Erschienen in Ausgabe: No 114 (08/2015) | Letzte Änderung: 06.08.15 |
von Jörg Bernhard Bilke
Herbert Hupkas Geburt 1915 auf der Insel Ceylon war so
ungewöhnlich wie sein Tod 2006 in Bonn. Dass er weit weg von seiner
schlesischen Heimat, die er ein Leben lang im Herzen trug, am 15. August 1915
geboren wurde, lag daran, dass seine Eltern, Erich und Therese Hupka, mit dem
Schiff unterwegs waren nach Tsingtau in China, wo der Vater eine Professur für
Physik angenommen hatte. Unterwegs wurden sie, die im Sommer 2014 im
oberschlesischen Ratibor geheiratet hatten, vom Ausbruch des Ersten Weltkriegsüberrascht und von den Engländern, den
Kriegsgegnern der Deutschen, gefangen genommen und in ein Internierungslager
nach Ceylon, das seit 1803 britisches Kolonialgebiet war, verbracht. Später
kamen sie in ein Internierungslager nach Australien, auf der Rückreise nach
Deutschland 1919 starb der Vater an Lungenpest.
Und auch Herbert Hupkas Tod am 24. August 2006 in der Bonner
Lessingstraße 26 war ungewöhnlich: Er starb nach einem Sturz im Treppenhaus,
neun Tage nach seinem 91. Geburtstag. Seine Frau Eva (1931-2012), die unter
noch immer ungeklärten Umständen in der Bonner Wohnung verstorben war, wurde
erst Wochen nach ihrem Tod aufgefunden, Sohn Thomas, 1960 in Bonn geboren, ist bis heute unauffindbar!
Herbert Hupkas Mutter, eine geborene Therese Rosenthal,
deren Eltern vom Judentum zum Protestantismus konvertiert waren, kehrte als
junge Witwe im Juli 1919 über Rotterdam mit ihren Sohn Herbert nach Ratibor
zurück, der von Ostern 1921 an die katholische Volksschule besuchte. Den Sohn
katholisch zu erziehen, das war das Versprechen, das Erich Hupka noch auf dem
Totenbett seiner Frau Therese abgenommen hatte. Dass Herbert Hupka unter diesen
Vorzeichen ein Verehrer des katholischen Dichters Joseph von Eichendorff
(1788-1857) aus Lubowitz werden würde, verstand sich von selbst, zumal vor dem
Landratsamt in Ratibor ein Denkmal des Dichters der „Mondnacht“ stand und
Schloss Lubowitz nur neun Kilometer oderabwärts lag.
Nach der „Machtergreifung“ am 30. Januar 1933 wurde Herbert
Hupka, der nach NS-Begriffen als „Halbjude“ galt, wegen seiner jüdischen
Mutter, die elf Jahre später ins Konzentrationslager Theresienstadt verschleppt
werden sollte, angefeindet, durfte aber am Evangelischen Humanistischen
Gymnasium, wo er Latein und Altgriechisch lernte, 1934 noch das Abitur ablegen.
Danach studierte er, wie Joseph von Eichendorff, an der preußischen Universität
in Halle und später in Leipzig, wo sein vom Niederrhein stammender Doktorvater
Theodor Frings(1886-1968) Altgermanistik lehrte, Germanistik, Kunstgeschichte,
Geografie, auch der Philosoph Hans-Georg Gadamer (1900-2002) war einer seiner
akademischen Lehrer. Während er das Staatsexamen zur Lehrbefähigung an Höheren
Schulen noch ablegen konnte, wurde ihm als „Halbjuden“ das Rigorosum zunächst
verweigert, er konnte aber am 25. und 27. Mai 1940, während des Krieges, die
Doktorprüfung nachholen.
