Erschienen in Ausgabe: No 110 (04/2015) | Letzte Änderung: 13.04.15 |
von Michael Lausberg
Robert Williams: Appetite for
Destruction
Der Begriff Lowbrow als „anspruchslose
Kunst“ wurde bewusst gewählt, um sich von der „hohen Kunst“ Mitte des 20.
Jahrhunderts, die noch immer den Mainstream beherrschte, abzugrenzen. In einem Artikel in der Ausgabe
seiner Zeitschrift Juxtapoz im Februar 2006 erklärte Robert Williams,
dass er im Jahr 1979 zusammen mit Gilbert Shelton beschloss, ein Buch mit
Willams‘ Werken zu erstellen. Williams setzte durch, dass das Buch den selbstironischen
Titel „Die Lowbrow-Kunst von Robt. Williams,“ tragen sollte, da kein renommiertes
Kunstinstitut dies als Kunst bezeichnen würde. Museen, Kunstkritiker und Mainstream-Galerien
sahen zunächst die Lowbrow-Bewegung nicht als Kunst an.[1]
Obwohl der Comic in fortschrittlichen Künstlerkreisen (Picasso, Miro, Resnais,
Fellini) als Mittel der Grenzüberschreitung beliebt war, war der elitäre Dünkel
der „hohen Kunst“ noch weit verbreitet. Einige Kunstkritiker bezweifelten, dass
Lowbrow eine „legitime“ Kunstbewegung sei. Viele hatten Schwierigkeiten mit dem
figurativen Fokus des Lowbrows, den Anbau von Erzählung, und die starke
Wertschätzung der technischen Fähigkeiten. Alle diese Aspekte der Kunst wurden
in den Kunstakademien und von den Kuratoren und Kritikern in den 1980er und
90er Jahren abgelehnt. Reiner Wilk spricht aber mit Recht von einer
Wechselbeziehung von „hoher“ und „anspruchsloser“ Kunst: „Die Beziehung
zwischen der Hochkultur und der vom Kunstbetrieb akzeptierten Kunst einerseits
und der Populärkunst andererseits zeichnet sich durch ein wechselseitiges
Spannungsverhältnis aus. Einerseits grenzt sich die (hohe) Kunst von der auf
Unterhaltung und Kommerz ausgerichtete Populärkunst ab, andererseits dient die
Populärkunst, wie vorher die Volkskunst, als immer neue Inspirationsquelle für
eine zeitgemäße Kunstproduktion.“[2]
Lowbrow Art
ist eine Kunstströmung, die sich jenseits der etablierten Galerien- und
Museumsszene innerhalb in Kalifornien entwickelte.[3]
Es ist eine weit verbreitete populäre Kunstbewegung mit den Ursprüngen im
Untergrund der Comic-Szene, der Punk Musik, der „not rod“-Straßenkultur und
anderer Subkulturströmungen wie der Tattoo-Szene. Seit den 1960er Jahren
entstand ein völlig neues Phänomen der der Herausbildung eines eigenen,
internationalen Feldes der Comicproduktion, das eine eigenständige Legitimität
beansprucht. Die ersten Ausstellungen wurden in alternativen Galerien in New
York und Los Angeles, wie Psychedelic Solutions Gallery in Greenwich Village,
New York City durchgeführt. Die meisten Lowbrow Werke sind Gemälde, es
existieren aber auch digitale Kunst, Skulpturen und Spielzeug.
Zu den Künstlern der
ersten Generation des Lowbrow gehörten Robert Williams, Nick Griffin, Gilbert
Shelton, Victor Moscoso und Robert Crumb. Die frühen Arbeiten waren bestimmt
von apokalyptischen Motiven, phantastischen Gestalten aber leider auch Gewalt
und Sexismus.
Rick Griffin
(18.6 1944-18.8.1991) war ein US-amerikanischer Plakat- und Comic-Zeichner im psychedelischen
Stil. Neben Stanley Mouse, Alton Kelley, Victor Moscoso und Wes Wilson gehörte
Griffin zu den führenden Protagonisten der Plakatkunst der 1960er Jahre, den
San Francisco 5. Griffin zeichnete auch Underground-Comix für verschiedene
Magazine. Er entwarf auch Schallplattencover wie das von Grateful Deads
Aoxomoxoa, das von der Musikzeitschrift Rolling Stone zum achtbesten Albencover
aller Zeiten gewählt wurde. Immer wiederkehrende Motive in seinen Zeichnungen
waren Phantasiegestalten wie Monster, Pilze und verfremdete Indianergestalten.
Gilbert
Shelton gilt als einer der Gründerväter des amerikanischen Underground-Comics („Comix“). Seine
bekanntesten Comicserien sind The
Fabulous Furry Freak und Fat Freddy's Cat, die die beiden Serien
hohe Auflagen in vielen Ländern erreichten.
Victor
Moscoso gehörte zu
den San Francisco 5 und machte sich durch die Herstellung von psychedelischen Rock-Plakaten,
Anzeigen und Underground-Comics in San Francisco in den 1960er und 1970er
Jahren einen Namen. Seine Plakatkunst für Clubs oder Tanzlokale in San
Francisco und Umgebung machten ihn ebenfalls bekannt.
