Erschienen in Ausgabe: No 109 (03/2015) | Letzte Änderung: 25.03.15 |
von Heike Geilen
Aber abseits,
wer ist's?
Ins Gebüsch verliert sich sein Pfad,
Hinter ihm schlagen
Die Sträuche zusammen,
Das Gras steht wieder auf,
Die Öde verschlingt ihn.
Willi Winklers
Idee einer "Winterwanderung" durch Deutschland ist so neu nicht. Mit
seinem hymnischen Gedicht "Harzreise im Winter", dem die obigen
Zeilen entnommen wurden, bezieht sich z. B. auch unser Dichterfürst J. W. Goethe
auf einen derartig unternommenen "Ritt" durch den Harz und die
Besteigung des verschneiten Brocken im Dezember 1777. Literarisch verarbeitet
er vor allem in der Schilderung frostiger und lebloser Landschaften eine (wie
auch immer geartete) krisenhafte Situation und melancholisch-weltschmerzliche
Stimmung. Und ein klein wenig kann man dies auch zwischen den Zeilen des
ehemaligen "Spiegel"-Kulturchefs lesen, obwohl Winklers
Ausgangssituation eine völlig andere Ursache zugrunde liegt.
"Am Anfang stand ein Gelübde,
leichtsinnig abgelegt vor fast zwanzig Jahren. Wenn, so der fromme Wunsch, wenn
die FDP doch endlich aus dem Bundestag fliegen würde, dann würde ich zum Dank
eine Fußwallfahrt zur Schwarzen Madonna von Altötting unternehmen."
Das Unmögliche
passierte im September 2013 und Willi Winkler macht sich umgehend daran, sein
Versprechen einzulösen und die knapp siebenhundert Kilometer vom östlichen Rand
Hamburgs in den Süden Deutschlands auf Schusters Rappen zu bewältigen. Was er
auf seinem Ritt über öde Bundestraßen, weiche Nebenwege oder struppige Pfade
von Lüneburg, Halberstadt, Jena, Hof oder Oberviechtach erlebt, kann der Leser
auf knapp 170 Seiten in seinen zuweilen recht eigenwilligen Betrachtungen noch
einmal nachverfolgen.
Vorgewarnt sei
man allerdings. Denn in den Ausführungen des Autors darf man keineswegs eine
idyllische Landschaftsbeschreibung durch tiefverschneite, romantische Wälder,
raureifbehangene Zweige und weißgezuckerte Märchenlandschaften erwarten. Sein
Schreibstil kommt eher einer bissig-sarkastischen, zuweilen ein wenig boshaften
und auch schadenfrohen Momentaufnahme gleich (vor allem wenn es um den Anlass
und die Partei mit dem gelb-blauen Farbeinschlüssen geht). Doch immer dann,
wenn ihn die mitunter vorgefundene Öde zu verschlingen trachtet, würzt er das
Ganze mit einer Prise Humor, witzigen Einwürfen und Betrachtungen. Erfrischend
anders und mit einer gewissen Portion Schalk im Nacken würde ich Winklers
Schreibstil bezeichnen.
..."geht man doch monadisch durch
sie, durch diese Welt, mit der man zunehmend weniger zu tun hat."
Dass Deutschland
im Winter nicht mit blühenden Landschaften aufwartet, darauf muss man sich
gefasst machen. Hinzu kommen geschwollene Knöchel, Stützstrümpfe, immer
wiederkehrende, trostlose Gewerbegebiete am Wegesrand, boshafte Autofahrer,
"extra furchtbares" Essen oder wie ausgestorbenen wirkende
Ortschaften. Doch Winkler mutiert erfolgreich zum "eisenharten
Asphaltier" und kramt aus seiner Gedächtnistasche immer wieder
interessante geschichtliche Fakten und Bonmots der jeweiligen Gegend.
Fazit: Willi
Winklers fünfunddreißigtägige und 855 Kilometer zurückgelegte Strecke im Winter
2013/14 entpuppt sich letztendlich als sarkastisch-ironisches Memento, das
ziemlich treffgenau unserem Land einen Spiegel vorhält. "Atheistischen
Zonis", erzkatholischen Trachtenjodlern, streberhaft bellenden Kötern oder
dem dumpfen Dröhnen diverser Autobahnen und Schnellstraßen stellt der Autor
zuweilen weltverlassene Landstriche gegenüber, die Traumbildern gleichen, in
denen "avaloneske Nebel" aufsteigen.
Und was passt
jetzt nicht vortrefflicher als der Beginn von Goethes "Harzreise":
Dem Geier
gleich,
Der auf schweren Morgenwolken
Mit sanftem Fittich ruhend
Nach Beute schaut,
Schwebe mein Lied.
Willi Winkler
Deutschland, eine Winterreise
Rowohlt
Berlin (Oktober 2014)
171
Seiten, Gebunden
ISBN-10:
3871347965
ISBN-13:
978-3871347962
Preis: 18,95 EUR
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