Erschienen in Ausgabe: No 117 (11/2015) | Letzte Änderung: 14.11.15 |
von Hans Gärtner
„Max Joseph“ heißt
das fabelhafte Magazin der Bayerischen Staatsoper, das der Intendanten-Ära
Nikolaus Bachler den medialen Stempel des Außergewöhnlichen, aber
Traditionsverpflichteten aufdrückt. Zur ersten Premiere – Arrigo Boitos
monumentale Goethe-Oper „Mefistofele“ (1868/75) – bekam man das neue Heft in
die Hand gedrückt: glanzvoll wie immer, rar wie gehabt, klug getextet, witzig
und bunt, akademisch auch, dabei künstlerisch gestaltet, dem Generalthema der
laufenden Spielzeit verpflichtet. Was diesmal „Vermessen“ heißt, in dreifacher
Wort-Bedeutung: kapieren, falsch Maß nehmen, hybrid sein.
Biometrisch vermisst der New Yorker Medienkünstler Tony
Oursler raumhohe Gesichter. Eines davon macht das „Max Joseph“-Cover aus (s.
Foto): ein schwarz-massiger Koloss, wie aus Basalt, Mund fest geschlossen,
linkes Auge klar, rechtes Auge letal. Kein Totenkopf, auch kein
Menschenschädel. Das verwegene Haupt des Satans? Würde zu „Mefistofele“ passen.
„Vermessen“, schreibt Bachler denn auch im Editorial, „mag schon das Vorhaben
(Boitos) gewesen sein, beide Teile von Goethes `Faust` in einer Oper zu
erzählen. Sein Interesse galt indes … der Verkörperung des Bösen …“
Es wird, bei Goethe schon, vom Teufel höchstpersönlich
repräsentiert. Ein arroganter Typ, der stets verneint. Eine Figur, halb Gott,
halb Mensch. Allmacht und Ohnmacht in einem. Versucher. Spötter. Verführer.
Gottesleugner (darin dem Regisseur verwandt). René Pape, den großen Dresdener
Bassisten, steckt Roland Schwab als Entertainer und Reiseleiter schick in einen
lila Zweireiher (Kostüme: Renée Listerdal) und lässt ihn als zwielichtigen
Entertainer agieren. Pape ist der fesche Kerl mit verwegenem Haarschopf und
Diven- Sonnenbrille, mit Gefolge, das nur aus der Hölle kommen kann:
halbnackte, rockige Draufgänger in Leder, die ihrem Gebieter, der angeberisch
mit Marte-Domina (Heike Grötzinger) auf einer heißen Kiste einfährt, hörig
sind. Schlüpfrig alle und geil.
Die vier Akte, Prolog und Epilog bestimmende
Einheits-Szenerie von Piero Vinciguerra: ein Gerippe-gesäumtes Riesenstadtrand-Areal,
das bald Walpurgisnacht-Brocken, bald Oide-Wiesn mit Karussell und
Biergartenmobiliar ist, aber auch für die intimen Räume herhalten muss, was bei
ihrer überdrehten Immensurabilität schlecht gelingt. Wenn Faust (in lyrischer
Bestform, stimmlich und in der Attitüde an Pavarotti erinnernd: der
unprätentiöse Joseph Calleja) sein Gretchen (bei Boito heißt es Margherita,
zart und zerbrechlich-blond: die hier scheue Kristine Opolais) am
Wohnzimmertisch unterm Apfelblütenbaum trifft und das arme Ding später, des
Kindsmordes und der Muttervergiftung angeklagt, seinen Friedhofsplatz bestimmt,
stört das anhaltend düstere trashige Ambiente. Im letzten Akt ist Helena
(Karine Babajanyan) Ergotherapeutin bei Dementen. Warum? – Die Chormassen, auf
Höllenlärm oder auf Engelsgesäusel angesetzt (Sören Eckhoff), bewegt Schwab so
gekonnt, dass sie, wie die jubilierenden Kinderchöre aus dem Off, zur tragenden
Größe dieser Neuinszenierung werden.
Über, unter und mit allem, den Wahrnehmungsapparat stark
strapazierend: die geistige Auseinandersetzung mit dem Bösen: Weltkatastrophen,
Attentate, Kapitalverbrechen. Wenn Pape dem Bösen menschliche Faszination
zuschreibt, trifft es genau, was hier „vermessen“ wird und „vermessen“ klingt.
Für den Klang sorgt, am Pult des voluminös zupackenden Staatsorchesters,
erstmals an diesem Ort (wie überhaupt die Realisierung dieses Boito-Werks) der
aufstrebende, soehrgeizige wie
hochtalentierte Israeli Omer Meir Wellber. Er brennt für diese aufgeladene
Hochkarat-Musik des als Librettist höchst erfolgreich gewesenen Arrigo Boito.
Er kann die zarten Herzenstöne einer Verlorenen, die Klage einer Göttin wie
auch bald die feurigen Erregungen, bald die nazarenisch frömmelnden Herren- und
Marien-Elogen des Volkes sowie die snobistisch auftrumpfenden satanischen
Flüche beschwören und die Oper zum machtvollen Musiktheater-Hörerlebnis
gestalten.
>> Kommentar zu diesem Artikel schreiben. <<
Um diesen Artikel zu kommentieren, melden Sie sich bitte hier an.