dann auch das Problem
des Verstehens. Beides sind in philosophischer Sprache eher hermeneutische
Probleme, neben der politischen Tatsache. Die Erarbeitung verbindlicher
einfacher Bücher oder dergleichen wäre hilfreich. Die Gesetze heute plus
Kommentare füllen Bibliotheken. Ökonomische Einzelfälle wären (sinnvoll) schon
gar nicht alle in diese Gestalt zu fassen. Auch aus dem Aspekt Datenschutz. Und
allein die einfache Kenntnisnahme ist umfangreich zu nennen. Und selbst das
Genannte ist nur ein Teilausschnitt.
Aus dieser Perspektive
kommt man (schon auf sich selbst bezogen) gar nicht mehr zu den existentiellen
Fragen und Aufgaben des Lebens. Womit ich meine: zum eigentlichen Leben. So
verfänglich und fragwürdig das Wort »eigentlich« hier erscheinen mag. Eine
Gestaltung des eigenen Lebens, nicht nur durch Zufall, glückliche Fügung oder
intelligente Planung anderer. Was ja alles auch schön und gut sein kann, wenn
es funktioniert. Aber es funktioniert scheinbar nicht immer, und schon gar
nicht reibungslos. Und es ist eine Frage des gesellschaftlichen Anspruchs. Es
geht nicht darum, Störfälle zu beseitigen, es geht um die Basis echter
Entfaltung eigenen Lebens. Und dieses Leben ist als vielfältig und nicht oder
nur sehr wenig als durch die Basis bereits bestimmt zu erachten.
Der Bürger / die Bürgerin
ist heute eine kleine Behörde für sich. Und steht letztlich in einer Kette der
Subsidiarität. An sich kann man dies als nicht- oder sogar anti-demokratisches
Element der Demokratie werten. Da wird Freiheit durch Ordnung ersetzt, könnte
man (zu sehr) vereinfacht hinzufügen. Der Mensch will auch beherzt und frei in
die Welt treten können. Nicht nur in komplexer Erwägung bürokratischer Kalküle.
Das ist eine Annahme bzw. Unterschiebung meinerseits, für die ich Berechtigung
empfinde, ohne dabei detailliert auf hypothetische oder soziale Einzelfälle
oder Ausnahmen einzugehen. Etwa das Phänomen kindlichen Stubenhockens, das sich
im medialen Zeitalter ausweitet.
Das Urteil des Verstandes
(Kant) konvergiert als bürokratisches Kalkül semantisch quasi mit dem
Abstempeln eines Dokuments, Antrags oder dergleichen. Wenn auch nur im Geiste.
Davon sich noch einmal zu befreien, davon träumten schon die deutschen
Romantiker (Erstes Systemprogramm). So träumte sich ein Teil der Freiheit stets
parallel und entlang der tatsächlichen Geschichte. Jedenfalls nicht als diese.
Und kostet die Freiheit denn mehr als all die schöne Ordnung, die wir zum
Zwecke der Freiheit eingeführt haben? Wir, die guten Nach-Römer, die in einer
res publica leben, oder mit ihr.
Lebensorientierung
Allerdings stellt sich
auch immer die Frage, ob Komplexität auch eine Frage, Aufgabe oder Folge der
allgem. Lebensorientierung ist. Oft scheint auch ein Mangel an Klarheit (des
eigenen Geistes / Verstandes und auf die Vielen bezogen) die Illusion von
notwendiger oder natürlicher Komplexität zu erzeugen. Muss man wirklich
Abermillionen von Einzelmerkmalen und Einzeltatsachen berücksichtigen, will man
niemanden Unrecht tun? Sind wir wirklich diese intuitiven Marktteilnehmer/innen
und Teilnehmer/innen einer Öffentlichkeit, in deren Erwägungen tausende und
abertausende von Impulsen zusammenfließen, und die am Ende eine Entscheidung zu
treffen haben? Nach reiflicher Überlegung womöglich, oder gefühlter
Richtigkeit. Lapidar kann man das auch Lebensverhinderung nennen. An anderer
Stelle wird man dann, ungeachtet der Willensbildung, zu spontanen
Unterschriften und dergleichen gedrängt. Dass spontanes Leben »more sexy« ist,
hat sich als Aussage inzwischen selbst überlebt. Etwas weist nun über den
spontanen Moment und Eindruck hinaus, sei es in die Zukunft, sei es in die
Vergangenheit. Und etwas wird benötigt, das nicht nur Erfindung des Jetzt und
Hier (spontan) wäre.
