Erschienen in Ausgabe: No 116 (10/2015) | Letzte Änderung: 07.10.15 |
von Constantin von Hoensbroech und Ulrike von Hoensbroech
„Ein Alptraum geht in
Erfüllung“, heißt es auf einer Karteikarte. Aus den Notizen auf einer anderen Karte
lässt sich die vorgesehene Zeit für Holzkreuze errechnen – 21 Sekunden. Ein DIN
A4-Blatt weist alssiebten und letzten
Punkt der Gliederung das Kapitel mit der Frage aus: „Wann wird sich Gott wieder
in Ruanda schlafen legen?“ Diese und weitere Arbeitsmaterialien geben einen
Einblick in die Ordnung des Erzählens, die Marcel Odenbach seiner Videoarbeit
„In stillen Teichen lauern Krokodile“ zugrunde gelegt hat. Der 1953 geborene
Videokünstler erzählt in dieser rund 30-minütigen Dokumentation über das
Zusammenleben von Tätern und Opfern nach dem Bürgerkrieg in dem afrikanischen
Land. Odenbach verbindet durch seine individuelle Kunst der Schnitttechnik und
filmischen Montage in zutiefst berührender Weise das historische Ereignis von
1994 mit dem subjektiven Empfinden der dargestellten Personen, aber eben auch
und vor allem mit dem der Betrachter.
Ein paar Schritte
weiter sitzt ein auf sich selbst zurückgeworfener Mensch mit geschundenem
Körper auf einem Stein, erwartend, dass der Faden seines irdischen Lebens gekappt
wird. In seinem Rücken läuft das „Drama in sieben Kapiteln“ der
Videoinstallation, der Blick aber fällt offenbar auf die 38 kleinen
Fotografien, mit denen Michael Ashkin (geb. 1955) die Trostlosigkeit eines
verlassenen Bergarbeiterstädtchens eingefangen hat. „Christus in der Rast“
heißt diese spätmittelalterliche Vollplastik, die den Betrachtern in zutiefst
anrührender Weise von der Verzweiflung und Verlorenheit des Gottessohnes auf
dessen Passionsweg erzählt. Es ist eine aus den biblischen Quellen gespeiste,
dort aber nicht explizit beschriebene Vorstellung einer Szene auf dem Leidensweg
Christi, die sich im Mittelalter als fester Typus herausgebildet und Eingang in
die christliche Bildbetrachtung gefunden hat. Auch die Objekte, die um die
erwähnten Arbeitsmaterialien der Videoinstallation gruppiert sind, folgen einer
besonderen Ordnung des Erzählens: Hochrangige Exponate, wie etwa ein holländisches
Gebetbuch (1490), ein mittelalterliches elfenbeinernes Diptychon mit Passions-
und Auferstehungsszenen, ein Kreuz aus dem 17. Jahrhundert und anderes mehr,
erzählen die wesentlichen Stationen der Passionsgeschichte Christi.
Die hier
beschriebenen Geschichten und Objekte sind Teil der neuen Jahresausstellung von
„Kolumba“, dem Kunstmuseum des Erzbistums Köln, die dieser Tage eröffnet worden
ist.„Der rote Faden“ lautet das
Jahresthema, das von den „Ordnungen des Erzählens“ erzählt und in der neu
konzipierten Ausstellung mit Objekten von der Gotik bis in die Gegenwart der
Frage nachgeht, wovon und mit welchen Mitteln bildende Kunst berichtet. „Der
rote Faden steht weniger für das Lineare einer Erzählung“, beantwortet
Museumsdirektor Stefan Kraus diese Frage und fügt hinzu: „Es geht wesentlich um
die Struktur einer Erzählung, um das, was für eine Erzählung ausgewählt,
weggelassen oder gar hinzugefügt wird.“
Beim Rundgang durch
die Ausstellung lässt sich dies an zwei prominenten Stellen ablesen: Die
Videoinstallation von Odenbach war bereits vor sieben Jahren schon einmal zu
sehen. Die von Beginn an zum festen Ausstellungsbestandteil gehörende Skuptur
„Muttergottes mit Kind“ (1650) von Jeremias Geisselbrunn hat ihren angestammten
Platz verlassen und soll in die nächste Jahresausstellung wieder zurückkehren.
Kraus und sein Team haben
das Thema der Narration plakativ in der Mitte des Rundgangs entfaltet:
Insgesamt 20 Tafeln umfassen die großformatigen Bilder aus dem 15. Jahrhundert,
auf denen die Lebensgeschichte des Kölner Erzbischofs Severin (4./5.
Jahrhundert) dargestellt wird. Weil die Kirche Sankt Severin derzeit saniert
wird, haben die Tafeln als einjährige Leihgabe – die anderen rund 180
Ausstellungsobjekte stammen nahezu alle aus dem eigenen Bestand des Hauses - in
Kolumba eine würdige und großzügige Präsentation gefunden. Die Gelegenheit,
diesen ausladend gestalteten und malerisch erzählten Lebensweg zeigen zu
können, war die Keimzelle für diese neunte Jahresausstellung seit Bestehen des
spektakulären Museums in der Kölner Innenstadt.