Am 29. August 1939 war er zur Wehrmacht eingezogen worden
und diente als Besatzungssoldat in Frankreich, Rumänien, Bulgarien und
Griechenland. Hier in Südosteuropa wurde er mit Malaria infiziert und in ein
Lazarett nach Freiberg in Sachsen verlegt. Kaum genesen, wurde er verhaftet und
1943 vor ein Kriegsgericht gestellt, weil er bei der Beförderung zum Leutnant
der Reserve verschwiegen hatte, durch seine Mutter „jüdischer Mischling ersten
Grades“ zu sein. Deutschen „nichtarischer“ Abstammung nämlich war der Aufstieg
ins Offizierscorps der Wehrmacht versagt. Deshalb wurde er am 23. März 1943 zu
einem Jahr Freiheitsentzug verurteilt und im Mai ins Wehrmachtsgefängnis
Torgau-Brückenkopf eingeliefert. Dort konnte er die Zeit nutzen und seine
Dissertation „Gratia und misericordia im Mittelhochdeutschen“ für die
Veröffentlichung vorbereiten. Im Mai 1944 wurde er aus Torgau entlassen und im
Sommer 1944 aus der Wehrmacht ausgemustert. Er kehrte zurück in seine
Heimatstadt Ratibor in Oberschlesien, von wo seine Mutter am 18. Januar 1944
als „Volljüdin“ ins Konzentrationslager Theresienstadt im „Reichsprotektorat
Böhmen und Mähren“deportiert worden war.
Ein Vierteljahr nach Kriegsende, am 15. August 1945, gelang
es Herbert Hupka trotz der Nachkriegswirren, von Oberschlesien aus
Theresienstadt in Böhmen zu erreichen, seine Mutter aus anderthalbjähriger
Lagerhaft zu befreien und ins amerikanisch besetzte Bayern zu bringen. Über das
im September 1945 im niederbayerischen Deggendorf errichtete Sammellager kamen
Mutter und Sohn nach München, wo Therese Hupka im Altersheim der Israelitischen
Kultusgemeinde aufgenommen wurde.
Als Herbert Hupka am 15. August 1945 Theresienstadt erreicht
hatte, war er genau an diesem Tag 30 Jahre alt geworden und hatte bereits so
viel an Leid und Verfolgung erfahren müssen, dass es für ein ganzes Leben
gereicht hätte. Die Einzelheiten, die schließlich zu seinem Weg in die Politik
und zu seinem unermüdlichen Einsatz für Schlesien geführt haben, kann man in
der Festschrift zum 70. Geburtstag „Für unser Schlesien“ (1985), besonders aber
in seinen Lebenserinnerungen „Unruhiges Gewissen“ (1984) nachlesen. Zunächst
aber wurde er, was er schon beim Abitur als Berufswunsch genannt hatte,
Journalist.
Am 16. November 1945 wurde er Redakteur bei „Radio München“,
aus dem 1949 der „Bayerische Rundfunk“ hervorging, nach zwölf Jahren, am 12.
Juli 1957, wechselte er als Programmdirektor zu „Radio Bremen“, wo er bis 30.
Juni 1959 blieb. Bei beiden Sendern standen schlesische Geschichte und Kultur
immer im Mittelpunkt seines Angebots! Auf Anregung Jakob Kaisers (1888-1961),
des Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen in Bonn, war am 14. Juni 1954,
ein Jahr nach dem Arbeiteraufstand 1953 in Mitteldeutschland, in Bad
Neuenahr/Rheinland-Pfalz das Kuratorium „Unteilbares Deutschland“ gegründet
worden, das 1959 einen neuen Pressesprecher suchte. Auf diese Weise kam Herbert
Hupka in die seit 1949 bestehende Bundeshauptstadt Bonn, wo er bis zu seinem
Tod 2006 blieb. Er war von 1968 bis 2000 Vorsitzender der „Landsmannschaft
Schlesien“, von 1969 bis 1987 Mitglied des „Deutschen Bundestags“ und von 1982
bis 1999 Präsident der „Stiftung Ostdeutscher Kulturrat“ in der Bonner
Kaiserstraße 113.
Gesehen habe ich Herbert Hupka zuerst auf dem 20.
CDU-Parteitag in Wiesbaden vom 9. bis 11. Oktober 1972, im Herbst 1981 traten
wir als Referenten eines Literaturseminars des „Bundes der Vertriebenen“ in Bad
Münstereifel auf, im Juli 1982 bewarb ich mich auf den Posten des
Chefredakteurs der „Kulturpolitischen Korrespondenz“, der dreimal im Monat
erscheinenden Zeitschrift der „Stiftung Ostdeutscher Kulturrat“, wo ich,
ausgewählt aus 29 Bewerbern, die glücklichste Zeit meines Berufslebens
verbrachte.
