Erschienen in Ausgabe: No 111 (05/2015) | Letzte Änderung: 14.05.15 |
von Hans Gärtner
Könnte gut sein, dass jemand mal ein, zwei Tage in München
Kultur tanken – und damit aus dem Dunkel des Winters ans Licht will. Hier sind
drei lohnende Ziele: Ausstellungen, die es schaffen, den Frühling einkehren zu
lassen. Finster ist`s allerdings in der Galerie des Münchner Literaturhauses.
Geht nicht anders; denn die Dokumente, Briefe, Erstausgaben und Fotos rund um
das Thema „Wir brauchen einen ganz anderen Mut!“ sind vor Lichteinwirkung zu
schützen. Hier geht`s um den österreichisch-jüdischen Großdichter Stefan Zweig
(1881 bis 1942) und seinen „Abschied von Europa“. Bekanntlich verließ Zweig
1934, als sein schönes, noch heute auf dem Kapuzinerberg stehendes Salzburger
„Schlössl“ durchsucht wurde, die Heimat, ging 6 Jahre ins Exil nach England und
von dort zunächst nach New York, um 1940 nach Südamerika zu wechseln. Hier
schied er, Tragik des Daseins, mit seiner Frau Lotte freiwillig aus dem Leben.
Das letztlich an den politischen Zeit-Wirrnissen
gescheiterte Dichter-Leben stellen Kurator Klemens Renoldner und Designer Peter
Karlhuber eindrücklich dar. Der zuerst aus-, dann eingerollte großbürgerlich
gemusterte Teppich veranschaulicht ein Emigranten-Schicksal ebenso nachhaltig
wie die rings um das Modell des von Zweig oft besuchten Wiener Grand Hotels „Métropole“
laufenden Fleischerhaken. An ihnen hängen – Symbole der Gestapo-Brutalität –
Ledermäntel. In Vitrinen wird dezidiert auf Zweigs „Schachnovelle“ und das
ebenfalls posthum erschienene Werk „Die Welt von Gestern“ eingegangen.
Umzugskartons mit Zweigs gesammelten Autographen-Schätzen und Promi-Fotos
veranschaulichen die glücklose Beheimatung eines genialen Autors, der mit
„Sternstunden der Menschheit“ (1927) in die Weltliteratur einging.
Über allem, was da über einen der bedeutendsten
Schriftsteller des 20. Jahrhunderts zu erfahren ist, schwebt der Schmerz – des
Verlustes, des Scheiterns, der eingebüßten Freiheit, des Getrieben-Seins.
Schmerz empfindet man im Haus der Kunst: im Saal mit den „Zellen“ der
großartigen, 2010 mit 99 Jahren gestorbenen Pariser Künstlerin Louise
Bourgeois. Ihrem Mitarbeiter Jerry Gorovy ist die „bisher größte Ausstellung
ihrer späten Installationen“ zu danken. So „Weltkunst“- Chefin Lisa Zeitz, die
kurze Zeit in derselben New Yorker Straße Chelseas lebte wie die von ihr bewunderte,
noch weit bis in die 90er Jahre quicklebendig erlebte Künstlerin. Was zeigt
sie? Zwitterwesen, die verdoppelt werden, Arrangements auf Spiegeltischen, in
Gitterkäfigen hängende Stühle, Schlafkammern mit gläsernen und wächsernen
medizinischen Utensilien, amorphe Kunststoffskulpturen, schwebende Fallbeile.
Und riesige Spinnen, die für sie die Tiere der Beschaulichkeit waren. Mit den
„Cells“ begann Bourgeois 1991. Sie machten sie weltberühmt. Jede von ihnen,
sagte sie einmal, befasse sich „mit dem Vergnügen des Voyeurs, dem Schauer des
Sehens und Gesehenwerdens“.
