Erschienen in Ausgabe: No 113 (07/2015) | Letzte Änderung: 18.07.15 |
Eine fulminante szenische Lesung am 11. Juni 2015 mit Harry Baer und Axel Pape in der „Bar jeder Vernunft“. Weitere Lesungen folgen
von Axel Reitel
Harry Baer und Axel Pape: Fotograf: Florian Lein
Zwei Stühle. Ein Tisch. Ein
Mikrophonständer. Ein fossiles Tonbandgerät, von dem unerwarteter WeiseKlang-und Stimmschnipsel aus der deutschen
Vergangenheit erklingen. Derart wurdedas Publikum auf die szenische Lesung mit Harry Baer und Axel Pape
eingestimmt. Gelesen werden sollte aus dem Drehbuch des Fassbinderfilms „Lola“.
Als der Film 1981 in die Kinos kam, galt er als Ereignis. Das Tonband rief mit
alten Nachrichten jene Vergangenheit auf den Plan. Es mühte sich. Sonst blieb
die Bühne leer. Das ging so einige Minuten und der Kritiker dachte mit Benno
Besson: Ein Theater ohne größere Ausstrahlung finde ich nicht gesund. Mit dem
Auftritt endlich von Harry Baer und Axel Pape, flohen alle Bedenken hinweg. Das
Stück gibt die lebhafte ewige alte Mähr von Gleichgültigkeit und Geld. Daraus
machte Wedekind schon „Lolas“ Seelenverwandte „Lulu“.
Auch „Lola“, von den Autoren des Drehbuchs
- Peter Mertesheimer und Pea Fröhlich - in eine bayerische Kleinstadt verortet,
wird vom sündigen Sinnenreigen der Herren der Stadt als Edelnutte gleichermaßen
hofiert wie missbraucht.Sowas gab es
sogar in echtund zwar in den 1980er in
Berlin (West). Da besaß der bekannte Abgeordnete L.eine eigene Suite in einem Puff auf der
Kurfürstenstraße. Ein brisantes Stück also - aber zu lange her? Der Skandal um
jenen französischen Politiker und dem afrikanischen Zimmermädchen liegt erst
wenige Jahre zurück; vor allem aber geht es um den dargebotenen Abend mit zwei
ganz hervorragenden Schauspielern, die es nicht nur mit Bravour verstanden,
einem den schändenden Figurenreigen um Lola plastisch vor Augen zu führen.
Beide Schauspieler präsentierten den Inhalt
darüber hinaus als Gespann im Widerstreit, was in Eigenregie entstand und also
nicht zum Drehbuch gehörte. Genau damit aber fügten sie neben der Ebene des
Stoffs und der Ebene seiner Vergangenheit die dritte Ebene ein, nämlich der
kritischen Gegenwart. Das ist auch eine einnehmende Art Mauern einzureißen, um
weiter zu können. Und in dieser Richtung ging es denn auch aufs Feinste weiter.Beide gruppierten unerbittlich dieeinzelnen Szenen in kleinere und größere aber
stets greifbare Bilder. Weder kam ein Abservieren der Handlung auf, noch war es
das bloße Nachbauen einer handfesten Geschichte.Vielmehr erlebte das Publikum eine einzigartige
Wirkung, die auf überzeugende Weise allein von den beiden beteiligten
Schauspielern ausging.
Harry Baer brillierte [zudem] mit
spannenden Anekdoten aus seiner Zeit als Akteur in Fassbinders Drehstab. Zu
diesem gehörte weiland auch der heutige Weltstar Armin Müller-Stahl, für den es
immerhin die erste Rolle nach seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik war.
Auf die Frage nach dem Geheimnis guter Schauspielerei, sagte Müller-Stahl
einmal, es wären die Pausen. Dieser Anforderung nun zeigte sich Axel Pape
vollkommen gewachsen. Als kongenialer Part beeindruckte er zudem mit einem wohl
eher selten gewordenen Facettenreichtum. Zwar ist auch dasStück „Lola“nach dem Leben geschrieben, keine Frage, da geht es um die ganz reale,
keine Leichen scheuende Gier nach dem immer süßen Leben. Dagegen ist die
Aufgabe der Sprache eines Stücks wie seiner Schauspieler der „Triumph über die
Realität“. Und genau das ist Harry Baer und Axel Pape mit ihrer wunderbaren
szenischen Lesung in der „Bar jeder Vernunft“ auf das Vortrefflichste
gelungen.
Weitere Termine unter www.lola-lesung.de
10 Fragen an Harry Baer und Axel Pape
anlässlich des gemeinsamen Programms einer szenischen Lesung desDrehbuchs des erfolgreichen Fassbinder-Films
„Lola“.
1. Welche Spuren hat Fassbinder für Sie beide als Anreger und
Sinngeber hinterlassen?
Axel Pape:
Z.B. Katzelmacher,
Händler der vier Jahreszeiten, Acht Stunden sind kein Tag und Lola. Ich glaube,
dass haben wir als Jugendliche instinktiv verstanden. Damit hat Fassbinder bei
uns wahrscheinlich mehr erreicht als bei manchem Filmkritiker - und
Jugenderinnerungen bleiben natürlich...
Harry Baer:
Er hat mein Leben
total verändert, sonst wär ich heute pensionierter Lehrer in Dingolfing.
2. Könnte man sagen, dass Sie mit Ihrer Lola-Lesungauch eine Chance sehen,beim jungen Publikumgerade ein neues Verständnis für Fassbinder
anzukurbeln?