Die Arbeitsleistung, die Herbert Hupka in seinen drei
Berufen erbrachte, war überwältigend, zumal er schon 54 Jahre alt war, als er
als Abgeordneter in den Bundestag einzog. Bei der Stiftung war er der
erfolgreichste Präsident überhaupt, den ich erlebte. Seine beiden Vorgänger,
der Pommer Hans Joachim von Merkatz (1905-1982) und der Sudetendeutsche Dr.
Götz Fehr (1918-1982), haben kaum Spuren hinterlassen, der erste ließ sich nur
einmal im Jahr, obwohl er in Bonn wohnte, in der Kaiserstraße blicken, der
andere verstarb nach einem halben Jahr.
Ganz anders Herbert Hupka, der im Herbst 1982 auf der
Jahrestagung der Stiftung in Lübeck zum Präsidenten gewählt worden war und der
sofort unglaubliche Aktivitäten entfaltete. Innerhalb weniger Jahre verdoppelte
er die Zahl der Mitarbeiter, was ohnehin schwierig war, weil die wenigen
Fachleute, die sich im historischen Ostdeutschland noch auskannten, wegstarben
und Nachwuchs dünn gesät war. Einer davon war der 1964 geborene Dr. Stefan
Kaiser, der heute das „Oberschlesische Landesmuseum“ in Ratingen-Hösel leitet.
Unter Herbert Hupka, der Aufbruchsstimmung in die Stiftung brachte, erschien
jedes Jahr auch ein Sonderheft der „Kulturpolitischen Korrespondenz“, so über
den „Widerstand in Ostdeutschland“ (1984), über „Gerhart Hauptmann“ (1986) und
über „0stdeutsche Autoren in Mitteldeutschland 1945-1995“ (112 Seiten) unter
dem Titel „Verlorenes Leben, verdrängte Geschichte“ (1995). Auch die Anzahl der
auf den Jahrestagungen zu vergebenden Kulturpreise wurde verdoppelt. Die
herausragende Leistung aber, die bleiben wird, waren die zwölf Bände
„Vertreibungsgebiete und vertriebene Deutsche“, die von 1992 bis 2005 im
Münchner Langen-Müller-Verlag erschienen sind und sämtliche Gebiete
Ostmitteleuropas abdeckten, wo einmal Deutsche gelebt hatten. Schon 1983, im
ersten Jahr meiner Tätigkeit als Chefredakteur, durfte ich in der Bonner „Villa
Hammerschmidt“ den Bundespräsidenten Dr. Karl Carstens (1914-1992) besuchen,
der 1935 an der Albertina in Königsberg/Preußen studiert und eine Reise ins
Baltikum unternommen hatte.
Merkwürdig war aber, was wir Mitarbeiter in der Stiftung mit
Sorge beobachteten, dass unser Präsident innerhalb Deutschlands, besonders nach
der Wiedervereinigung 1990, ständig angegriffen und als „Revanchist“ und
„Kalter Krieger“ beschimpft wurde. So veranstalteten wir unsere Jahrestagung
1991 in Halle an der Saale, wo Herbert Hupka mehrere Semester studiert hatte.
Damit verbunden war die Ausstellung „Große Deutsche aus dem Osten“, zu deren
Eröffnung Herbert Hupka Polizeischutz anfordern musste, weil linke
Demonstranten mit Tätlichkeiten gedroht hatten. In Polen, wohin er anschließend
fuhr, war das genau umgekehrt: Dort erfreute er sich nach 1989 wachsender
Beliebtheit, die polnischen Journalisten waren glücklich über ein ihnen
gewährtes Interview, in Warschau trat er im Fernsehen auf, 1998 wurde er zum
Ehrenbürger seiner Heimatstadt Ratibor ernannt und kaufte sich dort eine
Eigentumswohnung.
Im Spätsommer 2006 nahm ich an seiner Trauerfeier in der
Bonner Elisabethkirche teil, vor dem Eingang standen trotzig drei Männer in
oberschlesischer Bergmannstracht, um einen ihrer Landsleute zu ehren. Dieses
Bild hätte ihn zu Tränen gerührt!
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