Eine schwelende Angst ist
die vor Überrumpelung: von ganz verschiedenen Seiten. Das hat entfernt auch mit
Verbraucherschutz zu tun. Und mit Bürgerrechten. Manche sehen mit dem Begriff
der Freiheit eher das »Gegen den Staat« (liberale Tradition), manche eher das
»Mit dem Staat« (konservative Tradition). Schutz ist nur ein Aspekt. Der gesamte
Informationshaushalt, die verbale und faktische Komplexität und
Kompliziertheit, hat längst Recht und Ökonomie perfekt, ja mehr als optimal,
ergänzt. Allein übrigens schon daher, da jede rechtliche oder ökonomische
Einzeltatsache theoretisch sprachlich oder zumindest informatorisch
darzustellen ist.
Somit wird das Eintreten
eines wirklichen, wahren oder eigentlichen Lebens erst im Jenseits umso
wahrscheinlicher. Wenn alle formal-sachlichen Fälle, die die eigene Person
betreffen (könnten), abgearbeitet sind. Am besten, man hinterlässt nicht zu
viel Dreck in dieser Welt. Weder ökonomischen (Schulden), noch
rechtlich-moralischen (Schuld), noch informativen (Wissen nicht, eher unnötige
Kenntnisse). Für die nächste Welt sollte die Personalakte nach Möglichkeit
sauber und übersichtlich sein. Überrumpelungen jedweder Art sind wieder
(optionaler) Dreck.
Nachgemerkt: Die
Verdoppelte Welt der Information lohnte erst ab einem gewissen Grad der
Abstraktion technischer Prozesse. Dafür im Zwischenschritt mathematische
Formeln (Ökonomie), die uns an die Gültigkeit per Gesetz erinnern sollen. Wie
im Strafverfahren die Akten sind sonst Informationen eine Sache optionaler
Nutzung. Man kann diese gesellschaftlichen Ablagerungen nicht unbedingt mit
denen materiellen im Sediment eines Flusses oder in den Wänden des Gehäuses des
Schneckenhauses einer Schnecke vergleichen. Die hätten teilweise realen Sinn.
Obwohl die Vorstellung in
ihrer Bildlichkeit uns versöhnlich stimmen kann: wir wohnen im Schneckenhaus
unserer informativen Last. So wird es nach und nach gebildet, wächst, dreht
sich historisch aus sich selbst hervor. So denkt man, können all diese
komplexen Ablagerungen und Schichten auch schützen (und nützen). Und so starr
wie eben ein festeres Haus erscheinen sie hin und wieder. Trotz »dynamischer«
Prozesse und »zyklischer« Bewegungen. Und »kompliziert« ist bestenfalls die
»Varianz« des Häuschens.
Felsen in der Brandung
sind »emanzipatorisch« nicht mehr so gerne gesehen. Noch wird die Gesellschaft
geschliffen / geschleift. Das war teilweise idealistisch-romantische
Überhöhung: vom Schneckenhaus zum Felsen.
Den Deutschen sagt man
nach, sie seien teilweise sehr zurückhaltende Teilnehmer/innen am öffentlichen
Geschehen. Zur Illustration: lieber nicht zu voreilig investieren. Aber dann
ist es vielleicht auch schnell zu spät?! In innovative Bereiche wie Kunst und
Bildung wird sowieso nicht oder nur ganz reduziert investiert. Oder später bei
den »echten« Preisen, wenn die Sachen sozusagen »vollwertige« Objekte geworden
sind, als was man sie scheinbar vorher nicht erkennen konnte. Oder wenn es
offenbar lohnt. Das nennt man dann »klug«. Man hält an sich, selbst wenn man
etwas zu geben hätte.
