Erschienen in Ausgabe: No 109 (03/2015) | Letzte Änderung: 25.03.15 |
von Hans Gärtner
Gerade dann, wenn die Konzertmeister-Violine in filigranen
Tönen die E-Saite schwelgerisch traktiert, um Scheherezade von Sindbad, dem
Seefahrer und des Prinzen Kalenders werbende Ausfahrt erzählen zu lassen,
rutschen einem Orchestergeiger die Noten vom Pult. Kein böser Blick des Dirigenten,
der anstelle des zuerst vorgesehenen Lorin Maazel agiert. Scheherezade darf
weiter phantasieren. Rafael Payare, mit 35 Jahren einer der erstaunlichsten
unter den reüssierenden Dirigenten, nimmt den Zwischenfall gelassen.
Konzentriert sich aufs märchenhaft-üppige Epos, das Nikolaj Rimskij-Korsakow
1888 so wuchtig wie zauberhaft, so emotionsgeladen wie orientalisch
verschnörkelt, so exotisch wie erotisch in Töne fasste: Episoden aus „Tausend
und eine Nacht“. Der Venezulaner, der als Hornist bei „El Sistema“ des
legendären José Antonio Abreu begann und seit 10 Jahren die dirigentische
Karriereleiter hochkraxelt, spart nicht, so schmal und zerbrechlich er
wirkt,mit Brio und Energie. Lässt die
Münchner Philharmoniker ins Meer einer wunderbaren Orchester-Erzählung
abtauchen, ohne Anstrengung, mit Verve und Sinn fürs orchestrale Detail, bei
Fagott und Horn hinten nicht weniger als beim 1. Sologeiger vorne links neben
ihm. Das Matinee-Publikum horcht gebannt, wagt keinen Muckser. Bricht am Ende,
aber erst nach einer Viertelminute absoluter Durchatmens-Ruhe, in Jubel aus.
Die Ekstase baute sich orgiastisch auf – bis Sindbads Schiff an den Klippen des
Magnetbergs zerschellte.
Heftigen Applaus spendeten die Zuhörer schon vor der Pause.
Er galt den sich völlig eins gewordenen Interpreten von Jean Sibelius` 90 Jahre
altem Konzert für Violine und Orchester d-Moll op. 47: denbombensicheren, einfühlsamen Philharmonikern,
ihrem fähigen Lorin Maazel-Ersatz am Pult, aberinsonderheit dem seinen Ruf als Weltklasse-Geiger in München festigenden
Sergey Khachatryan. Der 30-Jährige stellt sich mutig der diffizilen Aufgabe,
Sibelius` zermürbender Melancholie beredten Ausdruck zu geben – und gewinnt auf
der ganzen Linie. Geschmacksicherheit und Intensität, womit sich der Armenier
in Sibelius` schwierig zu spielendes wie spröde zu rezeptierendes Werk,
gewidmet einem großen (deutschen) Violinisten seiner Zeit, Willy Burmeister,
vertieft und es mit ausgeklügelter Raffinesse meistert, ästimiert das Publikum
rückhaltlos. Es findet unter den zeitgenössischen jungen Instrumentalisten
einen neu aufgehenden Stern, der nun auch über München strahlt. Khachatryan und
Payare: ein Triumph-Gespann hochkarätiger jugendlicher
Klassik-Interpretation.
Das Duftige gewann das von Payare offenbar angetane
Orchester bereits eingangs einem Werk ab, das eigentlich heroisch daherkommt,
den Inbegriff der musikalisch gefassten Klage eines politisch widerrechtlich
Inhaftierten darstellend: Beethovens 3. Leonoren-Ouvertüre von 1806. Die
glutvolle Widerspiegelung von Verzweiflung und Hoffnung auf Rettung kostete
Payare, bei manchmal allzu kräftig geratenen Tutti-Stellen, bis ins Letzte aus.
„Fidelio“ ganz zu hören, unter Rafael Payares Leitung –
dieser Wunsch formulierte sich am Ende der 12-minütigen Einleitung eines
nachhaltig erlebten, jugendlich dominierten Konzerts in der Philharmonie am
Münchner Gasteig. Hans Gärtner
FOTO
Dirigent Rafael Payare und Soloviolinist Sergey Khachatryan
nehmen in der Philharmonie am Münchner Gasteig den starken Beifall des
Konzert-Publikums entgegen. (Foto: Hans Gärtner )
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