Erschienen in Ausgabe: No. 36 (2/2009) | Letzte Änderung: 26.03.09 |
Eine noch wenig beachtete fatale Folge der Weltfinanzkrise: Sie beraubt die Politik der Fähigkeit, die eigentlichen Probleme zu behandeln.
von Bernd Rebe
Da
haben wir doch früher über die sarkastische Kennzeichnung der Konsumenten
gelächelt, wonach diese Menschen sind, die Dinge kaufen, die sie nicht
brauchen, von Geld, das sie nicht haben, um Leuten zu imponieren, die sie nicht
mögen: Der Konsument als Inkarnation irrationalen Wirtschaftsverhaltens. Heute
müssen wir feststellen, dass gerade die vermeintlichen Hüter finanzpolitischer
Rationalität in den Banken und bei sonstigen Kapitalmarktakteuren ein viel
größeres und vor allem: ein ungleich folgenreicheres Maß an irrationalem Verhalten
an den Tag gelegt haben: Sie sind Menschen, die Werte veräußern, die es nicht
gibt, zu Paketen verschnürt, deren Inhalte keiner kennt, an Menschen, die diese
Pakete ohne Wert nicht brauchen. Damit hatten diese Finanzmarkttransaktionen
keinen Bezug zur realen Wertewelt; sie waren vielmehr Ausdruck einer
umfassenden Wirklichkeitsentkoppe-lung aller beteiligten Akteure. Aber: So
virtuell diese Transaktionen waren, so höchst real sind doch ihre
zerstörerischen Folgen.
Es
entspricht dem Ausmaß dieser Krise, dass sie am bildkräftigsten in
kosmologischen Kategorien ausgedrückt werden kann, nämlich als Explosion eines Schuldenkosmos, ausgelöst durch den Urknall
der amerikanischen subprime crisis. Und dieser Schuldenkosmos breitet sich
nach guter Kosmosart rasant aus, bringt immer neue wirbelnde Spiralnebel und
schwarze Löcher hervor, die alles in ihrem Umfeld verschlingen. Längst liegt
die massive Verstärkung rezessiver Tendenzen in der Realwirtschaft durch die
Weltfinanzkrise auf der Hand, die Zunahme der Arbeitslosigkeit in ihrem Gefolge
wird von niemandem mehr bezweifelt, aber auch die Vorsorgesysteme werden neuen
Belastungen ausgesetzt sein, das politische Klima wird weiter vergiftet, das
Vertrauen in die wirtschaftlich und in die politisch Entscheidenden weiter
unterminiert. Was gestern noch ehern galt, verkehrt sich in sein Gegenteil;
alte Sicherheiten verwandeln sich in neue Existenzängste: Wer etwa will den
Menschen, die ihre gesamte private Altersvorsorge auf Empfehlung ihrer
Partnerbank bei Lehman Brothers verloren haben, erklären, dass dies ein
typisches Finanzmarktrisiko realisiere, während die Finanzinstitute gegen die
von ihnen selbst mit verursachten Milliardenverluste mit hunderten von
Milliarden vom Staat abgesichert werden?
Die
Explosion des Schuldenkosmos hat den Staat selbst aus der Realität seines
überkommenen Aufgabenrahmens in die reale Irrealität der Finanzmarktjongleure
gerissen: Er musste - wie diese – unglaubliche Schulden machen, er musste – wie
diese – unmoralisch handeln, und er musste – wie diese – seine eigentlichen
Aufgaben ignorieren. Er musste, mit einem Wort, alle finanzpolitischen und
moralischen Präkaritäten der Weltfinanzkrise nachvollziehen, um die
Funktionsfähigkeit des Finanzsystems sicher zu stellen, das diese Krise
heraufbeschworen hatte.
Und:
Er hat sich, jedenfalls vorübergehend, von der Behandlung der eigentlichen
Probleme verabschiedet. War nicht zuvor über die Finanzierung staatlicher Aufgaben
im Rahmen der neuen Armut oder des Klimaschutzes, über zehn oder fünfzehn Euro
höheren Kindergeldes, über die Abwehr des afrikanischen Ansturms auf die
Wohlstandsfeste Europa, über den Afghanistan-Einsatz, über die Reform der
Finanzierung des Krankheitssorgesystems, über die Sicherung der Altersrenten,
über die Erhöhung der Hartz IV – Zahlungen um wenige Euro, über den Umfang der
Neuverschuldung und … und…. und … gestritten worden?