Vom Schmerz zur Schönheit. Die ist in froh stimmender,
erhebender Dichte in der Ausstellung „Bella Figura“ des Bayerischen
Nationalmuseums zu erleben. Zu sehen: 80 Bronzen und 25 Grafiken und
Zeichnungen um Meisterstücke europäischer Bronze-Kunst in Süddeutschland um
1600. Florenz gesellt sich als europäisches Zentrum des Bronzegießens Augsburg
und München zu. Vom Arno holte man Giambolognas graziösen „Medici-Merkur“(um
1580) an die Isar. Tänzerisch, einen Arm in der Höhe mit getrecktem
Zeigefinger, steht der schlanke, junge, kopfbeflügelte Gott mit einem Bein auf
dem Puste-Ausstoß eines ihm zu Füßen liegenden Windgott-Mundes. Nackt wie er
sind alle kraft- und muskelstrotzenden männlichen Bronze-Gestalten – daher der
registriert hohe Damen-Anteil der Besucherschaft, wie ein Museumswart lächelnd
vermutete.
Viele, vor allem kleinformatige Gruppen, die Männer- und
Frauen-Bronzegestalten im Adam/Eva-Kostüm eng umschlungen zeigen, sind
thematisch der römisch-griechischen Mythologie entsprungen. Sie waren für
Kunst- und Wunderkammern bestimmt. Alle verströmen sie geballte Vitalität und
unverhohlene Erotik und lösen Ergötzen, selbst bei Schulklassen-Führungen, aus.
Das von der Ursprünglichkeit der „Figurae“ entzückte Jungvolk wird vom
„Lustrausch der Beweglichkeit“ und der „Freude an schier unglaublicher
plastischer Präzision“ (H. Eggebrecht) spontan ergriffen. Erwachsene gehen da
bedächtiger, kritischer vor.
Sie bevorzugen, wohl ihres fortgeschrittenen Alters wegen,
biblisch-religiöse in Bronze gegossene Themen. Vier davon seien ausgewählt: 1.
Das Bronzerelief „Die Lazaruserweckung“ vom Mermann-Grabmal für die Münchner
Sankt Salvator-Kirche schuf der herzogliche Münchner Hofbildhauer Hubert
Gerhard um 1545. Thomas Mermann war Leibarzt und vertrauter Rat dreier
Bayernherzöge. 2. Das älteste der sechs „Passions-Reliefs“ des Flamen
Giambologna (1529 – 1608) entstand um 1580. 3. Von Giambolognas Bronzeguss „Die
Grablegung Christi“, Florenz um 1600, war bislang nur eine Genueser Version
bekannt. 4. Das auf einer Schautafel erklärte monumentale Stiftergrabmal für
Wilhelm V. und Gattin Renata von Lothringen war für die Münchner Jesuitenkirche
vorgesehen, wurde aber aus Geldmangel nicht aufgestellt. Giambolognas Kruzifix
und die von seinem Schüler Hans Reichle aus Schongau ergänzte kniende Magdalena
beeindrucken durch die leidenszeichen-freie Gestalt des Gekreuzigten wie durch
die üppige Gewandung der Büßerin.
Den einzigen Schmerz, den man in dieser Ausstellung
empfinden mag, ist der des für den 25. Mai unweigerlich anberaumten Abschieds
von all der hier versammelten Innigkeit und Schönheit, deren Alter – fast ein
halbes Jahrtausend – man bedenke, um sie noch höher einzuschätzen als sie es eh
schon verdienen.
Die drei Münchner Ausstellungen:
1.„Wir brauchen einen ganz anderen Mut. Stefan
Zweig – Abschied von Europa“, Literaturhaus,
bis 7. Juni (Mo bis Fr 11 - 19 Uhr, Sa, So 10 – 18 Uhr)
2.„Louise Bourgeois – Strukturen des Daseins: Die
Zellen“, Haus der Kunst, bis 2. 8.
(Mo bis So 10 – 20 Uhr, Do 10 – 22 Uhr)
3.„Bella Figura. Europäische Bronzekunst in
Süddeutschland um 1600“, Bayerisches
Nationalmuseum, bis 25. Mai (Di bis Do 10 – 17 Uhr, Do 10 – 20 Uhr)
FOTO (Hans
Gärtner)
Der um 1580 von Giambologna (ca. 1529 bis 1608)
geschaffene „Medici-Merkur“ empfängt den Besucher am Eingang.
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