Erschienen in Ausgabe: No 117 (11/2015) | Letzte Änderung: 14.11.15 |
von Mario Voigt
Es ist knapp 11 Monate her, da hoben SPD und Grüne den
ersten Ministerpräsidenten der Linken in den Sattel. Keine der drei Parteien
konnte für sich beanspruchen, dafür zur Landtagswahl 2014 einen Wählerauftrag
erhalten zu haben. Die Linkspartei legte marginal zu, verlor zugleich aber
mehrere Direktmandate. Die Grünen büßten an Zustimmung ein und die SPD erhielt
ein Ergebnis, das man eben erhält, wenn kein Wähler weiß, was mit seiner Stimme
geschieht. Doch ist dies nur eine Thüringer Angelegenheit oder lassen sich
bundespolitische Lehren daraus ziehen?
1. Die strategischen Motive
Vor der Wahl von Bodo Ramelow lag ein großer Fokus auf dem
kleinen Land in der Mitte Deutschlands. Viele hinterfragten, warum sich die SPD
und die Grünen mit den Linken verbrüderten statt in eine gemeinsame Koalition
mit der CDU zu treten. Nun war dies 2014 keine ganz neue Angelegenheit. Schon
2009 hatten die drei Parteien miteinander geflirtet, aber sich am Ende gegen
eine solche Ehe entschieden. 2014 war die Zeit dann reif: Die SPD tat dies vor allem
aus Frust, in einer Koalition mit der CDU zwar viele ihre Ziele durchgesetzt,
aber trotzdem nicht Gewinner einer solchen Koalition geworden zu sein. Zudem
verflüchtigte sich die Mehrheit einer SPD der Mitte hin zu einer linken SPD,
die bewußt oder unbewußt, die Linke als zweite sozialdemokratische ergo
koalitionsfähige Partei anerkannte. Die Grünen wandten sich einer linken
Koalition aus dem irrigen Glauben zu, über ein bürgerliches Profil Gewinner
einer solchen Koalition werden zu können.
2. Der linke Anspruch
Für die Linke geht es um mehr. Natürlich will sie zeigen,
schaut her: wir stellen einen Ministerpräsidenten; wir sind eine ganz normale
Partei. Aber solche machtstrategische Fragen unterschätzen den
transformatorisch-revolutionären Anspruch der Partei: „Wir setzen auf eine
allmähliche Transformation, auf eine schrittweise Veränderung der Gesellschaft,
wenn sie so wollen: Das Revolutionäre wird man erst in der Rückschau erkennen“,
formulierte der Vordenker der Linken und Chef der Staatskanzlei, Prof.
Benjamin-Immanuel Hoff Ende März 2015. Der Leitstern des Regierungshandeln
Ramelows ist der „hegemoniale Block“ (Antonio Gramsci) bestehend aus
SPD+Grüne+Linke, welcher Staat und Gesellschaft formt. Zum Wesenskern der
LINKEN gehören noch immer tiefe Eingriffe in den Bereich der Gesellschaft und
der Wirtschaft: Ein übergriffiger Staat, der sich für klüger hält als die
Einzelnen und die vielen widerstreitenden Kräfte einer pluralistischen
Gesellschaft. Das unterscheidet die LINKE mit ihren kommunistischen Wurzeln
übrigens deutlich von der SPD oder den Grünen - von der CDU sowieso, die den
Einzelnen durch Bildung, soziale Förderung und gesicherte Rechte ermöglichen
will, an den Früchten einer freien Gesellschaft und Wirtschaft Anteil zu haben.
3. Nach Außen: Bodo,
wer? Profilierung und linke Bündnisfähigkeit beweisen
In den ersten Wochen musste sich Bodo Ramelow fühlen wie das
Schmuddelkind auf einem neuen Schulhof. Es stand allein in der Ecke und die
anderen Kinder rissen Witze. Selbst die SPD im Bund hielt mehr als Tanzabstand
und erlaubte den ersten Regierungschef von RRG nicht in Vorabstimmungsrunden
zum Bundesrat von SPD und Grüne. Thüringen isoliert. Die Teilnahme musste sich
erst verdient werden.
