Erschienen in Ausgabe: No 109 (03/2015) | Letzte Änderung: 25.03.15 |
von Karim Akerma
Wenn
intelligente Bewohner ferner Planeten ähnlich geartet sind wie wir Menschen,
dann ist es vielleicht besser, wenn sie uns nicht zu nahe kommen. Denn war es
nicht häufig so, dass kriegstechnisch überlegene Zivilisationen über schwächere
herfielen, sie versklavten und ihre Rohstoffe raubten? Da mit jedem weiteren
entdeckten Planeten die Wahrscheinlichkeit steigt, dass es anderswo im Weltall
technisch überlegene Zivilisationen gibt, sollten wir uns vielleicht davor
hüten, auf uns aufmerksam zu machen und besser keine intelligenten Signale in
die Tiefen des Alls senden, die beutegierige Weltraumpiraten anlocken könnten.
Ein entsprechendes Projekt ist gegenwärtig umstritten. Es lautet METI, was für Messaging
to Extraterrestrial Intelligence steht (siehe: http://www.heise.de/newsticker/meldung/SETI-Institut-Streit-um-systematische-Nachrichten-ins-Weltall-2550289.html).
Ein populärer Fürsprecher strikter Zurückhaltung in Sachen interstellarer
Mitteilungsbedürftigkeit ist etwa der Astrophysiker Stephen Hawking. 2010
sprach er folgende Warnung aus: Sollten Außerirdische uns jemals besuchen, so
würde dieses Ereignis in etwa der Landung von Christoph Columbus in Amerika
vergleichbar sein, was für die Indianer bekanntlich verheerende Folgen hatte.
In
einem ganz anderen geistigen Orbit bewegte sich diesbezüglich der heute wenig
gelesene bis viel geschmähte, aber hiermit empfohlene Philosoph Eduard von
Hartmann (1842–1906). Statt Angst vor ETI zu verbreiten, stellt er als früher
Theoretiker interstellarer Kommunikation grundstürzende Überlegungen an. Allem
Geozentrismus und Anthropozentrismus fern, zeichnen sich seine Gedanken zu
intelligenten Bewohnern ferner Planeten durch Zweierlei aus: Zum einen
bestechen sie durch ihre visionäre Kühnheit, da sie Erwägungen moderner
Astrobiologie vorwegnehmen. Zum anderen sind sie mit der Grundfrage unseres
Daseins verwoben, der Frage nämlich, ob unser von Nöten strukturiertes Dasein
eigentlich zumutbar ist und fortgesetzt werden soll. Diese Frage beantwortet
Hartmann im Geiste Schopenhauers mit einem klaren Nein. Was für Hartmann in
seiner Philosophie des Unbewussten von 1869 indes nicht in Frage kommt,
ist ein heute vernünftig scheinender schlichter und unmetaphysischer Antinatalismus
(siehe: http://www.tabularasa-jena.de/artikel/artikel_5496/): „Was
hälfe es z.B., wenn die ganze Menschheit durch geschlechtliche Enthaltsamkeit
allmählich ausstürbe, die Welt als solche bestände ja doch weiter und befände
sich in keiner wesentlich andern Lage als unmittelbar vor der Entstehung des
ersten Menschen auf Erden; ja sogar das Unbewusste würde die nächste
Gelegenheit benutzen müssen, einen neuen Menschen oder einen ähnlichen Typus
zu schaffen, und der ganze Jammer ginge von vorne an.“
Im
Unterschied zu Schopenhauer glaubt Hartmann an einen Fortschritt und
geschichtlichen Lernprozess der Menschheit. Irgendwann könnte diese in der Lage
sein, den Willen zum Dasein auf Verabredung kollektiv zu verneinen. Hartmann
schwebt eine menschheitliche Willensverneinung vor, die alles andere sein soll
als ein Massenselbstmord der Menschheit. Auf dem Boden seiner Metaphysik werde
vielmehr eine restlose Aufhebung der Welt zuwege gebracht, „wenn
die negative Seite des Wollens in der Menschheit die Summe alles übrigen in der
organischen und unorganischen Welt sich objektivierenden Willens überwiegt.“
Das Universum würde sodann mit einem Schlage verschwinden. Als praktische
Bedingung hierfür nennt Hartmann „eine genügende
Kommunikation unter der Erdbevölkerung, um einen gleichzeitigen gemeinsamen
Entschluss derselben zu gestatten. In diesem Punkte, dessen Erfüllung nur
von Vervollkommnung und geschickterer Anwendung technischer Erfindungen
abhängt, hat die Phantasie freien Spielraum.“ Tatsächlich hat die Wirklichkeit
von Internet und Mobiltelefonen die Phantasie offenbar schon eingeholt.
