Erschienen in Ausgabe: Ohne Ausgabe | Letzte Änderung: 08.09.15 |
von Jörk Rothamel
Nguyen Xuan Huy, Searching, 2015, Öl auf Leinwand / oil on canvas, 220 x 150 cm
Nguyen Xuan Huy, Waiting until the sun sets, 2015, Öl auf Leinwand / oil on canvas, 220 x 450 cm
Kein
Ort, nirgends
Anmerkungen
zur Kunst Nguyen Xuan Huys Raum und Form
Fliegende
Körper beziehungsweise Torsi, triste Landschaften, nichträumliche Räume,
Kugeln, Flügel und Insigniensozialistischer Kultur – der Fundus in Nguyen Xuan
Huys Bildern ist auf den ersten Blick disparat, unzusammenhängend und offenbar
sehr individuell geprägt. Allen Arbeiten gemeinsam ist eine beklemmende
Atmosphäre, die den Betrachter verunsichert, ihn in seinen Seherwartungen
stört. Die räumlichen Inszenierungen wirken bühnenhaft; die Landschaften, oft
in ein endzeitliches Dunkel getaucht, täuschen eine Weite vor, die
vielleichtgar keinen Bestand hat. In den früheren Bildern werden die
Figurationen aufeine neutrale Folie projiziert, weiß oder schwarz, und somit
eine räumliche Zuordnung faktisch unmöglich. Aber auch in den neueren Arbeiten
wird Räumlichkeit höchstens durch eine den Blick blockierende Wand im
Hintergrundangegeben, seltener zusätzlich durch eine Abgrenzung zum Boden hin,
oder der Raum versinkt im konturlosen Dunkel. Die frühen Arbeiten erzählen von
seiner Heimat Vietnam. Die Distanz ist spürbar, eine Distanz, die aus der geografischen
Trennung erwächst, abergleichzeitig ist da sehr viel Nähe - homeis where the
heart is – die emotionale Nähe ist deutlich zu erahnen. Wie barocke Engel
schweben oder fliegen die nackten Damen durch die Luft, mitverdrehten
Gliedmaßen, die erst auf den zweiten Blick mißgestaltet sind. Das Erbe der nach
dem großen Krieg geborenen Generationen ist ein schweres; es sind die Kinder
von Agent Orange, dem entsetzlichen Vegetationsgift, das die US-Amerikaner
tonnenweise als Entlaubungsmittel über dem Dschungel Vietnams abgeworfen haben
und das noch Generationen später das Erbgut verändert. Trotzdem scheinen diese
Engel stets bester Laune zu sein, hantieren wie in der chinesischen Oper mit
viel Pathos etwa mit Hammer und Sichel und scheinen die Segnungen des
siegreichen Sozialismus apotheotisch zu feiern. So viel Euphorie kann nur
mißtrauisch machen, der Reigen, der dem Betrachter hier vorgeführt wird, hat
mehr von einem untergründigen Totentanz als von einem Bacchanal. Die im Gesicht
gefrorene Heiterkeit trägt einen giftigen Stachel.
Ritt
auf dem Drachen.
In
der Arbeit "The Dream" (2011) sitzt eine Nackte mit Sonnenbrille und
Sommerhut in einem Bauernkarren und weist sowohl auf den Betrachter(oder den
malenden Künstler) und auf die Insignien der Macht des Sozialismus. Absurde
Plüschtiere, etwa ein Tiger und eine Schlange, ergänzen das Personal des
Karrens, Versatzstücke eines üppigen, aber auch zerstörten Dschungels in
Blumentöpfen bilden eine Bühne für das Geschehen in einem schwarzen Bühnenraum.
