Erschienen in Ausgabe: Ohne Ausgabe | Letzte Änderung: 04.03.15 |
von Tine Nehler
Fritz von Uhde | Engel, um 1908/10
© Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Neue Pinakothek, München
Neben
den großen Meisterwerken der Kunst sind im Fundus der Pinakotheken Bild
gewordene Themenfelder und Erfahrungshorizonte geborgen, die sich den
traditionellen
Entwicklungslinien der Kunst entziehen. Häufig erschließen sich diese
nur in der täglichen Arbeit oder den individuellen Interessen der
Kuratoren, ohne im Kanon der Meisterwerke sichtbar zu werden. Das kleine
Format „curator’s choice“ ist hier die Einladung,
vom 4. März bis zum 1. Juni des Jahres in Saal 20 der Neuen Pinakothek
diesen Themen, Erfahrungen und Fragestellungen – aus der Sammlung
schöpfend und über die Sammlung hinaus – subjektiv assoziierend zu
folgen.
Die
Kunst des 19. Jahrhunderts zeigt einen dramatischen Verlust des seit
dem Mittelalter so beliebten biblischen Bildpersonals. Ob himmlischer
Bote, Torwächter
oder Schutzengel – die Aufklärung stellt die Existenz der Engel in
Frage und die Künstler vor ein Problem. Wie lassen sich Himmel und Hölle
weiterhin glaubwürdig personifizieren? Wer übernimmt nun die
Mittlerrolle hin zu Gott, Glauben, Spiritualität in der
Kunst?
Künstler wie
Peter von Cornelius
versuchten zunächst, der Figur des Engels jene Ernsthaftigkeit
zurückzugeben, die den biblischen Historien angemessen schien. Der
Rückzug des Nazareners auf die Kunst des italienischen Quattrocento
war dabei Programm; nicht die überbordende Rhetorik des Barock, in der
Engel allenthalben in den Bildern herumschwirrten, sondern die
authentische religiöse Erfahrung galt es zu rekonstruieren. Die
augenscheinliche Entfernung der Darstellung zum Alltag der
Menschen ließ jedoch die Frage nach der individuellen Erfahrung von
Spiritualität offen.
Adolph von Menzels
„Wohnzimmer mit Menzels
Schwester“ zeigt hier eine interessante Lösung. Die Szene mit der im
Hintergrund unter einem „Lüster-Engel“ aus Holz oder Gips nähenden
Mutter folgt dem ikonografischen Motiv „Die nähende Jungfrau Maria mit
Engel“, wie es etwa in dem Gemälde Guido Renis im
Palazzo Quirinale, Rom, zu sehen ist. Ganz realistisch ist die Szene
nicht, da die Mutter des Künstlers bereits ein Jahr zuvor verstorben
war; Menzel bemüht also die biblische Vorlage nicht nur, um die innige
Verbundenheit mit seiner Mutter hervorzuheben,
sondern auch um das Nachleben der Bibel im täglichen Leben deutlich zu
machen. Ähnlich auch Fritz von Uhde: Engel ja, aber als Modell in der
Pause, und auch die Szene der „Tobiaslegende“ spielt nicht am Tigris,
sondern an einem schattigen Bachlauf, zu dem
sich ein Junge aus dem Haus im Hintergrund fortgeschlichen hat, um
Fische zu angeln.
Mit
der realistischen Brechung löst sich die Darstellung der Engel aus der
Verbindlichkeit christlicher Ikonografie; sie wird subjektive
Projektionsfläche unterschiedlichster,
spiritueller Sinnsuche wie in G. F. Watts
„The Happy Warrior“ oder Paul Gauguins
„Te tamari no atua“. Tatsächlich etabliert die symbolistische Malerei
den Künstler selbst als ebenjenen Mittler spiritueller Erfahrung, die
nicht zuletzt im 20. Jahrhundert
in neuen Bildthemen, magischen Momenten oder Performances inszeniert
wird. James Lee Byars
etwa hat die Frage nach Spiritualität und Metaphysik – und damit
verbunden nach vollkommener Schönheit – immer wieder in
seinem Oeuvre thematisiert. Wie kaum ein anderer war er sich bewusst,
wie sehr Künstler und Engel sich dabei ähneln, wenn er feststellte: „I
am Imaginary“.
Kuratorenführungen
mit Joachim Kaak
MI 11.03., 25.03. | 18.30
Ausstellungsführungen
MI 29.04., 20.05. | 18.30
MO 01.06. | 15.00
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