Erschienen in Ausgabe: No 116 (10/2015) | Letzte Änderung: 07.10.15 |
von Sylvia Hüggelmeier
Für die diesjährige Ruhrtriennale
hat der Neu-Intendant Johan SimonsRichard Wagners „Rheingold“ inszeniert und neben dem griechischen
Dirigenten Teodor Currentzis mit seinem Ensemble Musica aeterna aus Perm auch
den Elektromusiker Mika Vainio eingeladen.
Bereits im Foyer der
Jahrhunderthalle in Bochum wirdder
Besucher mit elektronisch-technoiden Klängen beschallt, die – man hat es
gelesen- Richard Wagners Partituraufbrechen soll. Kann man sie überhaupt aufbrechen, und wie viel Walhall
und Nibelheim passtzur Geschichte des
Ruhrgebietes?
Walhall, das ist im oberen
Drittel der Bühne eine Fassadeaus der
Gründerzeit, ähnlich der der Villa Hügel, für Nibelheim muss die unterste Ebene
reichen, wo sich der „Grund des Rheins“ in drei großen undflachen Wasserbecken ausbreitet. Und in der
Mitte thront das riesige Wagnerorchester mit über hundert Musikern.und
Statisten als Zuschauern. So wird schnell deutlich: Johan Simons führt das
Dramain seiner Machbarkeit vor, als
Werkstatt mit Illusionszerstörung im Sinne von Brecht. Die Rheintöchter
sitzenauf Plastikstühlen und singen von
dortihr „Wiegenlied der Welt“ ehe sie
sich zu Alberich in die Wasserfluten begeben, Dort liegen drei Latexpuppen in
Unterwäsche und der Schutt einer Stuckdecke samt Kohle (das Ruhrgold!), und es
glitzert auch etwas Gold.Erda, die
Ur-Wala, sitztschon am Rand, ein
uraltes Mütterchen, mit derWotan
dieBrünnhilde der „Walküre“ wohl nicht
zeugen wird.. Simon scheint den „Ring“ bereits zu Ende gedacht zu haben, denn
am Schluss stehen Fricka und Wotan statt zur bombastischen Musik Wagners nach
Walhall einzuziehenim Wasserbecken
herum, aufdemSchutt herrschaftlicher Architektur.„Ihrem Ende eilen sie zu“, singt Loge, aber
die Götter sind schon am Ende.
Ein Diener begleitet das gesamte
Geschehen (Frank Castorf lässt grüßen) und unterbricht vor dem Beginn der
dritten Szene die Vorstellungmit einer
ins Publikum geschleuderten Revolutionsrede.
Aber wie viel Revolution steckt
in Wagners „Vorspiel“, dessen Prosa und Text er als letzten der vier Ringteile
entworfen hat? 1848, noch im Vorfeld desRings hatte Wagner in optimistisch -revolutionärer Stimmungden Essay „Der Nibelungen-Mythus“ verfasst.
Als er 1852 mit dem Prosaentwurf„Der
Raub des Rheingolds“ begann, war die Revolution bereits gescheitert, und der
ehemalige Barrikadenkämpfer saß in Zürich im Exil. Er war dabei, seine
Weltanschauung zu ästhetisieren und seine Ideen zusehends in einem neuartigen
Musiktheaterzu verwirklichen.Wohl auch deshalb fragte sich Johan Simons
wiedie revolutionäre Kraft von Wagners
Partitur in der „Industriekathedrale“ der Jahrhunderthalle neu zu erleben sei.
Aber nebenWagners revolutionärer Musik
wirkenVainios technoide Töne statt
semantisch und klanglich zu verstärkennur wie Störgeräusche.
Johan Simons hat nichtals erster Regisseur das“Rheingold“ als
Allegorie des Kapitalismus inszeniert und Sänger wie Menschen agieren lassen,
die uns durchaus vertraut sind.. Mit
Mythen und Märchen kann Simonnichts
anfangen. Dabei gelingen ihm einige starke Bilder mit darstellerisch hoch
motivierten Sängern wie Loge oder Alberich. Wegen des kammerspielartigen
Charakters des „Rheingolds“ mit seiner psychologischen Ausrichtung aber läuft
die Regie buchstäblich ins Leere. Und ohne jegliche Bühnentechnikkönnendie Sängerdarsteller nur in dem geschlossenen System des opulenten,
Bühnenbildes und um das Orchester herum agieren..
Die Partitur von Wagner, seine
Musik, bleibt immer ein Faszinosum. Von Minden bis Bayreuth, mit großen
Orchestern und kleinen, ist sie immer „klüger“ als das Bühnengeschehen. Himmel,
Erde und Wasser , Gefühle und Gedankenenhält sie, wechselt im „Rheingold“von Schwefelkluft-zu strahlenden Walhall- Klängen. „Alles mit
furchtbarer Energie des Ausdrucks“ zu spielen, lautete eine Anweisung von
Wagner anlässlich des ersten Bayreuther Rings. Und das gelingt Teodor
Currentzis, dem jungen Dirigenten aus Perm mitseinen russischen Musikern samt Verstärkung im Wechsel von beseeltem
Klang undAusbrüchen mit eruptiver
Wucht.
Der Gesang,wo erlebt man dasbei Wagner, schmälert in manchen Szenendie Klangwirkung desOrchesters. Er ist notwendigerweise technisch
verstärkt,undes ist schwer zu entscheiden, wie schön und
klar gesungen wurde. Den Wotan (Mika Kares)möchte man auf jeden Fallmal
ohne Headset hören, auch Alberich (Leigh Melrose).mit etwas weniger
darstellerischer Intensität.
Das „Rheingold“ in Bochum als
Abgesang auf das Industriezeitalter inmitten der Industriebrache der
Jahrhunderthalle passt. Aber es ermöglichtauchganz andere Inszenierungen,
denn vor dem Gott des Geldes kniet man auch heute noch nieder.
Die letzte Vorstellung findet am
26. September statt.
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