Der Pleitegeier
durchfliegt den Wald des Journalismus. Ein hausgemachtes Problem: Ergebnis
mangelnder Anerkennung und gegenseitiger Entwertung. Zu tief war bisweilen die
Verinnerlichung des Konkurrenzprinzips, gerade und selbst dort, wo es offiziell
ablehnt wurde. Neben der tiefen Skepsis. Dort, wo es um Aufklärung und Wahrheit
gehen sollte. So beugt man sich der Lüge. Und erzeugt eben komplexe
Kompliziertheit oder komplizierte Komplexität. Mal an die Massen von Texten,
Berichten etc gedacht. Um jetzt nicht den Bogen zum zuvor erwähnten Dreck auch
zu schlagen. Das wäre wieder zum Teil selbstbelastend.
Echte Einsicht ist schön
und gut, wenn sie niemand sonst mitbekommt: ein ungeschriebenes Gesetz
komplexer und komplizierter rationaler Geschehen. Anstelle »rational« böte sich
das Wort »emotional« an. Aber um diese Unterscheidung muss es hier nicht gehen.
Das schlägt sich über die Jahrzehnte vermutlich auch in der Psyche nieder,
passiv wie aktiv. Bis hin zur sogenannten Mentalität. (andere Probleme hier
ausgeklammert).
Ja gut, und über die Jahre
hinweg ergänzen dann Medien wie TV den Kultur-, Kunst- und Bildungsraum.
Einfach. Kompakt. Heute tragbar im Taschenformat. Mehr braucht man nicht. Neben
Nahrung und ein paar Erfahrungen. Vielleicht noch ein Dach über den Kopf. Das
ist wirklich »Entmystifizierung« des Lebens. Zum Beispiel der Marxsche Arbeiter
war noch ein ganz mystischer / mystifizierter Zeitgenosse. In einem »great
circle of life« und darüber hinaus, wenn man die überindividuelle Bedeutung
beachtet. Der (und die Figur wird bei Marx tatsächlich eher in der männlichen
Sprachform gebraucht) konnte noch davon ausgehen, man enthielte ihm Kultur,
Kunst und Wissen vor. Der hatte evtl. noch einen ehrlichen Grund, das alles für
sich einzufordern. Die Begründung, weil er dies alles mitfinanzieren und
herstellen half, war schon immer eine mehr oder weniger unnötige gedankliche
Schlaufe. Und auch solche Schlaufen sorgten immer für Komplexität und
Kompliziertheit.
Wir alle wissen es: es
geht nicht um die Begründung, noch weniger um die Letzt-Begründung. Und das
gilt nicht nur für deutsche Hemisphären. Hier sind wir international. Es geht
um die Teilhabe und Teilnahme.
Bildung / Autonomie
Bei der Frage der
Bedingungen (die auch jetzt nicht weiter spezifiziert werden muss) kommt man
zügig sowohl historisch wie anschaulich zum Wissen, zur Bildung, zum Können.
Und somit zu der der Bedingungen des Bildungssystems, wozu auch »Selbstbildung«
inzwischen gehört. Und als klassische Bedingung kann man immer noch auf die
Autonomie des Denkens verweisen.
Es geht eben doch darum,
zu erkennen, dass das Denken (und nicht das System) den Diskurs mit-gestaltet,
und nicht umgekehrt. Obwohl Denken sicher auch in unterschiedlichen
nachahmenden Haltungen am Diskurs lernen kann oder was auch immer. Und es ist
sprachlich auffällig, dass im Deutschen das Denken im Plural sich so
ungewöhnlich anhört. Der Diskurs wiederum wendet sich an das System. Da gibt es
von Gestaltung, über Eingriff, bis zur Mitbestimmung einige Vokabeln.
Das, die Autonomie, gilt
dann für Marktteilnehmer in gewisser Weise ähnlich. Zwischen Diskurs und Markt
möchte ich an dieser Stelle kein Gleichheitszeichen einfügen. Aber die Frage
der geistigen Autonomie, die angesprochen wurde, dreht sich schon (in beiden
Fällen) darum und um das Gleiche: Ein nicht korrumpiertes Zentrum menschlichen
Verstandes (auch mit Vernunft assoziiert).