Nach 10 Monaten im Amt scheint Ramelow dies gelungen: ob
durch Angriffe in der Energiepolitik auf Horst Seehofer, Schlichter im
Bahnstreik, in Soli-Allianz mit den anderen Ost-Ministerpräsidenten oder als
omnipräsenter Flüchtlingshelfer – Ramelow profiliert sich und seine Regierung
als „reinen“ sozialdemokratischen Politikentwurf und findet Platz in den
Koordinations-Runden der SPD- und der Grünen-Regierungen. Dadurch werden auch
diejenigen auf der Linken Teil des vereinten Deutschlands, die das nie wollten
oder die den Prozess nie wollten (L.Bisky). Und gleichzeitig wird das
Koordinatensystem der SPD und Grünen stärker links verortet. So regiert in
Thüringen in Wahrheit eine Vier-Parteien-Koalition: Linke+SPD+Grüne+Bodo
Ramelow.
Doch trotz des bundespolitischen Profilierungskurses bleibt
Ramelow ein Ministerpräsident von Stasis Gnaden. Die hauchdünne
Einstimmenmehrheit mit zwei ehemaligen IMs in der Fraktion beschert ihm Themen,
welche die neue Regierung in die bundespolitische Isolation führen: die
Ankündigung alle V-Leute abzuschaffen oder der Winterabschiebestopp.
Die Abschaffung der V-Leute bezeichneten Innenminister
anderer Bundesländer als „gefährlichen Alleingang“ und führten aus, dass in
bestimmten Fällen der Staat ohne den Einsatz menschlicher Quellen unmöglichen
feststellen könne, welche Gefahren drohten. Dem entgegnete der stv.
Linke-Vorsitzende in Thüringen, Dittes, trocken, die Erfahrung zeige vielmehr,
das V-Leute-System erhöhe die Sicherheit nicht, sondern gefährde die
Demokratie. Das die Strukturen des Thüringer Verfassungsschutzes neu überdacht
werden müssen ist eine, durch den NSU-Skandal provozierte, durchaus berechtigte
Frage. Wenn die Lösung jedoch in der Abschaffung besteht, also in der
Ausgliederung und Isolierung hinsichtlich der bundesweiten
Informationsbeschaffung und Verbrechensbekämpfung, dann wirft das die Frage
nach einem ‚warum‘ auf.
Darin wird das Grenzgängerische, der
transformatisch-revolutionäre Charakter sichtbar. In Sicht der Linken muss der
Staat als Instrument für die Formung der Gesellschaft verändert werden, wenn er
ggf. im Weg steht. Da für die Linken der Extremismus aus der Mitte kommt,
nötigt die fehlende eigene Distanz zum extremistischen Lager am linken Rand –
besonders – dem kommunistischen Block, ihnen so Änderungen in der
Sicherheitsarchitektur des Staates ab.
4. Nach Innen: auf
leisen Sohlen das Land verändern?!
Bis 2014 galt, Thüringen ist ein erfolgreiches Bundesland.
Die höchste Beschäftigungsquote Deutschlands, das Bundesland mit der höchsten
Aufklärungsquote in der inneren Sicherheit und die Thüringer Schüler belegen
bei allen Tests Spitzenplätze. Warum also etwas ändern?
Ein vielfach intoniertes Mantra der neuen Regierung: wir
wollen nicht alles anders aber vieles besser machen. Die ersten Monate schienen
das zu bestätigen. Kleine sichtbare Prestigeprojekte festigten den neuen
gemeinsamen Bund.
Als erstes schufen RRG das Landeserziehungsgeld ab, dem
Vorläufer des Bundeserziehungsgeldes. Der Wahlfreiheit der Eltern stellte RRG
die vollkommene staatliche Betreuung in öffentlichen Einrichtungen gegenüber:
Man wolle damit den Einstieg in den kostenfreien Kindergarten bezahlen.
Wohlgemerkt in Thüringen gehen 97 Prozent der Kinder im Vorschuljahr in den
Kindergarten.
Auch das erste Gesetz amtete den Geist der Bevormundung und
der Wirtschaftsfeindlichkeit. Mit einem Vorschlag zum staatlich
verordnetenBildungsurlaub für Arbeitnehmer
zur gesellschaftlichen Weiterbildung überzog RRG alle Thüringer Unternehmen mit
mehr als 5 Mitarbeitern. Deren Arbeitnehmer sollen bis zu 5 Tage im Jahr an
Seminaren zur gesellschaftlichen oder kulturellen Bildung teilnehmen; die
berufliche Weiterbildung ist ausgeschlossen. Das Gesetz dient schlicht als ein
Arbeitsbeschaffungsprogramm für gewerkschaftsnahe Fortbildungseinrichtungen.
