Erschienen in Ausgabe: No 117 (11/2015) | Letzte Änderung: 14.11.15 |
von Anna Zanco-Prestel
Beide Fotos von Marco Zanco
Installationen von Elpida Hadzi-Vasileva im Pavillon vom "Heiligen Stuhl" am Arsenale
Endspurt auf der 56. Kunstbiennale von Venedig, die sich seit
Anfang Mai auf einem alle zwei Jahre größer werdenden Areal in der Lagunenstadt
ausbreitet und - neben den traditionell genutzten nationalen Pavillons an den
Giardini und am Arsenale - eine stets wachsende Anzahl von Räumen und Locations
in Palästen, Kirchen und ehemaligen Werkstätten mit Exponaten und Installationen
jeglicher Art füllt. Fast ausnahmslos neue Werke von 136 Künstlern aus 53
Ländern aller Kontinente sind bei dieser Edition vertreten, die angesichts der
Ernennung von Okwui Enwezor als diesjährigen künstlerischen Leiter auch eine
ganz besondere Verbindung zu München schafft, wo er seit 2011Direktor vom Haus
der Kunst ist. Berufen wurde der gebürtige Nigerianer, der u.a. 1998-2002 die
documenta 11 Kassel geleitet hatte, wegen seiner besonderen Sensibilität in der
Ermittlung der inneren Impulse, der Empfindungen, die Künstler angesichts
großer gesellschaftlichen Umwälzungen, politischer Krisen und einer allgemein
verbreiteten Ungewissheit entwickeln. Ein „Parlament der Formen“, eine globale
Ausstellung, in der die „Idee über die Ware“ gestellt wird, zu schaffen, war von
Anfang an sein Bestreben: Eine globale Ausstellung, in der sich Künstler über
unser „Age of Anxiety“ befragen und nach möglichen Antworten suchen. Und Raum
für alle Trends und Tendenzen bietet die Schau gewiss als Reflex dessen, was
sich heute auf der „besten aller möglichen Welten“ abspielt ...! Jedes
nationale Pavillon, jede staatliche Beteiligung irgendwo in der Stadt
spiegeltauf eigene Weise die Besonderheit des Landes, das es repräsentiert: Die
„Fabrik “steht stellvertretend für Deutschland als Ort, an dem sich über die
Macht der Bilder nachdenken lässt, während sich auf dem Dach des Bauwerks eine Produktionsstättevon
Bumerangs auf der Suche nach ihrer eigenen Flugbahn in einer mal sichtbaren,
mal unsichtbaren Choreografie materialisiert, die die Zuschauer unten in Atem
hält. Nicht anders in dem altmodisch-heruntergekommenen Lederwarenladen in
Volos, wo es um das Spannungsfeld zwischen Tradition und Modernität im heutigen
Griechenland geht und um den Umgang mit wilden Kleintieren, die sich nicht
zähmen lassen. Der Schmelztiegel genannt Europa ist nicht jedermanns Sache und
schon gar nicht für alte Völker wie das hellenische!
Einem Suk ähnelt ein zu Kunstobjekt stilisierter Second-Hand-Market im Pavillon
der Arabischen Emirate, während der Geist der Archäologie souverän im
Israelischen Pavillon schwebt. Frankreich – wie immer an Eleganz nicht zu
überbieten! – versetzt den Betrachter noch im Außenbereich seines Pavillons ins
Staunen. Dort befindet sich eine der dreiriesigen Meerespinien mit offen gelegten
Wurzeln, die ihn langsam, mit kaum vernehmbaren Bewegungen ins Innere des
Bauwerks befördern.
Im Zeichen der Politsatire der Zeitungskiosk im Spanischen Pavillon, der mit
Sarah Lucasprovozierenden Exponaten in den gelben Tönen im Britischen Pavillon konkurriert.
Politischer denn je offenbart sich Chile in seiner „Poetica de la Disidencia“
(Poetik des Widerstandes), indem es -auch sehr provokatorisch – Fotos psychisch
Kranker und Transvestiten zur Schau stellt. Die Vorkommnisse in Chile, als der
demokratisch gewählte Staatspräsident Salvador Allende 1973 mit einem blutigen
Staatsstreich gestürzt wurde, hatten einen Niederschlag auf die Kunstbiennale
von Venedig, der zu tiefgreifenden Veränderung deren Satzung und Programme
führte. Die Solidaritätsaktionen von Künstlern unterschiedlicher Herkunft und
Ausrichtung auf dem gesamten Stadtgebiet brachten eine radikale Wendung ins
Politische mit sich, die bis heute in Venedig nachwirkt. Daran knüpft Enwezor
im verstärkten Ausmaß in seinem Konzept der diesjährigen Kunstbiennale, die
sich vor einem sich gefährlich zuspitzenden Krisenszenario abspielt. An den
Fingern brennende Themen, viel Zeitgeschehen, Konflikte noch und noch und für
jeden Geschmack, die sich plastisch vor dem Hauptpavillon ankündigen, wo die
Besucher an eine Mauer von Migranten-Koffern gestoßen werden. Aktualitätpur.