Lockt hier ein falsches Paradies oder ist es die zeitgenössische Interpretation
des Narrenschiffs, das uns hier begegnet? Auch in "The Break" (2011/12)
bevölkern frohgemute Nackte, die zu Zentauren (beziehungsweise zu
Pegasoi,allerdings mit Hähnchenflügeln)mutiert sind, einen Dschungel, den sie
mit Maschinenpistolen verteidigen. Auch hier wirkt das mehr wie spielerisches
Ballett, mehr RTL-Dschungelcamp als tatsächliche kriegerische
Auseinandersetzung, eine Werbung für eine Art Jurassic Park, auch das
sozialistische Vaterland sieht sich mehr und mehr den Verlockungen des
Kapitalismus ausgesetzt. In "Falling" (2013) ist das Desaster
komplett. In eine eher düstere Landschaft stürzen zwei Körper, von denen wenig
mehr als die Beine zusehen sind. Zwei Eimer begleiten diesen Sturz, die das
Umfeld des Aufschlags in einem merkwürdig weißen Licht, das aus ihnen zu kommen
scheint, beleuchten. Kugeln aus einem undefinierbaren Material schweben im
Zentrum des Sturzes wie Seifenblasen. Diese Kugeln tauchen in den neueren
Bildern immer wieder auf, fremde Elemente, die sich der Zuordnung entziehen,
seltsame Kraftfelder oder Energiespeicher vielleicht oder auch rein formale
Elemente. Beissende Ironie trifft in Nguyen Xuan Huys Bildern auf eine
hintergründig melancholische Weltsicht. Die ständige Präsenz erotischer
Verlockung wird immer wieder gebrochen von latenter Gefahr - die Präsenz von
Waffen, drohende Abstürze oder eine herausfordernde Leiblichkeit lassen den
Betrachter unwillkürlich einen Schrittzurückweichen. Nichts ist hier
oberflächlich, so sehr die Oberfläche auch betont wird. Vielerlei inhaltliche
Ebenenberühren sich in den Bildern und auch aus manchmal widersprüchlichen Elementen
erwächst eine komplexe, dichte und großartige Gestaltung.
Kolorismus.
Die
Malerei wirkt oft altmeisterlich, orientiert sich am Kolorismus des19.
Jahrhunderts, dann aber auch wieder an niederländischen oder französischen
Meistern. Nguyen Xuan Huy, scheint es, saugt Malerei auf, um sie dann in seine
eigenen Vorstellungen von Malerei zu verwandeln. Leicht, beinahe skizzenhaft
kann diese Malerei sein, um auf der anderen Seite perfekt modellierte
Körperlichkeit im Schlaglicht aus dem Dunkel zu schälen. Voll von Elementen
jenseits bekannter Realität arbeitet der Künstler gezielt mit surrealen
Irritationen, um zu einer größeren Dichte auf inhaltlicher Ebene zu gelangen
und gleichzeitig das Primat der Malerei über den Inhalt zu betonen. Aus diesem
Widerspruch festigt sich eine malerische Haltung, die viele Ansätze
berücksichtigt und in vielerlei Hinsicht manchmal zu quasi-skulpturalen
Kompositionen neigt, etwa in "Waiting until the meat boils
III"(2014/15), einer Arbeit, in der sich pralle, kissenhafte Weiblichkeit,
Gewänder, ein Hocker, eine Uhr (Hommage an Dali?) und die bereits beschriebenen
Kugeln zu einer plastischen Assemblage auftürmen. Gerade bei diesem Bild denkt
der kunsthistorisch Bewanderte vielleicht an Vermeer, die räumliche Situation
mit Fenster auf der linken Seite, Porträt im Hintergrund (hier: ein
Selbstporträt des Malers?), das Geschehen im Vordergrund. Die farbliche
Ökonomie in den Bildern Nguyen Xuan Huys ist augenfällig. In den neueren
Bildern dominieren in der Regel Grau, Schwarz, Weiß, Rot und zahllose
Zwischentöne. Dabei spielt das Lokalkolorit eine bedeutende Rolle, schafft die
räumliche Bindung zwischen den einzelnen Teilen erst. Denn am Ende ist diese
Malerei vor allem eines: Malerei. Nguyen Xuan Huys Malerei hat sich ihren
eigenen Ort geschaffen, irgendwo im Nirgendwo zwischen Vietnam und einer
westlichen Kultur, in welcher der Malerheute lebt. Er hat dabei weder seine
Identität aufgegeben, noch seine Wurzeln verleugnet. Er nimmt eher eine
Position ein, die beide Lebensorte in der Welt einschließt und beides, Ost und
West, beobachtet, kommentiert, verwandelt. Verwandelt in eine wunderbare
Malerei, die sich auf ihre ureigeneArt und Weise bildet, transformiert und lebt.
Martin Stather
Die erste große Werkschau des
überragenden deutsch-vietnamesischen Künstlers Nguyen Xuan Huy
eröffnet am 13. September um
11 Uhr im Mannheimer Kunstverein.
Bereits am 11. September um 19
Uhr beginnt in unserer Frankfurter Galerie seine Ausstellung "Last
Unspoken Word".
Anläßlich der Ausstellungen
erscheint beim Kerber Verlag eine Publikation.
Nguyen Xuan Huy
LAST UNSPOKEN WORD
Galerie Rothamel Frankfurt
Fahrgasse 17, 60311 Frankfurt am Main, Germany
geöffnet Mi-Fr 13-18, Sa 11-16 Uhr /open We-Fr 1 - 6pm, Sat 11am - 4pm
12. September bis 14. November 2015
12 September until 14 November 2015
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