Robert Crumb schuf in
Haften wie Zap Comic Figuren, die
sich gegen das kulturelle Establishment zu dieser Zeit wandten. Seine
Comic-Stil und die damit verbundenen satirischen Werke zogen eine Reihe von
jungen Künstlern an. die sexuell und politisch anstößig wirkten. Seine
Zeichnungen wurden aber auch zu Recht als sexistisch und teilweise rassistisch
kritisiert. Weiterhin entwarf er für Janis Joplin das Frontcover für ihr Album Cheap
Thrills und die Schrift für das Album I Got Dem Ol' Kozmic Blues Again
Mama!.
Robert Williams
ist vielleicht der bekannteste Vertreter der Lowbrow-Kunst. Seine
psychedelischen Bilder und Comics waren beeinflusst von filmischer Apokalyptik,
phantastischer Literatur und Film Noir. Er produzierte Zap-Comics und gründete das Juxtapoz Art & Culture Magazine.
Seit den 1980er Jahren wurde er von der aufkommenden Punk-Rock-Bewegung
inspiriert und wurde vor allem mit seinen Zombie Geheimnis Gemälden einem breiteren Publikum bekannt.
Die Lowbrow-Kunst war in
kultureller und gesellschaftspolitischer Hinsicht eng mit dem „Summer of Love“
in San Francisco mit dem Höhepunkt 1967 verbunden. Im Winter 65/66 gab die
ersten großen, mehrtägigen Partys und Festivals in San Francisco und es
entwickelte sich eine Subkultur, die immer mehr Anhänger fand. Der Grafiker Wes
Wilson benutzte für Poster zu diesen Partys neuartige grafische Formen, aus
denen die psychedelische Kunst entstand.[4]
Durch das Monterey International Pop Festival vom 16. bis 18. Juni 1967
etablierte sich die Hippie-Bewegung auch außerhalb der USA.
Das von Robert Williams gegründete
Magazin „Juxtapoz“ ist die
erforlgreichste Kunstzeitschrift in den USA.[5]
Die aktuell wichtigsten Zeitschriften neben „Juxtapoz“ sind das Raw Vision Magazin, das Farbbilder und
Kurzbeiträgen von Nicht-Mainstream-Künstlern herausbringt. Das Decay Magazine dokumentiert
die Konvergenz der Bildenden Kunst, Graffiti, Design, Mode, Musik und andere
moderne Formen der Kunst. In Großbritannien ist das Kunst und Lifestyle Magazin Pinstriping & Kustom
Graphics Magazine mit Künstlern aus der ganzen Welt führend.
In Europa dienten Werbeplakate von Henri
Toulouse Lautrec, Alfons Mucha, Theophile Steinlein, Jules Cheret oder Leonetto
Cappiello als Vorbilder der figurativen Kunst. Der Durchbruch des Lowbrows in
Europa bedeuteten die erste Urban Art Messe „Stroke 01“ in München 2009, das „Ne dans la rue“ Projekt in Paris sowie das Nuart Festival in
Norwegen. Flankiert von Ausstellungen europäischer Galerien setzte sich Lowbrow
auch allmählich als anerkannte Kunstrichtung durch.
Der deutsche Künstler Heiko Müller ist
mit Lowbrow-Kunst international sehr erfolgreich; seine Arbeiten werden von
Galeristen in den USA, Spanien und Italien betreut. Mit Kombinationen aus
Computergraphiken und mittelalterlichen Ikonen des Christentums wurde er einem
breiteren Publikum bekannt. In der jüngeren Vergangenheit verlegte er sich vor
allem auf Tierporträts in einer apokalyptischen Atmosphäre. Müller selbst
bezeichnet seine Kunst eher als „Assoziativen Realismus“. Seine Werke wurden
unter anderem in New York, Los Angeles, Seattle, Chicago, Paris, St. Petersburg
und Tartu/Estland ausgestellt. In der BRD schuf Müller zusammen mit dem
Galeristen Ralf Krüger die seit 2006 jedes Jahr stattfindende „Don’t Wake Daddy“ Ausstellungsreihe von
Lowbrow-Kunst und Pop-Surrealismus in Hamburg, an der bedeutende Künstler aus
Europa und den USA teilnehmen.
[1] Anderson, K.: Pop-Surrealismus. Der
Aufstieg der U-Bahn-Kunst, San Francisco 2005, S. 17
[2] Wilk, R.: Aspekte der Kulturgeschichte,
Berlin 1993, S. 75f
[3]
http://deutsch-themen.de/lowbrow_(art_movement)
[4] The Charlatans und die befreundeten The Family Dog erfanden schon im
Sommer 1965 auf einer gemeinsamen Tour einen Musik- und Tanzstil, der als psychedelisch bezeichnet wurde.
[5] Dukes Jordan, M.: Weirdo Deluxe: die wilde Welt der
Pop-Surrealismus und Lowbrow-Kunst. San Francisco 2005, S. 23
http://www.robtwilliamsstudio.com/
http://www.robtwilliamsstudio.com/
>> Kommentar zu diesem Artikel schreiben. <<
Um diesen Artikel zu kommentieren, melden Sie sich bitte hier an.