Erschienen in Ausgabe: No 115 (09/2015) | Letzte Änderung: 01.09.15 |
von Dietmar Müller-Elmau
Welche Rolle spielt
der Begriff der offenen Gesellschaft in Ihrem Denken, Sie sind im Geist der
politischen Theologie groß geworden?
Ich bin glücklicherweise nicht im
Geist einer politischen Theologie, sondern der offenen Gesellschaft groß
geworden, in der Fragen des Politischen pragmatisch verhandelt und nicht mit
Argumenten des Glaubens, der Moral oder der Herkunft beantwortet werden, die per
se nicht verhandelbar sind. Ich habe mich dann aber in der Beschäftigung mit
deutscher Geschichte vor allem mit der Ideengeschichte und politischen Relevanz
gegensätzlicher Ideale von Freiheit in protestantischen Religionskulturen in
Deutschland und Amerika auseinandergesetzt.
Perspektivwechsel:
Der neue Kurs oder die neue Firmenphilosophie von Schloss Elmau unter Ihrer
Leitung legt die Maxime zugrunde: Nicht Freiheit vom Ich, sondern Urlaub des Ich, was haben wir darunter
zu verstehen?
Freiheit vom Ich ist ein
metaphysisches oder religiöses, die Freiheit
des Ich ein politisches Ideal, dass die Freiheit des anderen als Grenze der
eigenen respektiert. Ich möchte Gästen von Schloss Elmau in ihrer Freizeit vor
allem größtmögliche Freiheit bieten, gleichgültig was jeder darunter für sich
verstehen mag.
Ein Blick zurück: Die Elmau war, wie Sie es auch in Ihrem
neuen Buch „Schloss Elmau, Eine deutsche Geschichte“ beschreiben, die Heimat
Ihrer Jugend, aber nicht die Heimat Ihres intellektuellen Ich: Sind Sie auf
Schloss Elmau angekommen?
Heute ist Schloss Elmau für mich vielleicht
eines der schönsten, sicher aber das zur Zeit interessanteste und
außergewöhnlichste Hotel der Welt, in dem ich am liebsten meine Ferien mit
meiner Familie oder Freunden oder allein verbringen möchte. Ankommen werde ich
wohl nirgendwo je richtig, da ich immer weitergehen, neues entdecken und
entwickeln möchte. Mit der Fertigstellung des Schloss Elmau Retreat eröffnensich für Schloss Elmau völlig
neue Perspektiven. Der G7 Gipfel war hoffentlich nur der Anfang und nicht das
Ende einer beinahe 100 jährigen Transformationsgeschichte.
Statt Konsens, sind
Sie ein Verfechter des Dissens, der Polyperspektivität, internationalen Globalität
und des transatlantischen Denkens bzw. Dialoges, man könnte auch sagen, der
postmodernen Differenz. Elmau hat sich innerlich renoviert und sich vom alten
Konzept Ihres Großvaters, das Sie als zu eng empfunden haben, distanziert. Es
geht in Ihrem neuen Konzept nicht mehr um die Auflösung des Ich, die
Ich-Vergessenheit und Aufhebung des Ich, sondern um ein kräftiges, bejahendes,
existentielles Ich; Sie betonen: Ohne Vielfalt keine Freiheit und
unterstreichen immer wieder das Ideal der offenen Gesellschaft: Haben Sie nicht
Angst, das zuviel Freiheit letztendlich das traditionelle Wertegerüst auflöst?
Wird Elmau ein Ort der Zivilisationskritik bleiben?
Schloss Elmau wird in Zukunft hoffentlich
nie wieder ein Ort der Ablehnung der Freiheit des Ich, sondern der Bejahung und
permanenten Erweiterung der Freiheit und Kreativität des Ich bleiben. Gerade
weil es das perfekte Hotel ebenso wenig geben wird, wie perfekte Menschen oder
eine perfekte Welt und Politik, muss man alles eingedenk menschlicher
Unzulänglichkeit immer wieder kritisch hinterfragen und versuchen ständig zu
verbessern.