Noch vor Kurzem war bspw.
Soziologie auch eine solche Wissenschaft (unter anderen), die Wirtschaft in
ihren gesellschaftlichen, kulturellen, politischen Aspekten ergänzte, auch
erklärend und beschreibend (Ökonomie, Wirtschaft, Politik usw. usf. quasi als
Reflexionsformen). Heute, im ausgehenden Zeitalter des Individualismus, denken
natürlich nicht alle insgesamt noch gesellschaftlich. Der informierte Bürger /
die informierte Bürgerin war für sich soziologisch interessiert und gewappnet.
Das wird einem irgendwie abgewöhnt. Allein, weil es nichts bringt. Mal große
Worte wie Verantwortung nicht beachtet. Heute hat die Perpetuierung der Lüge
doch etwa denselben Stellenwert. Relativismus ist sozusagen Crux, um nicht zu
sagen das Kruzifix, der immer wieder »post-temporären« Dienstleistungskultur.
Und ethische Debatten
werden zunehmend gern als scheußlich oder verlogen erlebt bzw. so deklariert.
Man überlässt sie den Profis des ethischen Geschäfts. Die sind dann mehr oder
weniger soweit finanziell abgesichert, dass sie die Folgen ihrer Meinungen
nicht mehr tragen müssen oder zu ertragen haben, bestenfalls zur Kenntnis
nehmen können. Ob die ihre und unsere Chance nutzen, bleibt dahingestellt. Und
die Frage ist schnell und konsequent richtig auszudehnen: ob wir unsere Chance
wirklich nutzen, bleibt bisher dahingestellt. Relativistisch gesehen, wäre es
fast ein bisschen egal.
Der Vorrang des Ichs
zeitigt Gutes wie Schlechtes. Dafür kann man heute eher dem Gewissen Luft
verschaffen, indem man einer humanitären Organisation Zuwendungen macht, oder
indem man plebiszitäre Prozesse unterstützt. Eine Unterschrift, ein Klick, und
die Welt ist fast schon wieder gerettet. Daneben noch etwas Hintergrundwissen
angeeignet, und man gehört mehr oder weniger zu den politischen Aktivisten. Man
kämpft (immer noch). Auf gut Neudeutsch: »Let us fight, let us improve our
public image!«
Temporäres Fazit / Nebengedanken
Beachtenswert bei Lenin:
er deutet den Prozess, den er beschreibt (vom Kapitalismus zum Imperialismus),
selbst als Prozess der Vergesellschaftung, die nur noch nicht im vollen Rund
läuft bzw. nicht so begriffen und weitergedacht ist. (3) Fast anrührend, wenn
er an anderer Stelle den Leuten zuruft: »Lernt handeln!« (also nicht etwa
»learning by doing«). Dazu gibt es von ihm selbst spannende Erklärungen, etwa
vom Schritt zurück, welcher Anlauf für den Sprung nach Vorne ermöglicht etc.
(4) (5) Offenbar ist es aber ein Schritt von Kompliziertheit (6) hin zu
Komplexität, um diese Worte bzw. Begriffe aufzugreifen und somit in einem
weiteren historischen Szenario zu demonstrieren.
Denkt man Lenin mit der
zuvor erwähnten Systemtheorie zusammen, und versucht intentional eine Erklärung
der Probleme zu finden, dann käme man vielleicht zu dem Ansatz: dass die vielen
Einzelgehirne weder jeweils noch en masse die von ihnen zu beanspruchende
Komplexität richtig abbilden konnten. Das ist nicht identisch ein
Bildungsproblem. Nicht nur das vielzitierte Alte Zeitalter, sondern auch die
Kompliziertheit der Umbrüche, werden ihre Schatten in die psychische
Materialität geworfen haben. Diese Schatten-Metaphorik ist indes nicht
unbekannt in den historischen Texten.
