Erschienen in Ausgabe: No 109 (03/2015) | Letzte Änderung: 25.03.15 |
von Sebastian Sigler
Sie
handeln mit Aktien? Wofür eigentlich? Weswegen legen Sie Ihr Geld in Zertifikaten,
Fonds und Optionsscheinen an? Geht es Ihnen um die Maximierung Ihres Vermögens?
Wirklich nur darum?
Falls
Ihr Engagement an den Finanzmärkten aber irgendeinen ethischen Aspekt hat, dann
lassen Sie uns auf eine gedankliche Reise gehen. Aus Mossul im Norden des Irak
erreicht die übrige Welt ein entsetzlicher Film. Fünf Minuten lang ist zu
sehen, wie streng nach islamischer Sitte gekleidete Männer im Museum der Stadt
Mossul Kunstwerke zerstören. Es handelte sich um unersetzliche Schätze des
kulturellen Welterbes der Menschheit, um höchst wertvolle Werke aus
altorientalischer Zeit, die Mehrzahl aus den nahen Grabungsstätten, denn das
heutige Mossul ist das biblische Ninive. Zu erkennen ist unter anderem, wie Männer
mit Vorschlaghämmern wild um sich schlagen. Wie eine einzigartig schöne assyrische
Skulptur, ein Lamassu, etwa 2.700 Jahre alt, mit einem Presslufthammer zu
kleinen Steinbröckchen geschreddert wird. Der Direktor des Vorderasiatischen
Museums in Berlin, Markus Hilgert, ordnet diesen Verlust für die Menschheit
ein: „Das ist so, als würde jemand die Sphinx in Ägypten zerstören.“
Im
Video erklärt ein IS-Mitglied, die Statuen hätten Assyrern und anderen Völkern
der Vielgötterei gedient, daher seien sie zu vernichten. Das sei Allahs Wille. Doch
das ist höchstens die halbe Wahrheit – auch hier geht es um einen Handel. Nicht
Aktien, nicht Optionen, nicht Rohstoffe werden hier taxiert, sondern es geht um
ein Tauschgeschäft. Der grauenerregende Film wurde wohl genau jetzt lanciert,
weil die Vereinten Nationen den Handel mit antiken Kulturgütern gebrandmarkt
und verboten haben. Durch den Verkauf von Antiken finanzierte der „Islamische
Staat“ aber zu größeren Teilen seinen Völkermord. Der andere große Teil der
Einnahmen dieses selbsternannten Kalifats auf irakischem und syrischem Boden
war übrigens der Verkauf von Rohöl – auch der wurde nun wohl deutlich
eingedämmt. Die Einbußen scheinen Wirkung zu zeigen, und deswegen greifen die
Männer des „Islamischen Staat“, die sich selbst als strenggläubige Sunniten
sehen, zu neuen Waffen. Auch in Mossul ist offenbar bekannt, wieviel Geld
derzeit an den Börsen der Welt verdient wird. Sie und ich – wir alle sollen
gezwungen werden, einen möglichst großen Teil unserer Gewinne als Gegenleistung
für die Rettung des gemeinsamen Menschheitserbes – der Kultur! – exakt denjenigen
in die Hand zu geben, die die Welt augenscheinlich in ein bildungsloses
Zeitalter zurückbomben wollen wie einst die Roten Khmer in Kambodscha. Ganz
nebenbei: Am 2. Februar 2015 wurde mutmaßlich auf Befehl derselben Menschen,
die das Museum von Mossul schänden ließen, eine der größten und ältesten
chaldäisch-katholischen Kirchen der Welt, die „Kirche der Jungfrau Maria“ in
die Luft gesprengt. Hätten Sie’s gewusst?
Mit
Menschen wird übrigens genauso verfahren wie mit unersetzlichen Kunstwerken,
das sei hier nicht vergessen. Ein Blick nach Nigeria genügt. Die legitimen
Erben der kambodschanischen Khmer nennen sich dort Bokor Haram. Täglich werden
dort junge Männer entführt und bestialisch ermordet, zumeist Christen, und die
Täter sind fast ausnahmslos Menschen, die den Koran buchstabengetreu auslegen
und daraus die Notwendigkeit ableiten, ihre Mitmenschen abzuschlachten wie
Vieh. Junge Frauen werden übrigens auch entführt, doch sie werden
zwangsislamisiert und zwangsverheiratet. An die rund 200 Schülerinnen einer
christlichen Schule im Norden Nigerias, alle unter 14 Jahre alt, die im letzten
Jahr verschleppt worden, erinnern wir uns noch so eben. Natürlich wurden sie
nicht freigelassen. Die Eltern der Mädchen bekommen stattdessen von Bokor Haram
regelmäßig gemeldet, wie viele ihrer Töchter bereits schwanger sind – um
Krieger zu gebären.
