Erschienen in Ausgabe: No 109 (03/2015) | Letzte Änderung: 25.03.15 |
von Axel Rösike
Wohlfahrt soll kein
Schuldverhältnis sein. Der Stellenwert von Bürokratie (Herrschaft aus den
Amtsstuben) wird natürlich fraglich. Und erklärt sich nicht allein aus der
Tatsache, dass überhaupt Staatlichkeit sei, sondern ist vielmehr von
Hintergrund-Konzepten wie Wohlfahrt selbst abhängig. Zu erinnern ist abermals
an die Tatsache, dass die NS-Herrschaft sich über Amtsstuben äußerte, wiewohl
oft und nicht ganz unrichtig der mediale, propagandistische Apparat
hervorgehoben wird. Und es ist doch eine lapidare Feststellung, dass es dem
medial manipulierten Individuum scheinbar bis gewissen Graden gelang, die
Agonie der Existenz kaum zu fühlen und – wie es heute gerne heißt – Potentiale
abzurufen.
Um dieses Spannungsfeld kann es
heutzutage sinnvoll kaum gehen, da das Grundverständnis des Individuums als
zentrale Einheit oder Größe ein radikal anderes sein muss als in totalitären
Gesellschaftsformen. Dass man gerne leben solle, und nicht notgedrungen, das ließe
sich nicht als Norm fixieren. Wenigstens nicht abschließend. Ist aber ein Sinn
der Demokratie, ohne den sie nahezu sinnlos wäre. Und in dieser Reichweite
fängt ein Problem gefühlter Agonie an.
Subsidiarität ist pauschal kein
Argument für sich. Es ist eine Option zur Gestaltung rationaler Beziehungen.
Die Beziehung Bürger - Verwaltung ist nicht subsidiär. Die Verwaltung erfüllt
ihren Sinn als öffentlicher Dienst in einer Partnerschaft zu den Einwohnern
eines Landes, den Mitbürgern. Der wesentliche Anhaltspunkt ist dabei die
Anerkennung des Menschen als Mensch, nicht nur als Fall, und noch weniger als
Etwas dem Handeln von Verwaltung als untergeordnet zu behandelndem. Auch
Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des öffentlichen Dienstes sollen die Chance
erhalten, in die Reichweite der Gleichheit eintreten zu können, diese
wahrzunehmen. Dazu gehört, dass man sie derart wahrnimmt. So wenig wie sie
Befehlsempfänger / Befehlsempfängerin des Bürgers, der Bürgerin sind, so wenig
sind sie Befehlsgeber / Befehlsgeberin. Sollte diese wesentliche
Grundkonstellation durchbrochen sein, entlarvt sich ein den Grundrechten
zuwiderlaufender Prozess selbst. Das heißt von einer Seite her Amtsmissbrauch,
von der anderen anmaßendes Verhalten. (Oder verbale Notwehr).
Mit dem Erhalt der
Nachkriegsverfassung und der Erneuerung mit der Vereinigung ist die Deutsche
Gesellschaft kein Sklavenhaltersystem, kein Sträflingssystem und kein
Dienstsystem mehr. Niemand kann gezwungen werden, gegen den eigenen Willen
anderen zu Diensten zu sein. Angenommene Hilfe (im gemeinten Sinne) eröffnet
kein Schuldverhältnis, Hilfe im Sinne der Wohlfahrt ist kein Kredit, und
Schuldsklaverei ist ein mittelalterliches Thema, kein aktuelles. Das gilt in
allen gesellschaftlichen Fragen, seien diese wirtschaftlicher, ökonomischer,
religiöser, moralischer, ethischer, politischer, technischer, rechtlicher oder
sonst einer Art. Ausnahmen kommen in Momenten des (allgemeinen) Notstandes in
Frage. Oder im Zusammenhang damit. Die (gefühlte) Schuld gegenüber einem Freund,
einer Freundin, welche helfen, leihen etc, sogar möglicherweise innerhalb der
Familie, ist zunächst ganz anderer Natur.
Der Zustand der Hörigkeit ist
objektiv nicht nur aufgehoben wie ausgesetzt, sondern abgeschafft (GG Artikel
12, Artikel 2). Subsidiarität bezeichnet daher nie ein einfaches Verhältnis von
Mensch zu Mensch (GG Artikel 3). Das Moment der Unterordnung, welches im
Adjektiv subsidiär liegt, wird stattdessen im Amtsverhältnis (arbeitsrechtlich)
durch entsprechende Zuwendungen aufgewogen. Das ist das Verhältnis Arbeitgeber
– Person bzw. Dienstherrin – Amtsperson und daraus entsteht die subsidiäre
Konstellation. Das heißt Bürokratie als Beschäftigungszweig und
Tätigkeitsbereich. Das muss man klar von der Außenwirkung amtlichen Handelns
trennen können. Ausnahmen sind zulässig, sofern es um die Sicherheit, die
Unversehrtheit usw. der Öffentlichkeit oder Personen geht (zumeist im
speziellen Verständnis der Exekutive, woran gar nicht in erster Linie zu denken
war). Soweit muss und kann jeder Mitbürger, jede Mitbürgerin die Behörden
einschätzen. Im Falle des Zuwiderhandelns ist der (Amts-) Person die Kündigung
nahezulegen.
Eventuell mangelt es gar nicht an
einem freiheitlichen, demokratischen Selbstverständnis der Bevölkerung, wie man
in den allgegenwärtigen Medien-Diskussionen (Rassismus, Sexismus) oft hört oder
nahegelegt bekommt. Vielleicht ist die Bevölkerung gar nicht so unpolitisch
oder Politik verdrossen, wie oft behauptet wird (Wahlverhalten, Engagement).
Unter Umständen besitzt der Mensch sehr wohl ein intuitives Verständnis dafür,
wann man seine oder ihre Persönlichkeit kränkt, herabsetzt, verletzt,
beleidigt, nutzbar macht, in den Dreck tritt, durch den Kakao zieht, der
Lächerlichkeit preisgibt, dem Schwachsinn ausliefern will, der Hirnlosigkeit
aussetzt usw. Und dabei muss nicht mal ein spezielles juristisches Wissen
vorausgesetzt werden. Soll sich keine und keiner sagen lassen müssen, das hätte
ein Gesetzgeber, eine Gesetzgeberin so bestimmt. Es wäre schlicht eine Lüge.
Und haben wir das nötig, uns anlügen zu lassen?!
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