Erschienen in Ausgabe: No 118 (12/2015) | Letzte Änderung: 01.12.15 |
von Anna Zanco-Prestel
Es bleibt nach wie vor umstritten, ob Alexej von Jawlensky
1864 oder ein Jahr später im russischen Torschok das Licht der Welt erblickte. Zu seinem 150. Geburtstag im vergangenen Jahr widmete ihm das
Museum Wiesbaden eine große Retrospektive unter dem Titel „Horizont Jawlensky“.
Seit Anfang November 2015 würdigt ihn nun die Galerie
Thomas Modern im Münchner Museumsareal mit einer ebenso reichlich
bestückten Ausstellung, die Raimund Thomaspersönlich gestaltet hat.
In Wiesbaden verbrachte der 1934 naturalisierte deutsche
und gleichzeitig als „entartet“ geltende Künstler die letzten zwanzig Jahre
seiner bewegten, von Erfolgen und Schicksalsschlägen gekennzeichneten Existenz.
In München erlebte er zwischen 1896 und 1907 seine gewiss
fruchtbarste Periode im Umkreis seiner künstlerischen Weggefährtin Marianne von
Werefkin, die einen Salon in der Giselastraße betrieb. Dort fand Jawlensky
Anschluss zu herausragenden Persönlichkeiten derKunstszenedes kulturell
aufstrebenden München, das zu jener Zeit immer mehr mit Berlin und sogar mit
Paris mithalten konnte.
Unter den in die bayerische Metropole „Zugereisten“
befand sich Wassilj Kandinsky, den Jawlewski in der Malschule des slowenischen
Malers Anto Atze kennengelernt hatte. Der um ein Jahr jüngere ließ sich von
Jawlensky inspirieren und schaute auf ihn herauf.
Jawlenkys Schaffen war vielerlei Einflüssen ausgesetzt. Aufgewachsen
in der Tradition des russischen Realismus, ignorierte er nicht die ins
Abstrakte führenden Bestrebungen seines Landmanns Malewitsch. Als Angehöriger
der selben Generation von Toulouse Lautrec oder Franz von Stuck, blickte er
noch auf Cézanne und unterlag gleichzeitig der Faszination von Van Goghs freien
Pinselduktus oder der kräftigen Farbgebung in schwarz umrandeten Konturen eines
Gauguins. Der Fauvismus hielt ihn auch in seinem Bann, wie das auf rotem
Untergrund gemaltem Gemälde an der hinteren Wand des Raumes zeigt, in dem sich
die Werkschau abspielt. „Die Bacchantin“ heißt das an Matisse anklingende Bild
aus dem Münchner Jahr 1912, das Jawlenkys Übergang zum Figurenbildnis und
speziell zum Gesicht markiert. Es hebt sich aus einer rot gestrichenen Tafel
innerhalb einer geglückten Ausstellungsarchitektur heraus, die die
unterschiedlichen Phasen seines Werks zur Geltung kommen lässt und seinen Weg
vom Realismus der frühen Jahre in eine zunehmend abstrahierende Richtung
beleuchtet.
Landschaften, Stilleben, die teilweise noch an Cézanne
anklingen, sind neben weiblichen Akten an den Seitenwänden zu finden, wie auch
die Zeichnungen und die sechs Lythos auf Bütten aus der „Mappe“ genannten Reihe
von 1922, in denen die Beschäftigung mit dem Gesicht die Oberhand gewinnt. Mit
einfachen Strichen entworfene Formen, in denen Kurve und Linie harmonisch
zueinander finden und mit großer Eleganz den Minimalismus vorwegnehmen.
In die Mitte des Großraums rücken die kleinen, mal in
zarten mal in dunkleren Tönen gemalten Porträts, die auch eine zentrale
Stellung in Jawlenkys Werk einnehmen. Zentral wie die Wahl des menschlichen
Antlitzes als Dauersujet der reifen Jahre dieses hochmodernen Künstlers, der
sich immer entschiedener in die Abstraktion flüchtet. Es sind die berühmten
ausdrucksstarken Serien, die Jawlensky ab seinem erzwungenen Exil am Genfer See
beim Ausbruch vom I. Weltkrieg zu malen begann oder die in immer kleineren
Formaten während der lähmenden Krankheit entstanden, die ihn zunehmend ans Bett
fesselte.
Serien, wie jene„Variationen“ aus den Jahren 1917- 1919,
die sich noch an die Formen der Natur orientieren und die der Maler „Lieder
ohne Worte“ nennt.
Oder die „Abstrakten Köpfe“ in grelleren Tönen, der
20er-30er Jahre mit Untertiteln, die auf eine Haltung wie „Inneres Schauen“
oder auf einen Gemütszustand wie „ Winterstimmung“ hinweisen.
Schließlich die „Meditationen“, die als Krönung seines
Schaffens angesehen werden. Meditative Erscheinungen auch von stimmungsvollen
Untertiteln begleitet wie „Harmonie Noire“ von 1935 oder „Harmonie in Grün“ und
„Sanftmut“ von 1936.
Abstrakte Ikonen als moderne Interpretationen jener
altrussischen, byzantinischen Kunst, die Jawlenskys „Seele immer in eine
heilige Vibration“ versetzte und seine Suche in eine mystische und dennoch sehr
innovative Richtung lenkte, wie seine eigenen Worte an Besten beschreiben:
„Meine Arbeit ist mein Gebet,
aber ein leidenschaftliches,
durch Farben gesprochenes Gebet.“
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