Aber grundsätzlich sollte
auch diese Transformation als Kampf gemeint sein bzw. diesen in ein besseres
und kultiviertes Zeitalter (5) fortsetzen. Daher selbst ein Kultivieren des
Kampfes meinen. Ein Ablassen von sogenannten barbarischen Fehlschlüssen und
Verfahren (und damit ist nicht nur der enge Zirkel der Kriegswirtschaft
gemeint). Das alles neben den Aufräumarbeiten nach dem historischen Umbruch. Insofern
war eine Transformation des Kampfes (nicht nur des Begriffs davon) gemeint. Denn
rein formal und somit faktisch ist ja kein Problem gelöst. Kein Fortschritt
erzielt. So weit so logisch. Lernt handeln, bedeutet dann: »seid weniger
kompliziert« (und evtl. nicht unbedingt zu komplex). Eine Hypothese, die im
Spontanen einen Fehlschluss erleidet?!? Denn um irgendetwas sollte es ja gehen.
Nicht nur um die Beweihräucherung der tollen Gegenwart und pünktlichsten Aktualität.
Sicherlich ist aber
Spontaneität bereits in ihrer einfachen Bedeutung ein gewisser Extremwert, der
insbesondere in Systemen der relativ geschlossenen Planung nicht nur auf
Probleme trifft, sondern diese auch hervorruft. Das lässt sich wohl auch schnell
einsehen, wenn man diverse Relationen gegenseitiger Verwiesenheit bzw.
Abhängigkeit bedenkt. Im historischen Beispiel war es unter anderem um die
Versorgung der gesamten Bevölkerung mit Lebensmitteln gegangen, die natürlich
nicht von allen produziert wurden.
Oder man deutet das Wort
»komplex«, wie eingangs angemerkt, im Sinne von Kompetenz / Steigerung. »Seid
komplex« (und dabei nicht indifferent kompliziert), so würde der Satz evtl.
noch heute seine Interpretation finden. Im dialektischen System. Man darf eben
Selbstwidersprüche, Widersprüche, Ungereimtheiten und dialektische
Entwicklungen nicht miteinander verwechseln, sofern man dialektisch bei den
Sachen ist. Und kein Sprecher, keine Sprecherin meint nur das Wort an sich. Es
geht immer auch um Bedeutung. Zumal in sinniger Rede (Hermeneutik,
Kommunikation). Und wer immer meint, durch Negation oder Verschiebung äußerer
Bedingungen könne sich eine neue Bedeutung an der Stelle einer historischen
oder verbalen Variable einstellen, der oder die steht (zumindest irgendwie)
dialektisch bei den Sachen.
Aber es gibt Sätze, die
nach sprachlicher Berechtigung als Sinn suchen: Weil ich handeln kann, bin ich
komplex. Ob so ein Satz noch Sinn ergibt über sein konkretes Sinnsystem hinaus,
in dem er zustande kam? Noch schräger fast die Steigerung: weil ich noch mehr
(bspw. als früher) handeln kann, bin ich komplexer. Das sind Sätze, auf die man
gut und gerne und ohne schlechtes Gefühl oder Gewissen antworten könnte: ich
weiß, was Du meinst… das kenne ich auch / das geht mir auch so. Oft zeigt sich
erst in ganz anderen Situationen, dass Sätze diskursive wie andere soziale
Probleme aufwerfen können. Oder eben ihre Wirkung, Sinn oder Bedeutung
herzustellen oder zu veranschaulichen, wieder (gänzlich) verlieren.
Teilhabe, etwa durch
Aktien und Mitbestimmung (im Bereich Wirtschaft), kann natürlich an den
Verhältnissen doch auch etwas ändern. Kann sich aber auch als große Falle
herausstellen (Risiko-Investition der Belegschaft etc). Das sind Mischformen
des Denkens. Einer der Fehler liegt bei Marx: er lässt die Maschinen nicht
Sozialabgaben produzieren, nur Gewinne der Kapitaleigner (neben den Waren).
Aber auch daran wäre völlig legal zu drehen.
Die Vorherrschaft
ökonomischer bzw. wirtschaftlicher Komplexität, schon in Sprache und Form, ist
gar nicht unbedingt einsichtig. Noch weniger übrigens die Kompliziertheit. Wie
Lenin einst, möchte man ein imaginäres Wesen des Neuen Zeitalters den Leuten
(völlig wohlmeinend, ohne Argwohn) zurufen lassen: »Simplify your lifes!
