Erschienen in Ausgabe: Ohne Ausgabe | Letzte Änderung: 29.07.15 |
von Tine Nehler
Charline von Heyl (*1960), Now or Else, 2009
© Courtesy of the Artist/Galerie Gisela Capitain, Köln/
Petzel Gallery, New York
Eröffnung: 13. November
2015 | 19.00 Uhr
Laufzeit: 14. November
2015 bis 30. April 2016 | Museum Brandhorst, München
2. Juni bis 6. November 2016 | mumok - Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig, Wien
Das
wiederkehrende Interesse an zeitgenössischer Malerei in den vergangenen
Jahren
fällt überraschenderweise mit einer Explosion neuer digitaler
Technologien zusammen. Doch schon seit den 1960er-Jahren haben sich die
fortschrittlichsten Ansätze auf dem Gebiet der Malerei in Westeuropa und
in den USA in produktiver Reibung mit ihrer zeitgenössischen
Massenkultur und den vorherrschenden medialen Bedingungen entwickelt.
Vom Aufkommen des Fernsehens und Computers bis zur sogenannten
„Internetrevolution“ ist es der Malerei immer wieder gelungen, jene
Mechanismen zu integrieren, die für ihr angebliches Ableben
verantwortlich sein sollten. Weit über ihre technische Definition – Öl
auf Leinwand – hinaus war und ist Malerei ein privilegierter Ort, an dem
die Herausforderungen einer sich zunehmend mediatisierenden Lebenswelt
verhandelt werden.
„Painting
2.0: Malerei im Informationszeitalter“ stellt als erstes groß
angelegtes Ausstellungsprojekt die
Aneignung und Transformation von Informationstechnologien in der
westeuropäischen und nordamerikanischen Malerei ab 1960 vor. Die
Ausstellung setzt lange vor der Digitalisierung und dem Internet ein –
nämlich mit Pop Art und Nouveau Réalisme, die sich erstmals
programmatisch neu aufkommender kommerzieller Bildsprachen bedienten.
Die Malerei öffnete sich in jenem Moment, als ihre Legitimität durch die
Populärkultur und eine „Gesellschaft des Spektakels“ (Guy Debord)
herausgefordert wurde. Dieser facettenreichen Geschichte
einer Malerei im erweiterten Feld geht die Ausstellung bis in die
Gegenwart nach – bis hin zu den weitreichenden Folgeerscheinungen des
interaktiven Web 2.0 wie den Sozialen Medien und Daten-Clouds.
Eine
treibende Kraft dieser Entwicklung ist die Kollision zwischen den
visuellen Codes des Spektakels und
den subjektiven Spuren malerischer Expressivität. „Painting 2.0“ zeigt
auf, dass die expressive Geste immer wieder mit dem Begehren verknüpft
war, die virtuelle Welt des
Informationszeitalters an den Erfahrungsraum des menschlichen Körpers
rückzubinden. Die avancierte Malerei der letzten 50 Jahre weist die
vermeintliche Opposition zwischen Humanem und Technischem, Analogem und
Digitalem
als wechselseitig aufeinander bezogene Spannungsfelder aus.
Erstmals
seit der Eröffnung des Museums Brandhorst 2009 erstreckt sich mit
„Painting 2.0“ eine Ausstellung
über das gesamte Haus. Abgesehen von dem eigens für Cy Twomblys
„Lepanto“-Zyklus geschaffenen Raum im Obergeschoss wird „Painting 2.0“
auf allen drei Stockwerken zu sehen sein. Die Erweiterung der Malerei
seit den 1960er-Jahren wird in drei eng miteinander
verknüpften Sektionen, auf je einer Etage des Museums präsentiert,
nachgezeichnet.
Auf der Eingangsebene widmet sich
„Geste und Spektakel“ der
Frage, wie malerische Gestik eingesetzt wurde, um einer Spektakelkultur
zu begegnen: von einer Protesthaltung kommerziellen Bildern und ihren
Medien gegenüber, wie sie sich in den Schießbildern
von Niki de St. Phalle oder den abgerissenen Plakatwänden der Affichisten
Mimmo Rotella, Jacques Villeglé und
Raymond Hains zeigt, bis hin zu malerischen Strategien, die sich die Sprache der Populärkultur aneigneten wie in
Keith Harings „Subway Drawings“,
Albert Oehlens Computerbildern oder den mittels Photoshop bearbeiteten Leuchtkästen
Kelley Walkers.
Im Obergeschoss beschäftigt sich die zweite Gruppe unter dem Überbegriff
„Exzentrische Figuration“
damit, wie sich Vorstellungen von Körperlichkeit unter dem Einfluss
einer kommerziellen Massenkultur und neuer Technologien verändern.