Wie das wie ein Vulkan ausbrechende Boot im Japanischen Pavillon, das
unweigerlich auch an das endlose Flüchtlingsdrama im Mittelmeer denken lässt.
Die bedrohliche Ansammlung von Messern und Säbeln des Algerier Adel Abdessemed
und die von der Decke hängenden Motorsägenbündel der Italo-Berlinerin Monica
Bonvicini lassen keine Zweifeln über die Richtung dieser größten Kunstschau der
Welt aufkommen. Afrika ist überall präsent, mehr als jedes andere Land ist es
aber China, das auch den Platz von Ländern wie Kenia und Nigeria einnimmt, die notgedrungen
waren, sich aus finanziellen Gründen zurückzuziehen. China zeigt sich in all
seiner Vielfalt in einem bunten Mix aus Kunst, Choreographie, Underground Music
und New Media. Am Spektakulärsten die zwei fliegenden Riesendrachen von XU BING
im Arsenale, die auf den Phönix-Mythos zurückgreifen. Zahlreich die
flankierenden, hochkarätigen Initiativen, die die Ausstellung begleiten, allen
voran das interdisziplinäre Programm ARENA im Hauptpavillon, wo u.a. aus dem
„Kapital“ von Karl Mark vorgelesen wird. Neben den 89 offiziell vertretenen
Ländern tritt zum zweiten Mal auch der Heilige Stuhl mit einer eigenen Schau im
Waffensaal vom Arsenal auf. In dem vom Präsidenten des Päpstlichen Kulturrats
Kardinal Gianfranco Ravasi ins Leben gerufene und von der Leiterin der Sammlung
Zeitgenössischer Kunst der Vatikanischen Museen Micol Forti kuratierten
Pavillon lässt sich die vertikal-traszendentale Dimension mit der
immanent-horizontalen in einem Ganzen ohne Zäsuren durchkreuzen, indem sich
langsam projizierte Bilder, Klänge und Gerüche vermengen und jedes einzelne Werk
der drei aus Kolumbien, Mazedonien und Mozambique stammenden Künstler eine Art
„Reinkarnation“ darstellt. Zusätzliche Akzente auch im Sinne einer historischen
Perspektive fügt die Präsentation einer Auswahl von Werken namhafter älteren
oder nicht mehr lebenden Künstler, die einen Bogen von der Fotografie (Walker
Evans), Installation (Isa Genzken, Hans Haacke), Skulptur (Melvin Edwards,
Ricardo Brey), Film (Sergej Ejzensteijn, Alexander Kluge), Multimedia (Chris
Marker), Konzept-Kunst (Teresa Burga, Adrian Piper)bis hin zur Malerei mit
Tetsuya Ishida und Georg Baselitz spannt. 44 die vielen, oft hochinteressanten,
überall in der Stadtverstreuten „Collateral Events“, die auch mit ihren
technologischen Innovationen die 56. Kunstbiennale bereichern. Darunter„Inverso
Mundus“ in den Magazzini del Sale,Grisha Bruskins „Reise durch die Ruinen der
Sowjetunion“ in der ehemaligen Kirche S.Caterina, „Never say Goodbye“ im
Palazzo delle Prigioni, „Highway to Hell“ in Palazzo Michiel, „ Learn from
Masters“ in Palazzo Bembo und die eindrucksvolle „Land Sea“, die die ruhmreiche
„Fondazione Volume!“ aus Rom- Trastevere dem Wahlmünchner Sean Scully im
Palazzo Falier gewidmet hat. Die Schau ist eine Hommage anVenedig und an einen
für die Stadt prägenden Stil in der Malerei von Tintoretto und Bellini bis hin
zu Tizian, in dem die Farbe – vom Licht und Glanz Venedigs verstärkt – zum
unangefochtenen Protagonist auserkoren wird.
Noch bis zum 22. November 2015
www.labiennale.org
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