Über
alles dies, was zum Teil drückend wichtig und für vergleichsweise wenig
Haushaltsmittel zu haben war, wird überhaupt nicht mehr gesprochen: Nicht aus
diesen eigentlichen Problemen sind die potentiell astronomischen
Haushaltsbelastungen für den Staat erwachsen, sondern aus dem (jedenfalls
vermeintlich) völlig intakten, mit Tausenden von Milliarden hantierenden Kapitalmarktsektor,
dessen Repräsentanten obendrein nicht selten ein gerütteltes Maß herablassender
Staatsverachtung zur Schau getragen haben. Nicht den Armen, Bedrängten und
Bedrückten wird gegeben, sondern den Reichen, die am Entstehen dieser Krise
gewaltiges Geld verdient haben.
Diese
moralische Schieflage der
Finanzmarktstabilisierungspolitik wird notwendig den Willen zum sparsamen
Haushalten unterminieren. Wer will etwa den bürgernahen Kommunen, die im Rahmen
ihres „aktiven Schuldenmanagements“ Hunderte von Millionen verzockt haben, die
Hilfe bei ihren Haushaltsnöten verweigern? Schon macht das alte Gespenst eines
staatlichen Konjunkturprogramms die Runde, ernsthaft sind gezielte Hilfen für
Autobauer und andere Subventionsnehmer im Gespräch; niemand fragt mehr danach,
was das kostet, weil im Vergleich zu den astronomischen Summen für die
Finanzmarktstabilisierung dies alles „peanuts“ und die Zwecke dieser Hilfen
geradezu edel sind. Und wir gleiten in das Jahr der nächsten Bundestagswahl!
So
werden die Bundesschulden durch den zu erwartenden nachhaltigen Schub von ihrem
gegenwärtigen Niveau von ca. Tausend Milliarden Euro weiter aufgebläht werden
und die haushaltsjährliche Bedienung der bisherigen Schulden mit Zins und
Zinseszins kann schon im nächsten Haushaltsjahr von gegenwärtig Einundvierzig
Milliarden auf Vierzig plus X Milliarden steigen. Damit könnte der Staat schon
bald seine finanzielle Handlungsfähigkeit einbüßen. Denken wir an die USA, die
bereits jetzt auf täglich eine
Milliarde Dollar „importierten“ Geldes zur Aufrechterhaltung des öffentlichen
Lebens und zur Sicherung des Wirtschafts- und Finanzkreislaufs angewiesen sind. Oder denken wir – näher liegend - an das
(angebliche) Musterland Bayern, das schon jetzt durch die ausufernde
Schuldenkrise seiner Landesbank an den Rand seiner wirtschaftlichen
Handlungsfähigkeit getrieben worden ist. Andere Bundesländer könnten mit den
Schuldenproblemen ihrer Landesbanken noch folgen, und das sogar unter weniger
günstigen wirtschaftlichen Voraussetzungen als der blau-weiße Vorzeigestaat.
Und
damit ist ja noch längst nicht das Ende der Fahnenstange erreicht: Sollte auch
die US-amerikanische Kreditkartenblase mit lautem Knall platzen, könnten noch
weitere Einstandsverpflichtungen der öffentlichen Hände in neuen
Milliardenbeträgen gefordert werden, erst in den USA, dann aber erneut auch in anderen
Staaten rund um den Globus. Spätestens dann könnte die Gesamtkrise
unbeherrschbar werden. Der Staatsbankrott des kleinen Island lässt sich sicher
nicht auf die größeren Staaten hochrechnen, aber er ist ein warnendes Exempel.
Noch bekommt der Staat Darlehen seiner Bürger, weil Staatspapiere noch als
sicher gelten, sicherer jedenfalls als andere Wertpapiere. Sollten die Menschen
aber auch das Vertrauen in die Sicherheit von Staatsanleihen verlieren und
bekäme auch der Staat dann keine Darlehen mehr, könnte er vergleichbare oder
denkbare andere Krisen (etwa aus kriegerischen Verwicklungen, Terrorakten oder
massiven Umweltbeeinträchtigungen) nicht mehr mit weiterer Neuverschuldung
meistern.
>> Kommentar zu diesem Artikel schreiben. <<
Um diesen Artikel zu kommentieren, melden Sie sich bitte hier an.