Erschienen in Ausgabe: No 106 (12/2014) | Letzte Änderung: 05.01.15 |
von Hans Gärtner
Wer
echte „Velazquez“ sehen will, braucht nur nach Wien zu fahren. Bis 15. Februar
stellt das KHM 46 Gemälde von erhabener Qualität des Hofmalers Philipps IV.
aus. Schon als junger Mann bekleidete Diego Velazquez (1599 – 1660) aus Sevilla
dieses Amt. 37 Jahre lang hatte er es inne. Er fing klein an und wurde groß.
Einer der Größten, wie man Ende des 19. Jahrhunderts befand. Mit aufsteigendem
Adel nobilisierte er die Kunst, befreite sie quasi von den Fesseln des nur Handwerklichen,
gab ihr Ansehen, unterlegte ihr tieferen Sinn.
Das
mag angesichts der vielen gleich aussehenden Infantinnen-Porträts verwundern,
die in Wien in der Reihe hängen und artig den Besucher in ihren brokatenen,
unkindlich-starren, bodenlang gebauschten Roben mitleiderregend anblicken. Dem
Gleichmaß ist das Pflicht-Schuldige zu entnehmen. Velazquez, der unter Philipps
künstlerfreundlicher Regentschaft gut lebte, erfüllte seine Aufträge der
Familien-Porträts mit der Sorgfalt und Ergebenheit des Königstreuen, Frommen
und Dankesschuldigen. Allerliebst, seine Puppendämchen. Reglos wie Denkmale
präsentieren sie ihre Verwöhntheit und Pracht ohne zu erröten. Sie tragen die
Blässe der Vornehmheit als Zeichen unverdienter Erlesenheit.
Wer
den ganzen Velazquez kennenlernen will, begebe sich auf die Suche nach den
thematisch eher abseitigen Sujets. Ein sehr frühes, im Alter von 19 Jahren
gemaltes: „Drei Musikanten“ (s. Foto). Gespielte Leidenschaft für die
instrumentale Tonproduktion, Sinnesfreue und ein Faible für einen guten Tropfen.
Velazquez legte Verschlagenheit in die Gesichter des vergnügten Trios. Alles
Übertünchte, Höfische, Anbetende ist weit entfernt. Erst 16 Jahre später reitet
Prinz Baltasar Carlos zu Pferd, noch einmal so lange – und die „Venus mit dem Spiegel“ zeigt dem Betrachter
die kalte Schulter und das nackte Hinterteil, und erst fünf, sechs Jahre vor des Meisters
Tod stehen ihm Infanten und Infantinnen Modell.
Die
religiösen Motive, auch die mythologischen entbehren nicht eines harten
Realismus, weisen noch kaum auf den Wegbereiter des Impressionismus und des Enigmatischen.
Goya und Picasso, Francis Bacon und Salvador Dali zehrten vom „Maler aller
Maler“, wie Eduard Manet Velazquez elogierte und damit andere Maler in die
Kategorie der Fälscher einordnete.
Wie
enttäuschend – auch weil dem Original so täuschend ähnlich: das riesige
„Familien“-Gruppenbild von 1556. Es ist nur als Kopie im KHM Wien zu sehen.
Eine Erklärung hierfür und eine Beschreibung des 318 x 276 Zentimeter großen Prado-Besitzes
fehlen. Neben drei Infantinnen zieht ein ältlicher Zwerg den Blick auf sich. In
den dunklen Hintergrund stellte sich Diego Velazquez selbst, den Pinsel gezückt,
die Farbpalette in der Hand. Das schnauzbärtige, bei bäuerlich anmutender
Gefestigtheit heiligen Ernst und Entschlusskraft verratende Gesicht versucht
ein alter hagerer Mann auf sein mitgebrachtes Zeichenpapier zu bannen, Strich
für Strich. Er steht nach vorne gebückt, die Beine gespreizt, da. Nach gut 20
Minuten trägt er „seinen“ fertigen Velazquez heim. Er sei Arzt, sagt er auf
Befragen, 86 Jahre alt, noch immer in Wien als Internist tätig. Das Malen habe
er seit frühester Jugend, als er ein Jahr lang „Aktabende“ bei Professor Böckl
belegte, nicht aufgesteckt. Jetzt aber sei er müde. Seine Augen glänzten durch
die geputzten Brillengläser.
Der
gewöhnliche Besucher gewinnt „seinen“ Velazquez vielleicht erst, wenn er sich
daheim in den gut gemachten, instruktiven, zum Studium einladenden Katalog des
Hirmer Verlags (knapp 40 Euro) vertieft, den Sabine Haag herausgab.
Foto:
„Drei Musikanten“ des 19-jährigen Diego Velazquez, Hofmaler Philipps IV. von
Spanien
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