Ja,
in Deutschland wäre all dies undenkbar. Und ja, die Form des Islam, die in
Mossul so entsetzliche Folgen zeitigt, wird hierzulande von islamischen
Verbänden so wortreich wie glaubwürdig kritisiert. Erschreckend ist indes, dass auch das entsetzlichste Handeln des
„Islamischen Staates“ durch die medinische Lesart des Koran gedeckt ist. Die
unersetzlichen Kulturgüter wurden also von Männern zerstört, die – auch – als
Moslems anzusprechen sind. Die Gutmenschen unter uns dürfen nun erschauern,
doch das ändert nichts an den Tatsachen.
Wie
grundlegend anders ist doch die Daseinsperspektive im sonnigen und
oberflächlich so idyllischen Kalifornien! Dort erstaunt die Firma Hyperloop Transportation
Technologies (HTT) in diesen Tagen mit der konkretisierten Vision einer Art
Rohrpost für Menschen, mit deren Hilfe Passagiere in einer guten halbe Stunde
von Los Angeles nach San Francisco katapultiert werden könnten. Zum Jahresende möchte
Elon Musk, der Mann hinter dem noblen E-Auto-Hersteller Tesla, dies Projekt an
die Börse bringen. Ein acht Kilometer lange Strecke entlang des Highway number
one in Kalifornien hat sich HTT jetzt gesichert, hier soll eine Teststrecke für
den Hyperloop entstehen. Gut 100 Millionen US-Dollar nimmt Elon Musk dafür in
die Hand. Mit der Vision einer menschlichen Rohrpost, die nahezu in
Überschallgeschwindigkeit durch die kalifornische Wüste rast, können also auch
Sie bald bares Geld verdienen – vielleicht. Doch was nutzt es der Menschheit,
wenn für privilegierte Passagiere die Metropolen Los Angeles und San Francisco
nur noch 34 Minuten voneinander entfernt sind, wenn zugleich unser aller kulturelles
Erbe, unsere Herkunft, unsere Identität mit banalen Vorschlaghämmern zu
Steinbrocken zermörsert wird?
Ich
wage die Prognose: Markus Hilgert hat, auch wenn es das vielleicht selbst nicht
meint, prophetische Worte gesprochen. Wenn sich der Islam nicht überall – weltweit!
– von einer medinischen zu einer mekkanischen Grundrichtung bekehrt, wird die
Sphinx die nächsten Jahre wahrscheinlich nicht überstehen. Es ist nur eine
Frage der Zeit, bis die IS-Terrormilizen, falls ihnen nicht bald mit massiver militärischer
Macht Einhalt geboten wird, auch in Ägypten einfallen werden. Oder zumindest
dort verheerende Bombenanschläge verüben. Ob der hypertrophe Hyperloop in
Kalifornien je Passagiere befördern wird? Das ist völlig offen. Die Wahrscheinlichkeit,
dass die Sphinx in absehbarer Zeit mittels geschätzter 100 Kilogramm TNT in die
Luft gejagt wird, erscheint auch angesichts der Kirchensprengung von Mossul ungleich
größer. Und nun frage ich Sie nochmals, warum Sie mit Aktien handeln, warum Sie
Ihr Depot bei Bedarf sorgfältig umschichten, warum Sie Ihr Vermögen maximieren.
Natürlich
– Ihre Altersvorsorge ist wichtig, und in Zeiten des Nullzinses ist die aktiv
gemanagte Geldanlage ein Gebot der Vernunft. Das sei unbenommen! Aber die
Kurssteigerungen sind derzeit mancherorts exorbitant, der DAX steht bei
sagenhaften 11.400 Punkten. Tun Sie vielleicht mit ihren unerwartet großen Gewinnen
doch etwas für die Bildung in Ländern, in denen die Jugendlichen mangels
schulischem Angebot allzuoft radikalen Rattenfängern in die Hände fallen? Fördern
Sie vielleicht ein Schulprojekt in Kamerun, Nigeria oder im Tschad? Oder
engagieren Sie sich möglicherweise im Denkmalschutz, wenn Sie das nächste Mal
eine Position in Ihrem Depot glattstellen, die 280 oder 350 Prozent Gewinn
ausweist? Den assyrischen Türhüter in Mossul können Sie nicht mehr retten. Aber
vielleicht den kleinen Fachwerk-Glockenturm einer mecklenburgischen Dorfkirche.
Wie
wichtig sie doch ist – die Kultur.
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