Eine
nähere Voraussetzung für die Realisierung einer kollektiven Weltaufhebung ist
nun wie angedeutet, dass eine Willensmajorität hinter dem Entschluss zum
Weltende steht. Man ahnt es vielleicht: An dieser Stelle verlässt Hartmann mit
einer nach Lichtjahren sich bemessenden Umsicht unsere Erde und unser
Sonnensystem und berücksichtigt etwaige andere bewohnte Welten. Und auch
diesmal ist sein technologischer Optimismus schier grenzenlos:
„In dem Augenblick,
wo es uns gelingen würde, bewusste Geister auf andern Schauplätzen
erfahrungsmäßig zu konstatieren, würden dieselben Mittel, welche zu dieser
Feststellung geführt haben, vermutlich auch hinreichen, eine Verbindung der
Menschheit mit diesen planetarischen Geistern zu eröffnen, durch welche unsre
geistige Aktionssphäre über die Erde hinaus erweitert würde.“ […] Was „eine
gemeinsame Aktion der geistigen Bewohner verschiedener Himmelskörper“ angeht,
„so können wir mit Sicherheit darauf rechnen, dass zur rechten Zeit, d.h. wenn
beide Theile die Reife für die geistige Kommunikation und deren fruchtbringende
Ausnutzung erreicht haben werden, die Verbindung auch entdeckt und hergestellt
werden wird.“
Wie wahrscheinlich
ist es nun für Hartmann,
dass Lichtjahre entfernt andere intelligente Wesen „gleichzeitig“ mit uns
existieren, mit denen wir zwecks Herbeiführung des All-Endes in Kommunikation
treten müssten? Auch hier ist seine Antwort erstaunlich modern:
„Wenn man auf die große Zahl
der Fixsterne hingewiesen hat, um aus ihr eine gewisse Wahrscheinlichkeit für
die gleichzeitige Existenz anderer Schauplätze des geistigen Lebens neben dem
unsrigen abzuleiten, so hat man dabei übersehen, dass die kolossalen Zeiträume
in den kosmischen Entwicklungsprozessen dem zeitweiligen Zusammentreffen
gleicher Phasen wieder ebenso viel an Wahrscheinlichkeit rauben, als die große
Zahl der Fixsterne ihm zu gewähren scheint.“ „Wenn das bewusste Geistesleben
viele Schauplätze im Weltgebäude hat, so ist es doch höchst wahrscheinlich,
dass es auf denselben nicht gleichzeitig anzutreffen ist, sondern über
dieselben hin wandert, vielleicht mit längeren zeitlichen Zwischenpausen.“
Vor dem Hintergrund
dieser Ausführungen zeigt sich Hartmann skeptisch, was die Notwendigkeit
angeht, mit den Bewohnern anderer Welten zu kommunizieren, um einen Zeitpunkt
für die willensverneinende Aufhebung der Welt zu verabreden: „Die siderischen
Entwickelungen messen nach so ungeheuren Zeiträumen, dass es schon a priori
etwas sehr Unwahrscheinliches hat, wenn das Bestehen einer hochorganisierten
Gattung auf einem anderen Gestirn gerade mit der Dauer der Menschheit auf Erden
zusammenfallen sollte.“ Vermutlich werde es im Weltall niemals gleichzeitig
existierende Zivilisationen geben, die sich zu verabreden hätten. Ähnliche
Überlegungen wie diese sollten später von Vertretern der Astrobiologie
vorgebracht werden. Doch mit seiner Skepsis bezüglich der „Gleichzeitigkeit“
unterschiedlicher Zivilisationen im Weltall hat Hartmann noch auf andere Weise
Recht, als er seinerzeit wohl ahnen konnte. Denn seine Theorie interstellaren
kommunikativen Handelns zur Selbstaufhebung von Allem und Jedem beansprucht
eine Absolutheit physikalischer Gleichzeitigkeit, von deren einstweiliger
Unmöglichkeit zur Zeit der Fertigstellung seiner Philosophie des Unbewussten 1869 nichts bekannt war. Erst Einsteins
spezielle Relativitätstheorie von 1905 erwies mit der Begrenztheit der
Lichtgeschwindigkeit und damit allen Informationsaustauschs die Unmöglichkeit
einer für alle Zivilisationen im Weltall geltenden Gleichzeitigkeit, zu der man
sich zwecks konzertierter Willensverneinung und Weltaufhebung hätte ins
Einvernehmen setzen können.
Ist wegen der Endlichkeit der
Lichtgeschwindigkeit auch die Angst unbegründet, mit unvorsichtigerweise
ausgesendeten Signalen extraterrestrische Piraten anzulocken? Soll diese Angst
fundiert sein, bedarf es offenbar einer überlichtschnellen Weltraumfahrt oder
sonstigen Transportmöglichkeit. Ist also Stephen Hawkings Furcht vor ETI ein
indirekter Beweis dafür, dass er eine Technik nicht ausschließt, die Reisen
schneller als das Licht ermöglicht?Wie dem auch sei, uns
bleibt die von Hartmann begründete Hoffnung, dass wir tatsächlich allein im All
sind und sich das von uns auf der Erde gebotene Schauspiel anderswo nicht
wiederholt hat.
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