Axel Pape:
Wenn man nach den
Publikumsreaktionen geht, ja. Ein junges Mädchen hat gesagt: Sie habe von
Fassbinder keine Ahnung und sie fände „so was (Lesungen) eigentlich langweilig,
aber das (unser Abend) war voll gut, echt klasse“.
Harry Baer:
Das Verständnis für
die immer gleich bleibenden Probleme ist die Chance und Humor natürlich.
3. Gab es für Fassbinder - und auch für Sie - eine womöglich
auch nur fiktive – Zielgruppe - etwa eine assoziative Öffentlichkeit?Oder geht von Fassbinder noch eine andere
Linie aus, die sich bis heute fortsetzt?
Axel Pape:
Ich weiß nicht, wie
es bei Fassbinder war, aber ich würde als Zielgruppe niemand ausschließen.
Unser Premieren-Publikum war ja ein guter Querschnitt und ist sehr gut
mitgegangen. Die verbindende Linie ist wahrscheinlich eine gute Geschichte und
sich zu bemühen, sie gut zu erzählen.
Harry Baer:
Fassbinder hat
Filmgeschichte geschrieben, ohne an Zielgruppen zu denken.
4. Unter anderem offenbart ihr Programm, wie
sehr Fassbinder seinen Schauspielern auchdie Freiheit ließ,eigene Ideen
umzusetzen, in die Figur einzubringen, unter anderemanhand einiger bezaubernden Anekdoten um den
Schauspieler Mario Adorf, der den zu Geld gekommenen Proll Schuckert quasi noch
einmal selber erschaffen hat. Ist das eine gewisse Ausgleichsbewegung zwischenRegie und Schauspieler gewesen?
Harry Baer:
Ja,nicht nur bei Mario Adorf, das war allen die
Ausgleichsbewegung.
Axel Pape:
Und Fassbinder hat
wahrscheinlich ein gutes Händchen für seine Besetzungen gehabt...
5. Könnte man sagen, dass für alle Beteiligten der Filme
Fassbinders diese Zeit nicht ohne die Beobachtung aktueller politischer
Konflikte verlaufen ist?
Axel Pape:
Ich glaube, dass
die Menschen politische oder gesellschaftliche Konflikte zwangsläufig
beobachten, weil sie schwer zu übersehen sind, in jeder Epoche.
Harry
Baer:
Natürlich nicht.
6. Der Film „Lola“ kam im Jahr 1981 ins deutsche Kino. Die
Jahre 1980/81 selbst waren dominiert vom Afghanistan-Konflikt, von der
Teheran-Kontroverse und der aufgrund der geplanten Stationierungder Mittelstreckenraketen erstarkten
Friedensbewegung. Der Film aber versetzte das Publikum in das Jahr 1957, in
eine bayerische Kleinstadt, in der eine Hand die andere wäscht, wogegen
fatalerweise am Ende kein Kraut gewachsen ist. Er führt also an die Wurzeln
zurück und rührt kräftig an neu-tradierte Gründungsmythen. Hat Sie beide da am
Ende eine gemeinsameGrundeinstellung
zusammengeführt? Wie haben Sie sich kennengelernt?
Axel Pape und Harry
Baer
Ich denke, da sind
wir nicht die einzigen, die sehen, dass bestimmte Strukturen damals wie heute
vorkommen. Wenn sie heute Bauskandal im Netz eingeben, finden sie die gleichen
Szenarien wie damals bei Lola: Geld, Gier, Korruption und Girls... Also, diese
gemeinsame Beobachtung teilen wir wahrscheinlich mit vielen.
7. Lieber Herr Baer, wie ist Ihre Zusammenarbeit mit Fassbinder
zustande gekommen?
Harry Baer:
Ich kam 1969 als
Schulbandschlagzeuger zum antiteater und daraus sind vierzehn Jahre Filme
machen geworden.
8. Was hatte Fassbinder die Freiheit für die Umsetzung seiner
Filme gegeben? Hat er am Ende nie mit der Bundesrepublik als ernst zu nehmendes
demokratisches Land gerechnet? In den Figuren und im Milieu war dieses Land ja
drin. Oder wie viel Bundesrepublik war tatsächlich in seinem Filmen?
Harry Baer:
An Wiedervereinigung
war zu dem Zeitpunkt nicht zu denken. Wir konnten nur über die Bundesrepublik
denken und schreiben.
Axel Pape:
Das war für uns ja
das spannende, unser Land durch eine neue Brille zu sehen.
9. Außerhalb von Fassbinder gab es ja viel Bestätigungs-Kino
einer sich nolens volens heilenden Welt. Würden Sie beide - oder jeder für sich
-sagen, dass es eine besondere Qualität
Fassbinders war, unter ganz eigenen Bedingungen eine eigene – vielmehr die
wirkliche Wirklichkeit spiegelnde - Filmsprache hervorgebracht zu haben?
Harry Baer:
Ja. Die besten
Beispiele sind Katzelmacher und die darauf folgenden Filme.
Axel Pape:
Klar. Da wurden
Wahrheiten versucht zu treffen, die in anderen Filmen nicht vorkamen.
Aber dabei war es
immer auch menschlich und sogar humorvoll.
10. Hat es vorher Vergleichbares gegeben?
Harry Baer:
Nein.
Axel Pape:
Nein.
Ich danke Ihnen für das Interview.
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