Erschienen in Ausgabe: No 116 (10/2015) | Letzte Änderung: 07.10.15 |
von Stefan Groß
Ist die heutige Bundesrepublik, das Land
von dem Sie als DDR-Bürger träumten?
Ich habe als DDR-Bürger nicht von einem anderen Land geträumt, sondern ich
wollte, daß mein Land, Brandenburg-Berlin, die ostdeutschen Länder, in
Demokratie und Freiheit leben können – das hat sich erfüllt.
Was hätten Sie sich gewünscht, was verändert?
Ich habe mir gewünscht, daß wir
die Situation mental erlebbarer gemacht hätten, und daß wir auch in
symbolischen Handlungen deutlich gemacht hätten, daß eine neue Zeit beginnt.
Ich habe damals vorgeschlagen, daß wir nicht den 12. Deutschen Bundestag
wählen, sondern den ersten gesamtdeutschen Bundestag, dies wäre ein Signal für
die Menschen gewesen. Da herrschte zunächst im Westen die Meinung, wir wären
nur eine vergrößerte Bundesrepublik und machen so weiter wie bisher. Daß die
Vereinigung das Leben aller Deutschen verändert, ist bei den Westdeutschen erst
sehr viel später angekommen.
25 Jahre sind nach dem Fall der innerdeutschen Grenze vergangen. Wo stehen
wir heute, wo steht die CDU?
Wir stehen als Deutschland in
Europa, auch in internationaler Verantwortung. Deutschland ist erwachsen
geworden, außenpolitisch souverän, es hat eine wichtige Rolle bei der
Ost-Erweiterung der europäischen Union gespielt, da waren die anderen
westeuropäischen Länder anfangs gar nicht davon begeistert. Die CDU hat sich
aus einem rheinisch-katholischen Wahlverein zu einer Partei der Mitte
entwickelt; sie ist die einzige Partei, die im echten Sinne heute Volkspartei
ist. Ich bedaure, daß die Personaldecke der CDU so dünn ist, so daß man Mühe
hat, mitunter Posten verantwortlich zu besetzen. Das ist aber eine Frage, die
mit der Gesamtfrage von Glaubwürdigkeit und Politik – und wie Politik sich
darstellt – zusammenhängt. Dies ist damit nicht unbedingt ein CDU-spezifisches Phänomen.
Gibt es heute noch einen Unterschied zwischen der Ost- und der West - CDU,
von der Sie auch in Ihrem Buch sprechen?
Nach 25 Jahren sind auch die handelnden Personen andere geworden, und ich
glaube, daß die jetzt politisch Handelnden gesamtdeutsch sozialisiert sind. Die
anderen waren westdeutsch, die anderen ostdeutsch sozialisiert; ich gestehe,
daß ich die DDR nicht ganz losgeworden bin, will ich auch nicht, weil es ein
wichtiger Teil meines Lebens gewesen ist, aber die Politiker, die jetzt handeln,
wie Angela Merkel und Thomas de Maizière, sind in der Wendezeit politisch
sozialisiert worden und sind gesamtdeutsche Politiker, empfinden auch eine
gesamtdeutsche Verantwortung. Ich bin mir aber sicher, daß die Arbeitslosen in
Sachsen Angela Merkel genauso anerkennen wie die in Gelsenkirchen.
In Ihrem biografischen Erinnerungen
reflektieren Sie über das Thema Lüge, warum nimmt diese Thematik so einen
großen Stellenwert ein?
Ich habe in DDR-Zeiten erlebt, daß mich meine Kinder immer wieder fragten, ob
sie das, was wir zuhause politisch geäußert haben auch in der Schule sagen
könnten. Oder, daß sie mich fragten, ob es zwei Wahrheiten gebe, eine private
und eine für die Öffentlichkeit bestimmte. Dieses Gefühl, seine eigenen Kinder
von vornherein zur Janusköpfigkeit zu erziehen, und zu sagen, aus taktischen
Gründen würde ich die Frage in der Schule anderes beantworten als zuhause, dies
hat mich so umgetrieben, und das war eigentlich der Hauptgrund, eigentlich die
Hoffnung, diese Mißstände zu ändern, das ich damals in die Politik gegangen
bin. Das war für mich der ausschlaggebende Punkt, überhaupt Politik zu machen.
Was verbinden Sie mit Michael
Gorbatschow?
Es ist komisch. Er ist einer der
großen Weltveränderer und trotzdem ist er fast eine tragische Figur. Er ist
angetreten, einen neuen Sozialismus, eine reformierte UdSSR, zu schaffen. Er
hat den Zerfall der Sowjetunion mitbewirkt, aber den Sozialismus eben nicht
dahin führen können, wohin er wollte. Er ist mit Sicherheit einer der großen
Weltbeweger der zweiten Hälfte 20. Jahrhunderts. Ich bin mit ihm sehr eng
befreundet und wir haben gemeinsam die letzten Jahre den „Petersburger Dialog“
geleitet. Er ist eine historische Persönlichkeit, denn kaum einer wie er hat
die Welt im 20. Jahrhundert so dramatisch verändert.
Wie beurteilen Sie die soziale Lage in Ostdeutschland?
Besser, als die öffentliche Darstellung, aber schwierig genug noch immer.
Bevölkerungsabwanderung,
demographischer Wandel, welche Zukunft hat der Osten Deutschlands?
Wir werden noch einige große Umbrüche erleben. Wir haben nach der
Wiedervereinigung festgestellt, daß die Landbevölkerung nicht in die
Selbständigkeit gehen wollte, sondern die Großbetriebe behalten hat, die LPGs,
die sich jetzt zwar anders nennen, haben keine Erben, die Kinder sind nicht
mehr in der Landwirtschaft geblieben. Wir werden also eine wirkliche
Umkrempelung auf dem Land erleben und damit auch der Landeskultur. Der Landwirt
ist nicht nur Bauer, sondern betreibt die Landeskultur, ist der Ökologe.
Dies wird schwierig werden. Zudem haben wir eine starke Überalterung im Osten,
die fast dramatisch ist. Vor allem in Leipzig, Görlitz, in all diesen Städten,
die schön hergerichtet sind, aber wo die Stadtabwanderung stattgefunden hat.
Diese Städte locken jetzt westdeutsche Bundesbürger an, damit diese dort
billige Wohnungen beziehen. Wir werden in zehn Jahren Pflegeheime brauchen. Ich
glaube dennoch an eine Durchmischung mit den anderen Osteuropäern. Wir erleben
zunehmend, daß auch an den Randgebieten Polen in Deutschland arbeiten und
umgekehrt. Ich hoffe doch, daß er mit der zunehmenden Industrialisierung zu
einer gewissen Rückwanderung kommt. Wir werden uns aber darauf einstellen
müssen, daß die Bevölkerung in Deutschland schwindet. Desto wichtiger ist
gerade die Frage der Integration von Ausländern bei uns, und daß wir dort
vernünftige Wege gehen.
Das Interview führte Dr. Dr. Stefan Groß
Wir werden noch einige große Umbrüche erleben.
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