Erschienen in Ausgabe: No 110 (04/2015) | Letzte Änderung: 13.04.15 |
von Axel Reitel
„Auch
jetzt noch sind die sonntäglichen Sportveranstaltungen in einem zu Bersten
gefüllten Stadion und das Theater, das ich mit einer Leidenschaft ohnegleichen
liebte, die einzigen Stätten auf der Welt, wo ich mich unschuldig fühle.“
Albert Camus, Der Fall
Das Vorwort schon stimmt hoch ein. Und Vorwort-Autor Markus
Hesselmann behält auch recht. Die ersten Seiten bereits machen klar, warum diese
Texte so hammermäßig gelobt werden. „Die Fußballkunst wird vom interessierten
Volk in allen möglichen Formen goutiert“, bekennt der Autor, wem er bei seinen
Reportagen aufs Maul schaut, in Kolumne 11 - der die Überschrift auch entnommen
ist.
„Fliegen kann jeder“- aber wer schreibt, nimmt
„den harten Weg“ (S.9). Ein guter Autor nimmt dabei, was er verwerten kann. Eine
Kunst, die von Frank Willmann perfekt beherrscht wird. Dieser Autor fängt so
gut wohl wie alles ein, was den Leuten durch den Kopf geht - und was sie mit
der Zeit wieder vergessen hätten, weil immerdar abgelenkt und beherrscht davon
, „bestimmte Rituale einzuhalten“ (S. 61).
Frank Willmann schreibt klug und phantasievoll, er
geißelt, er motzt, er lacht, er sieht die Zusammenhänge und gießt sie in
staunen machende, hochpoetische Bilder. Er nimmt auch kein Blatt vor den Mund.
Tüchtig teilt vor allem namentlich nach oben aus, etwa wenn Beckenbauer oder
Hoeneß verbal unsinnig werden oder wenn eine „Person wie Katrin
Müller-Hohenstein ... sich gern mal vor lauter Verzückung einen inneren
Reichsparteitag gönnt“ (Seite 156). Er legt den Finger auf die Wunde.
Dabei ist der Autor Frank Willmann dem Feminismus
keineswegs abhold, im Gegenteil, er schreibt klar und deutlich, dass das
brachiale Gehabe mancher Fanschaften es nur beim Männerfußball gibt; auch die
hier und da eingeschobenen Familienbilder mit der hochklugen Ehefrau und dem
gemeinsamen Sohn klingen inspiriert an.
Frank Willmann legt den Finger auf die Wunde, aber bohrt
in der Wunder nicht herum, sondern macht es eher wie „der Geist von Berni“
(S.88f), er „hört hin und gleichsam weg“. Was bleibt ist Quintessenz. Die Schwächen
des Einzelnen sind die Schwächen aller.
Schärfer geht er um mit den Abgründen des blasser zwar
gewordenen - doch immer noch zupackenden braunen Himmels über Deutschland - sie
lassen Frank Willmann (wie auch den Rezensenten) erschauern. An diesem Punk
lässt der Kolumnist, zu Recht, Null-Komma -Nichts durchgehen, auch kein
„klitzekleines 'Heil'“ im Hallraum des „angestimmten Kurzgesangs 'Sieg'“
(S.154).Und Frank Willmann drückt sich so aus, dass es sitzt. Derartige
„Szenerien“ verderben die Weltmeistertitel-Freuden fürwahr.
Der dicke Rest des Buches folgt dem Hauptmotiv indessen:
„Lachen ist gesund“. Keine Barrieren. Nirgendwo. Ein Zaun ist „kein Hindernis“,
noch wie Zyankali ätzende Fangesänge (S.120). Ob „sympathischer Club“ (S.121)
oder „nimmersattes Monstrum“ (S. 151). Frank Willmann ist überall zu Hause und
erweist sich als rasender Fußballreporter nicht nur in Deutschland - das er
ironisch verkürzt auf Schland - sondern „in jeder Himmelsrichtung“. Ost- und
Westeuropa, Südamerika: neben philosophischen Fußballbetrachtungen hat er
ebenfalls erstrangige Städtebeschreibungen drauf.
Den Anker dabei tief im Bitumen der unteren Ränge, mitten
im Menschenmeer der verschmähten breiten Masse, in der aber eben auch noch
Ehrlichkeit , Lebensfreude und Unschärfe als Regulativ zu Hause sind.
Hier lebt man eben noch die Kunst, über menschliche
Schwächen hinwegzusehen. Und so mischt auch der Autor Willmann von den gern
übersehenen eigentlich nur die großen verzapften Übel in seine
Fußballnachrichten mit ein und zeigt so nebenbei, wie wahres Engagement den
Spaß nicht einfach so mal auf der Strecke lässt.
Empfiehlt sich hier das Bild von Diogenes? Der Rezensent
hat keine Ahnung, er tauchte einfach auf. Wie weiland mit seiner Laterne durch
die breiten Masse von Athen, hält er dir den Spiegel vor Augen und ruft:
„Menschen suche ich! Menschen!“ Und warum nicht? Zieht doch auch unser
Kolumnist von Stadion zu Stadion, stets auf der Suche nach dem Menschlichen im
wahren, echten, alle glücklich machenden Fußball.
Der Rezensent bekennt im vollen Umfang seine
Begeisterung. Frank Willmann schreibt in seiner Fußballkolumne (in: Der
Tagesspiegel) Sätze wie bunte Schüsse, mit denen er den Fußball in die hohe
Literatur „schießt“. Wo er bisher kaum war. Was gefehlt hatte bisher. Das ist
Frank Willmanns Verdienst. Diese Kolumnen sind so schön wie irre unterhaltsame
Filme.„Ein inneres Blumenpflücken“, nennt ein Facebook - Kommentator das Lesen
dieser Texte. Eine Stimme aus der breiten Masse. Von den unteren Rängen.
Gegönnt sei ihr das letzte Wort hier.
Frank Willmann Kassiber aus der Gummizelle. Geschichten
vom Fußball. Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2015, 160 Seiten. Englische
Broschur. ISBN 978-3-7307-0169-0 € 9,90.
Frank Willmann Kassiber aus der Gummizelle. Geschichten vom
Fußball.Verlag Die Werkstatt, Göttingen
2015, 160 Seiten. Englische Broschur. ISBN 978-3-7307-0169-0 € 9,90.
Quelle:
http://www.weltexpress.de/
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