Erschienen in Ausgabe: No 114 (08/2015) | Letzte Änderung: 06.08.15 |
von Constantin Graf von Hoensbroech
Es sollte eine Überraschung werden und endete in einer
Tragödie. Pater Joseph Peruschitz war von amerikanischen Ordensbrüdern gebeten
worden, beim Aufbau einer Abtei im US-Bundesstaat Minnesota zu helfen.
Möglicherweise waren es die vielen geistigen Qualitäten, die den Benediktiner
aus dem bayerischen Kloster Scheyern für diese Aufgabe auszeichneten. In der
Klosterschule unterrichtete er nicht nur Mathematik und Arithmetik, sondern
auch Musik und Turnen und war als Chorallehrer und Organist tätig. Mit dem
Wechsel in die Vereinigten Staaten wollte der 41-Jährige seine Eltern in
Straßlach im Süden von München erst nach der Ankunft in der neuen Welt überraschen.
Doch auf der Reise war Peruschitz vor allem mit seinen geistlichen Qualitäten als
Seelsorger gefordert – bis zum letzten Atemzug in den eisigen Wassern des
Nordatlantik.
Peruschitz war mit einem Boarding Pass der zweiten Klasse in
England an Bord der Titanic gegangen, ebenso sein priesterlicher Mitbruder
Thomas R. Byles. An Bord feierten der Briteund der Deutsche täglich Heilige Messen in verschiedenen Sprachen.
Byles, der in Rom zum Priester geweiht worden war, wollte zu seinem jüngeren
Bruder nach New York, um dessen Trauung vorzunehmen. Beide waren während der
Schulzeit zum Katholizismus konvertiert. Auch für Byles endete die Reise abrupt
in den frühen Morgenstunden des 14. April 1912.
Die schlaglichtartigen Lebensstationen der beiden Priester
werden in der Ausstellung „Titanic. Die Ausstellung. Echte Funde, wahre
Schicksale“ im Historischen Museum der Pfalz in Speyer – neben vielen anderen
Schicksalen – erzählt.Am einzigen
deutschen Ausstellungsort dieser neu arrangierten Schau mit Originalfunden aus
dem Wrack der Titanic wird ein breiter Bogen gespannt. Das dramatische
Geschehen, das das frühe 20. Jahrhundert so nachhaltig erschütterte und bis
heute nachhallt, wird in einen schlüssigen Gesamtkontext eingebunden: ausgehend
von den industriellen und technischen Errungenschaften und Fortschritten, die
das Leben in all seinen Facetten mit Beginn des 20. Jahrhunderts rasant
erfassten bis zur eigentlichen Idee und deren Realisierung, ein solches Schiff
überhaupt zu bauen. Natürlich nimmt die Katastrophe breiten Raum ein, doch auch
die schon bald darauf einsetzende Mythologiesierung des Geschehens sowie die
bewegenden Geschichten hinter den vielen Einzelschicksalen werden thematisiert.
Schließlich geht es auch um das Auffinden des Wracks im Jahr 1985, den
Tauchgängen bis auf knapp 4000 Meter Tiefe sowie der Bergung und Konservierung
von Fundstücken. Zudem wird die mediale und cineastische Be- und Verarbeitung
des Stoffs dargestellt.
Die Besucher, diue zu ihrer Eintrittskarte einen den
Originalken nachempfundenen Borading Pass erhalten, folgen einer klar gegliederten und sehr anschaulich
gestalteten Schau, die die Exponate auch immer wieder in Beziehung setzt zu
einigen nachgebildeten Szenerien des Schiffs, etwa beim Gang durch den
nachgebauten Flur der ersten Klasse. Vor allem die auf bestimmte Biografien,
insbesondere deutscher Passagiere und Besatzungsmitglieder, zugeschnittene
Darstellung erzeugt eine Emotionalität, die die Besucher den Mythos Titanic
erspüren lassen. Bei diesem Rundgang, auf dem sich unter den 250
Originalexponaten auch zahlreiche persönliche Gegenstände und sogar
Schriftstücke aus dem Besitz einzelner Passagiere entdecken lassen, baut sich
förmlich eine innere Spannung auf. Diese erreicht dann dannkurz vor dem Raum mit der vielsagenden
Ankündigung „Eisberg direkt voraus!“ ihren Höhepunkt. Hier wird audiovisuell ein
Gefühl von der Dramatik und Verzweiflung und Ausweglosigkeit in den frühen
Morgenstunden des 14. April 1912 vermittelt. Rund 1500 Menschen kamen beim
Untergang der als unsinkbar geltenden Titanic ums Leben.
Doch für die beiden Patres und ihre Mitreisenden in ihrer
Nähe war die Situationwohl alles andere
als ausweglos. Die Schiffskapelle soll beim Untergang den Choral „Näher, mein
Gott, zu Dir“ gespielt haben – und laut der Zeitschrift „America“ aus dem Jahre
1912 haben die beiden todgeweihten Priester den Menschen um sie herum
möglicherweise bis zum letzten irdischen Atemzug genau diesen Wunsch des
Chorals vermittelt: „Als das letzte Boot
hinabgelassen war, sahen die Insassen dieses Bootes ganz deutlich, wie die
beiden Priester den Rosenkranz vorbeteten, und hörten, wie eine große Anzahl
kniender Passagiere in inbrünstigen Gebeten antworteten. Dann erloschen die
Lichter der Titanic, so dass man nicht mehr sehen konnte; aber man hörte weder
Jammergeschrei noch Schreckensrufe.“
Bis 26. Juli, Historisches Museum der Pfalz, Speyer,
Domplatz 4, täglich 10 bis 18 Uhr.
Foto (Hoensbroech):
Mit einem solchen Boarding Pass
gelangten die beiden Priester auf die Titanic.
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