„Die Darstellungen
auf dem Zyklus mit ihren verzweigten Haupt- und Nebenwegen haben wohl wenig mit
dem tatsächlichen Leben des Erzbischofs zu tun und sind daher ein wunderbares
Beispiel für das Erzählen, Hinzufügen oder Nicht-Erzählen von Einzelheiten und
Begebenheiten“, so Museumschef Kraus. Dass der Zyklus über mehrere Räume hinweg
präsentiert und dabei nur sehr sparsam mit anderen Objekten in Dialog gesetzt
wird, tut diesen Bildern, die gleichsam wie eine eigene Ausstellung innerhalb
der Gesamtschau gezeigt werden, in ihrer Wirkung und Atmosphäre gut. Neben dem
letzten Bild kauert eindrucksvoll „Der Wanderer“, ein visuelles Gleichnis des
Menschen auf der Wanderschaft, von Michael Buthe (1944 bis 1994).
Es sind die Dialoge
zwischen den Objekten, die sich allesamt der christlichen Ikonografie widmen oder
sich von dieser inspirieren lassen und zu neuen Erzählkontexten verdichten, Beziehungen
suchen, Vernetzungen bilden – oder sich eher konfrontativ gegenüberstehen und irritieren.
So wetteifert etwa das Gemälde „Der Dämon des Fortschritts“ von Konrad Klapheck
(geb. 1935) in seiner geradezu brachialen Wirkung mit der ebenso drastischen
Darstellung eines Cruzifixus Dolorosus aus dem 14. Jahrhundert im Vordergrund.
Mit den Alben von Ilya Kabakov (geb. 1933) werden zehn Charaktere aus der
sowjetischen Welt dargestellt. In den dazugehörigen Vitrinen befinden sich unter
anderem ein spätmittelalterlicher Heilsspiegel oder das Buch eines achtjährigen
Mädchens über eine ganz normale Krake, die „ein Loch in das Akwarium geschniten
hat“. Neben der bildenden Kunst ist es eben gemeinhin die Literatur, die
spezifische Formen des Erzählens realisiert. Unabhängig von der künstlerischen
Gestaltung - ob nun als bildende Kunst oder literarische Vorlage - ist die
„Erzählung stets ein genuiner Zugang zum Menschen, weil sich eine Geschichte
immer an ein Gegenüber richtet, ohne den sie ins Leere laufen würde“, betont
Stefan Kraus.
Das gilt auch für in
die Gesamtschau implementierte Sonderausstellung. Die Installation
„Transzendentaler Konstruktivismus“ von Anna (78) und Johannes Blume (1937 bis
2011) füllt einen eigenen Raum. Mit höchst unterhaltsam zusammengefügten und im
wahrsten Sinne des Wortes ver-rückten Fotoarbeiten löst sich manch düsterer
Schatten des vorherigen Rundgangs, bei dem sich die Themen Leid, Tod,
Vertreibung und Krieg immer wieder wie ein roter Faden aufnehmen lassen, in
unterhaltsames Staunen auf. Ob gerade diese Halt- und Formlosigkeit der rote
Faden dieses Raums sein mag? „Jeder hat die Gelegenheit, die Arbeit selbst zu
interpretieren“, sagt Anna Blume.
Das gilt für die
gesamte Schau: „Kolumba“ lädt unaufdringlich dazu ein, den in vielfältiger
Weise in den Räumen und Präsentationen dargebotenen roten Faden zu ergreifen
oder aber selbst einen solchen zu spinnen und die aufgenommene Geschichte zu
Ende zu bringen.
Kolumba Kunstmuseum des Erzbistums Köln:„Der
rote Faden Ordnungen des Erzählens“, bis 22. August 2016, täglich außer
dienstags 12 bis 17 Uhr, Kolumbastraße 4. Es werden zudem in Kooperation mit
dem Schauspiel Köln jeden Samstag frei gewählte Texte vorgestellt. www.kolumba.de
Fotos (Hoensbroech):
Kolumba1:
In stiller Betrachtung: ,Christus in der Rast’nimmt offenbar die Fotos über ein
verlassenes Bergarbeiterstädtchen in den Blick
Kolumba2:
Auf sich selbst zurückgeworfen: Christus
in der Rast
Kolumba3:
Spamnnender Dialog; „Der Dämon desFortschritts“und ein Cruzifixus Dolorosus
Kolumba4:
Spannender Dialog: ,Christus in der Rast‘ und die Videoinstallation ,In stillen
Teichen lauern Krokodile‘
Kolumba5:
Ausladend und verschwenderisch ausgestaltet: drei Tafeln aus dem 20-teiligen
Bilderzyklus über das Leben des Heiligen Severin
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