Erschienen in Ausgabe: No 115 (09/2015) | Letzte Änderung: 01.09.15 |
von Anna Zanco-Prestel
(c) Bayreuther Festspiele. Foto: Enrico Nawrath
Mit Spannung erwartet wurde die neue Bayreuther Produktion
von „Tristan und Isolde“ unter der Regie von Katharina Wagner exakt 150 Jahre
nach der Uraufführung am 10. Juni 1865 in München. Nichts war vor der Premiere,
die die Festspiele 2015 eröffnen sollte, über Inszenierung und Bühnenbild der
bahnbrechenden Oper an die Öffentlichkeit durchgesickert, mit der Wagners
Urenkelin – nun als alleinige Festspielleiterin – den neuen Kurs des
weltbekannten Festivals prägen sollte. Lebendig war noch die Erinnerung an ihre
provokative Meistersinger-Inszenierung vom Jahre 2007, in der sie mit der
Geschichte des Wagner-Clans hart ins Gericht ging. Noch am Vorabend der Premiere
beteuerte aber Dirigent Christian Thielemann in einem Interview, „kein Skandal
zu wollen, sondern eine Oper, die man immer wieder sehen kann und nicht nur
einmal...“
Als der Vorhang aufging, katalisierte ein komplexes Konstrukt aus metallenen
Pfeilern, Treppen, offenen Türen und sich windenden Geländern die Blicke der
Zuschauer, die das Theater bis auf den letzten Sitzplatz füllten. Die düstere
Atmosphäre des spärlich, nur punktuell beleuchteten Tragwerks deutete von
Anbeginn auf Unheilvolles hin, was unmittelbar bevorstand und die ganze
Handlung bestimmen würde. Es wirkte wie ein Labyrinth, das – wie die erste
Abbildung im Programmheft suggeriert – an ein bekanntes Werk von Giovan
Battista Piranesi angelehnt sein soll. „Ponte levatoio“ - Zugbrücke - nennt
sich der Stich des berühmten Künstlers aus der Serie „Carceri d'invenzione“
„Erfundene Kerker“ vom Jahre 1761, der schon manche Dichter und Regisseure
inspiriert hat. Labyrinthisch wie die Liebe in all ihren Verstrickungen,
Selbsttäuschungen, Liebe wie ein Gefängnis in ihrer verzweifelten
Auswegslosigkeit, aussichtslos, wenn sie unerfüllt bleibt. Liebe als Gefahr,
Liebe gleich „Verwundbarkeit“ oder in ihren Steigerungen als „Drahtseilakt“ und
schließlich als „Tod“. Todesahnung, die auch im zweiten Aufzug in der Luft
schwebend bleibt, wo von oben einfallende Scheinwerferstrahlen oder bewegliche
Lichtpunkte die Finsternis wie Sterne am schwarzen Himmel erhellen und eine
suggestive Kulisse für die verhängnisvolle Umarmung der Liebenden bilden.
Ein an wechselnden Stellen der Bühne in ein gräulich leuchtendes Dreieck – das
Dreieck als Erleuchtungssymbol oder als Sinnbild für Vollkommenheit – hinein projiziertes
Frauenbildnis dominiert den dritten Aufzug. Eine ephemere, in bläulichem langem
Gewand verschleierte Gestalt, die sich verdingt, um sich wenig später in Luft
auflösen. Eine Ikone, flüchtig und unerreichbar...Verkörperung jenes
„kosmogonischen Mythus, in dem das Sehnsuchtsmotiv die Welt hervorruft“ (Thomas
Mann).
Den innerlichen Drang der Oper herauszustellen, war Katharina Wagners Bestreben
und dies gelang ihr in diesem von Philipp Schlössmann und Mathhias Lippert
realisierten Bühnenbild, das – zwischen kargen Stahlgerüsten und zart-nebligen
Lichteffekten – keineswegs mit der Handlung interagiert und wie bei einem
abstrakten Bild mehrere Interpretationen zulässt.
Das Publikum schätzte diese Intention und bedankte sich mit lang anhaltendem,
begeistertem Applaus, der auch den Interpreten gilt, allen voran dem
Amerikaner Stephen Gould, der den Tristan besetzte, Georg Zeppenfeld als König
Marke und Evelyn Herlitzius, die – an Stelle von Anja Kampe – die„neue“ Isolde
stellte. Applaus, der empfindlich an Intensität gewann, als schließlich
Christian Thielemann die Bühne betrat und den Lohn für seine bravoureuse
Leitung bescheiden entgegen nahm. Der Berliner Dirigent steht in der Nachfolge
von Größen wie Hans von Bülow, Hermann Levi , Felix Mottl, Arturo Toscanini,
Peter Schneider, Daniel Barenboim und Horst Stein, die die Geschichte der
Bayreuther Festspiele geschrieben haben. Als „Musikdirektor“ besetzt er zudem
ab sofort jene Rolle, die bis dato nur einem Familienmitglied (Cosima, Siegfried,
Winifred, Wieland und Wolfgang Wagner) vorenthalten wurde. Ein Novum, das sich
hoffentlich positiv auf die künftige Entwicklung der Bayreuther Festspiele
auswirken wird.
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