Simplify your minds!« – Eine hübsche Übertragung der proto-kommunistischen
Grundforderung. Woran es gebricht: die zuvor genannte Angst vor Überrumpelungen
jeglicher Art.
Ein Hobby diesbezüglich
ist nicht das Teilnehmen am Diskurs, sondern ein Erzeugen und Ausstreuen von
Verdächtigungen. Die Kunst der Verschwörungstheorie wurde die Metaphysik dazu.
Wer das Gute nicht leben kann, kann wenigstens das Schlechte noch geißeln oder
an den Pranger stellen?!? Das betrifft wieder so vieles: komplex bis
kompliziert. Alles schwierig. Der Volksmund würde das ein Verkümmern zur
(diskursiven) Dreckschleuder nennen.
Aber man muss auch das
Unrecht beim Namen nennen dürfen, selbst wenn man es nur für sich selbst als
solches erkannt hat. Wie sollte sonst jemals ein Diskurs darüber entstehen
können? Wie sollten sonst die bereits gewohnten Grundmuster verlassen werden
können? Aber hierbei ist aus zuvor genannter Erwägung »Vorsicht und Sorgfalt«
geboten, wenn nicht gar immer. Jedenfalls verwandelt Komplexität
sprichwörtlichen Dreck nicht automatisch in Gold der Theorie und Praxis. Das
war wohl immer ein kleiner Irrglaube der Komplexitäts-Fanatiker/innen. Und
genauso sieht die Bewegung zum Einfachen aus, sofern wir es hier als andere
Alternative beachten.
Auch die kommunikative
Teilhabe, übersetzt als Teilnehmen an Diskurs / an Gesellschaft, will gelernt
sein. Man hat heute eine gute Idee, und weiß letztlich gar nicht, wohin damit.
Teilnehmen ist in ganz differente Dimensionen des Wortes zu denken, zu
entwickeln und als Praxis zu erleben. Nur sollte man nicht blindlings auf das
eingangs geschilderte Problem der komplizierten Komplexität oder der komplexen
Kompliziertheit abermals und wiederum stoßen (müssen). Warum bereiten wir uns
so viele unnötige Probleme? Etwa, um lebenslänglich herausfinden wollen zu
können, wer zu Recht das größere Ego haben darf? Viele Gedanken scheinen
irgendwo auf den Umwegen des (öffentlichen, populistischen) Ankreidens
stehenzubleiben oder verloren zu gehen.
Eine Vermeidung dieser
albernen Spieltriebe steht jedenfalls nicht nur in den Sternen. Sondern im
Verstand eines jeden / einer jeden (sofern vorhanden). Einen verbindlichen
Maßstab kann man daraus wohl aber nicht zimmern oder bestimmen. Es bedarf daher
notwendig einer nicht (als) notwendig gewollten Gegenseitigkeit, die auch gegen
Vorlieben und Präferenzen herzustellen wäre. Das meint Diskurs und »diskursive
Freiheit«. Und das ist als persönliche Befähigung zu begreifen.
Es gibt in der deutschen
sozialen Sprache u. a. ein Wort, dass diese Form der Gegenseitigkeit illustriert:
Kollegialität. Dies auch mal dem Kontext enthoben zu denken. (7) Aber daran
gebricht es wohl auch hin und wieder. Kann man da noch Menschen ernst nehmen,
die von Erfolgs- oder Konkurrenzdruck im Sinne von Entschuldigung /
Rechtfertigung / Erklärung für Verhalten sprechen?!? Aber das tun sie
schlauerweise nicht: »Ignoranz«, das Gift der Zeit.
Es lassen sich wohl nicht
alle Probleme oder Angelegenheiten mit dem erklären bzw. tilgen, was in der
historischen Situation des Lenin-Zitats mit »Persönlicher Interessiertheit« (4)
benannt wurde. Aber gerade diese ist auch nicht gerade weltfremd.