Ihr Haus ist eine
Bastion des Protestantismus, auch wenn Sie immer wieder die protestantische
Homogenität kritisieren und das katholische Farbenspiel von Licht und Schatten,
das Ihnen mehr am Herzen liegt betonen. Welche Rolle spielt die Religion für
Sie im 21. Jahrhundert? Sie sprechen oft vom Mangel an säkularer Vernunft!
Schloss Elmau hat für mich keine
eindeutige Identität, das Hotel ist wie seine Gäste und Mitarbeiter voll von
Widersprüchen, Komplexität und Kompromissen gegensätzlicher Interessen. Die
einzige Konstante ist die Unstimmigkeit. Schloss Elmau ist für mich ein urbanes
Hotel in unberührter Natur, ein Ort der Freiheit und des Fremdenverkehrs, des
ständigen Kommens und Gehens, der Vermischung, Inspiration, Erholung und
Bewegung.
Ohne Transzendenzbezug kann es
meiner Ansicht nach keine Freiheit geben, welche die Freiheit des anderen als
Grenze der eigenen respektiert und keine Rechtsgemeinschaft geben, welche
unterschiedliche Wertegemeinschaften als Teil der offenen Gesellschaft
akzeptiert. Säkulare Vernunft bewahrt den Glauben an das Jenseits vor seiner Verweltlichung
und Entzauberung im Diesseits ebenso wie Politik vor religiöser, metaphysischer
oder ästhetischer Überhöhung und nicht mehr hinterfragbarer Letztbegründung.
Der Sohn von
Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat einmal gesagt: „Mein Vater ist wie
ein Fahrrad, wenn es steht, fällt es um.“ Was machen Sie in Ihrer Freizeit?
Ich habe nicht genug Kraft zum
Nichtstun und bin daher ständig in Bewegung, auf Reisen, beim Lesen und Bauen
und mangels Zeit leider immer weniger beim Wandern, Skifahren oder Bergsteigen.
Wie sehen Sie die
weitere Entwicklung von Schloss Elmau nach dem Gipfel. Dem 5-Sterne-Ressort Heiligendamm
hat der G 8 Gipfel – nachhaltig gesehen – ja nicht zum merkantilen Erfolg
geholfen?
Ein Hotel das vor dem Gipfel nicht
nachhaltig erfolgreich war, wird es auch nach dem Gipfel nicht sein können.
Bisher hat der Erfolg von Schloss Elmau die Erwartungen übertroffen. Dafür gibt
es aber keine Garantie. Jedes Investment ist mit Risiko verbunden. Ich
befürchte immer das Schlimmste und versuche stets mein Bestes zu geben, damit
es nicht eintritt.
Eine Architektur
steht – ein Blick in die Kunstgeschichte zeigt es – für ein erneuertes Denken,
für einen Aufbruch. Sie haben mit dem Neubau auf der Elmau, einem „neuen Hotel
im Hotel“, wie Sie es nennen, eine neue Architektur geschaffen.17 identische Suiten – eine Vielzahl neuer
Zimmer, Sie sprechen dabei vom Ideal der offenen Gesellschaft“. Anders gefragt:
Welche Philosophie steckt dahinter?
Ich wollte reisenden Ästheten,
Künstlern mit oder ohne Familie in Schloss Elmau zur optimalen Erholung nicht
nur eine große Vielfalt unterschiedlicher Zimmer und Suiten, Restaurants, Spas,
Lounges, kultureller Veranstaltungen und Alternativen zum Nichtstun, sondern last
not least auch die Freiheit der Wahl zwischen zwei verschiedenen Hotels in
einem bieten.
Die Fragen stellte Dr. Dr. Stefan Groß
Den vollständigen Text finden Sie im Bayernkurier, Heft 1,
2015
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