Buchstäblich „exzentrische“ Figuren wie bei
Philip Guston und prothetische Körper wie bei
Maria Lassnig, aber auch exzentrische Gesten wie bei
Amy Sillman sowie Strategien des Karikierens wie bei
Nicole Eisenman bezeugen die komplexe Verflechtung von Körper, medialem Bild und Technologie ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Im Untergeschoss widmet sich
„Soziale Netzwerke“
malerischen Positionen, die eine „Netzwerkgesellschaft“ als solche
ausweisen, sowohl durch Praktiken der Bildzirkulation als auch durch die
Thematisierung spezifischer sozialer Kontexte.
Andy Warhols „Factory“, die Gemälde und Aktionen des Kapitalistischen Realismus von
Sigmar Polke, Gerhard Richter,
Konrad Lueg und Manfred Kuttner, die Künstlerinnen um die feministische New Yorker
A.I.R. Gallery, aber auch zeitgenössische Positionen des sogenannten „Network Painting“, wie zum Beispiel
Seth Price oder R.H. Quaytman, demonstrieren, wie sich Vorstellungen von Gemeinschaft und sozialem Austausch seit den 1960er-Jahren gewandelt haben.
Die Ausstellung bringt über 200 Werke von folgenden rund 100 Künstlerinnen und Künstlern zusammen:
Kai
Althoff, Ei Arakawa/Shimon Minamikawa, Monika Baer, Nairy Baghramian,
Georg Baselitz, Jean-Michel Basquiat,
Lynda Benglis, Sadie Benning, Judith Bernstein, Joseph Beuys, Ashley
Bickerton, Cosima von Bonin, Kerstin Brätsch/KAYA, Günter Brus, Daniel
Buren, Merlin Carpenter, Leidy Churchman, William Copley, René Daniëls,
Guy Debord/Asger Jorn, Carroll Dunham, Mary
Beth Edelson, Thomas Eggerer, Michaela Eichwald, Nicole Eisenman, Jana
Euler, Louise Fishman, Isa Genzken, Mary Grigoriadis, Philip Guston,
Wade Guyton, Raymond Hains, Harmony Hammond, David Hammons, Keith
Haring, Rachel Harrison, Mary Heilmann, Eva Hesse,
Charline von Heyl, Jacqueline Humphries, Jörg Immendorff, Jasper Johns,
Joan Jonas, Mike Kelley, Martin Kippenberger, Yves Klein, Jutta
Koether, Michael Krebber, Manfred Kuttner, Maria Lassnig, Sherrie
Levine, Glenn Ligon, Lee Lozano, Konrad Lueg, Michel Majerus,
Piero Manzoni, Kerry James Marshall, John Miller, Joan Mitchell, Ree
Morton, Ulrike Müller, Matt Mullican, Elisabeth Murray, Cady Noland,
Hilka Nordhausen, Albert Oehlen, Steven Parrino, Ed Paschke, Howardena
Pindell, Sigmar Polke, Seth Price, Stephen Prina,
R.H. Quaytman, Robert Rauschenberg, David Reed, Gerhard Richter, Mimmo
Rotella, Niki de Saint Phalle, Mario Schifano, Amy Sillman, Sylvia
Sleigh, Josh Smith, Joan Snyder, Reena Spaulings, Nancy Spero, Frank
Stella, Walter Swennen, Paul Thek, Rosemarie Trockel,
Cy Twombly, Jacques Villeglé, Kelley Walker, Andy Warhol, Sue
Williams, Karl Wirsum, Martin Wong, Christopher Wool, Heimo Zobernig,
u.a.
Zur
Ausstellung erscheint ein umfangreicher und reich illustrierter Katalog
mit 320 Seiten und 350 vollfarbigen
Abbildungen in deutscher und englischer Sprache. Vertiefende Essays der
drei KuratorInnen Achim Hochdörfer, David Joselit und Manuela Ammer
gehen den zentralen Fragestellungen der drei Sektionen nach. Mit
Beiträgen von Lynne Cooke, Isabelle Graw, John Kelsey,
Tonio Kröner, Wolfram Pichler und Kerstin Stakemeier kommen bedeutende
Stimmen zur Entwicklung der Malerei der letzten Jahre in einer
Publikation zusammen.
Kuratiert von Achim Hochdörfer und David Joselit mit Manuela Ammer
Assistenzkurator: Tonio Kröner
>> Kommentar zu diesem Artikel schreiben. <<
Um diesen Artikel zu kommentieren, melden Sie sich bitte hier an.