Fazit
Eine persönliche
Befähigung löst die Probleme, Gegenteiliges erzeugt sie. Und dabei werden
»sukzessive« komplexe wie komplizierte Schichten an geistigem wie greifbarem
Material erzeugt. Eher bzw. mehr im zweiten Fall, könnte man meinen. Die
Formationen entstehen und entstanden, und haben doch weder Antwort noch Lösung
parat. Wir können heute neu beginnen und kommen der Sache vielleicht näher als
je zu vermuten war!!! Eine Reduktion auf Null (Stichwort: Komplexität) ist in
keinem Fall zu erwarten bzw. zu fordern. Das wäre eher der Traum der Amnesie.
(2)
Berlin Oktober 2014 © RA
~~~~~~~~~~
(1) Sun Tsu, Art of War, 5.17
(2) Frieder Otto Wolf,
Radikale Philosophie, S.81
»Nicht die abstrakt
konstruierte Kommunikationsgemeinschaft reiner Subjekte, sondern wirkliche
Zusammenhänge menschlicher Subjekte mit ihren Wünschen und Kämpfen bilden den
Hintergrund radikaler Philosophie, von dem sie sich niemals vollständig ablösen
kann. Diese bewegen sich kommunikativ immer auch schon im endlichen, aber
erweiterbaren Raum des Palavers und in der bemessenen, aber verlängerbaren Zeit
des Solange. Wir haben daher zu bedenken, wie sich diese Konzepte des Palavers
und des Solange nutzen lassen, um das Aufbrechen in die neue Zeit in eine Weise
zu denken, welche die Illusion einer «Theorie des gegenwärtigen Zeitalters»
ebenso vermeidet wie ein Verfallen in den «ewigen Frühling der Amnesie».«
(3) Lenin, 1917, Der
Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, X. ab
»Was bedeutet denn dieses
Wörtchen «Verflechtung»?« … »dann wird es offensichtlich, dass wir es mit einer
Vergesellschaftung der Produktion zu tun haben und durchaus nicht mit einer
bloßen «Verflechtung»…«
(4) Neben dem Schlagwort
sind kleine Textstellen zu finden, die eine Transformation (auch der inneren
Ideologie, könnte man sagen) gut verdeutlichen. Lenin, 1921, Zum vierten
Jahrestag der Oktoberrevolution
»Der proletarische Staat
muss ein umsichtiger, sorgsamer, sachkundiger «Unternehmer», ein tüchtiger
Großkaufmann werden … Persönliche Interessiertheit hebt die Produktion … Der
Großhandel vereinigt die Millionen Kleinbauern ökonomisch, indem er sie
interessiert, sie verbindet, sie zur nächsten Stufe hinführt: zu den
verschiedenen Formen der Verbindung und Vereinigung in der Produktion selbst.«
Lenin, 1921, Über die
Bedeutung des Goldes
»Wir haben uns auf den
Staatskapitalismus zurückgezogen. Aber wir haben uns mit Maß zurückgezogen. Wir
ziehen uns jetzt auf die staatliche Regelung des Handels zurück. Aber wir
werden uns mit Maß zurückziehen. …«
(5) Lenin, 1923, Über das
Genossenschaftswesen, I.
»Unter der Fähigkeit, ein
Händler zu sein, verstehe ich die Fähigkeit, ein Händler zu sein, der
Kulturansprüchen genügt. Das mögen sich die russischen Menschen oder einfachen
Bauern hinter die Ohren schreiben, die meinen: Wenn einer Handel treibt, dann
versteht er auch Händler zu sein. Das ist ganz falsch. Wohl treibt er Handel,
aber von da bis zu der Fähigkeit, ein Händler zu sein, der Kulturansprüchen
genügt, ist es noch sehr weit. Er treibt heute Handel auf asiatische Manier; um
aber zu verstehen, ein Händler zu sein, muss man auf europäische Manier Handel
treiben. Davon trennt ihn eine ganze Epoche.«
(6) Lenin, 1917, Werden
die Bolschewiki die Staatsmacht behaupten?
»Oh, diese Schlauköpfe!
Sie werden sich gar noch bequemen, die Revolution hinzunehmen — wenn nur die
«außerordentlich komplizierte Situation» nicht wäre. …«
(7) ich meine nicht
»team-work« als skill.
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