Der minimalinvasive Politikansatz von Rot-Rot-Grün bescherte
ihnen im Sommer stabile Umfragewerte und normale Zustimmungswerte. Doch regiert
wird nicht nur auf dem Sonnendeck und so zeigt sich in den letzten Wochen das
wahre Gesicht, welches Staat und Gesellschaft verändern soll. Es wird die Axt
an eingeübte Institutionen des Landes gelegt:
Mit einer deutlich zentralistisch geprägten Gebietsreform
von Kreisen und Gemeinden sollen bürgernahe Strukturen zerschlagen und anonyme
Großkreise entstehen. Dem Bürgerlichen soll im Land der Dichter und Denker
durch eine Strukturreform die jahrhundertealte Theater- und Operntradition
entzogen werden. Auch in der Finanzpolitik bewahrheitet sich, dass linke
Regierungen lieber verteilen und nicht über das erwirtschaften nachdenken. Sie
schlachten das Sparschwein der Landesfinanzen und streiten öffentlich über die
Gültigkeit der Schuldenbremse. Der geplante Doppelhaushalt bläht das Volumen um
1 Mrd. Euro im Vergleich zum letzten Haushalt der CDU-Regierung auf, die
Schuldentilgung wird ausgesetzt und die Rücklage aufgelöst. Es wundert nicht,
dass das Wirtschaftswachstum in Thüringen mittlerweile in den Keller gerutscht
ist. Gravierende Managementfehler bei der Bewältigung der Flüchtlingsströme tun
ihr übriges.
Mittlerweile kursiert als Mantra der neuen Regierung: wir
wollen vieles anders aber nichts besser machen.
5. Lektionen für den
Bund 2017
Mit ihrer Entscheidung, einen Ministerpräsidenten der LINKEN
in den Sattel zu heben, haben die SPD und die Grünen mehr als einen taktischen
Schwenk vollzogen. Sie ordnen sich einem grundsätzlich anderen Politikansatz
unter. Die LINKE versteht sich als Anker in einem Dreierbündnis und bestimmt
damit auch den Radius, in dem sich das Schiff der Regierungspolitik in den
Strömen der Zeit zukünftig bewegen soll. Thüringen soll nicht mehr aus der
politischen Mitte heraus, sondern vom linken Rand her regiert werden. Es geht
um einen fundamentalen Wandel mit Ansage.
SPD-Landesvorsitzender Bausewein sieht nach 10 Monaten die
Positionierung der SPD in der linken politischen Mitte an der Seite der Linken
und Thüringen als Trendsetter für das politische System Deutschlands. Thüringen
dient den linken Parteien in Deutschland als Blaupause; als Denkschablone für
eine mögliche andersartige Koalitionsoption im Bund. 2016 soll Sachsen-Anhalt
dazukommen. Gelingt der Union die Rückgewinnung von Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg
im März 2016 und wackeln die Umfragen in NRW für das Frühjahr 2017, werden in
der schwindenden Volkspartei SPD die Diskussion um neue Regierungsmöglichkeiten
und den Ausbruch aus dem 20-Prozentturm beginnen. Auch die Grünen sind in einer
Art Schaukelstuhlpolitik zwischen linkem und bürgerlichem Lager gefangen. In
Zeiten, wo FDP und AfD um den Einzug in den Bundestag 2017 bangen, frohlocken
die Linken als stabiler Mehrheitsbeschaffer für SPD und Grüne.
Spätestens mit dem Parteitagsbeschluss der SPD im Herbst
2013 dürfte klar sein, wenn es rechnerisch möglich ist, werden SPD und Grüne
2017 mit der Linken sondieren. Dafür sprechen viele Parallelen aus Thüringen: Die
SPD verhält sich im Bund wie eine Opposition in der Regierung. Die Grünen
machen Lockerungsübungen für rot-rot-grüne Gespräche. Das öffnet die
Grundsatzfrage für den Wahlkampf 2017: Gelingt es der CDU gut zu begründen,
warum sie ein starkes Mandat für eine vierte Regierungszeit unter Führung von
Angela Merkel verdient hat? Oder verändert gar der Flüchtlingszustrom den
innenpolitischen Diskurs hin zur Stärkung der politischen Ränder?
Wie fragil ein erfolgreiches Land und wie schnell der Weg in
eine linke Republik ist, kann man im Brennglas an Thüringen beobachten.
Deutschland braucht ein weiteres solches Experiment
nicht.
Quelle: Bayernkurier Heft 5
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