Erschienen in Ausgabe: No 118 (12/2015) | Letzte Änderung: 08.12.15 |
Die Medianmanagerin, Filmproduzentin und Präsidentin der Hochschule für Fernsehen und Film München, Bettina Reitz, spricht mit Stefan Groß über die Zukunft des Kinos in einer digitalisierten Welt und fordert mehr künstlerische Kreativität durch eine faire Finanzierung.
von Bettina Reitz
1.Frau Reitz, von Ihrem neuen Büro in der HFF
München schweift der Blick über das Münchner Kunstareal. Inspirierend für Ihre
Zukunftspläne als neue Präsidentin dieser renommierten Filmhochschule?
Auf jeden Fall! In direkter Nachbarschaft wartet eine
spannende Mischung aus Kunst, Kultur und Wissen nur darauf, sich inhaltlich mit
uns auszutauschen und zu kooperieren. Damit erschließen sich für uns Welten
über Film und Fernsehen hinaus; wie aktuell beispielsweise in einer Kooperation
mit der Technischen Universität München zum Thema Gaming.
2.Ist das Erschließen solcher neuer Welten
auch deshalb so wichtig, weil Kino und Fernsehen schon als Auslaufmodelle
gelten?
Kino wird für mich niemals ein Auslaufmodell sein. Es ist der Kinofilm, an dem sich
Fernsehfilme und Serien weltweit messen lassen müssen. Er setzt die
qualitativen und handwerklichen Maßstäbe,egal wie viele Entwicklungen uns in der digitalen Welt momentan
begegnen! Das Fernsehen ist jetzt schon in einem spürbaren Wandel, und da wird
noch einiges passieren. Die junge Generation kennt Fernsehen, wie wir es
nutzen, schon heute nicht mehr. Meinem Sohn oder den Studierenden kann ich
nicht erklären, dass sie jetzt ein tolles Programm verpasst haben, weil sie
nicht zu einer bestimmten Zeit vor dem Fernseher saßen – dafür haben sie kein
Verständnis, weil sie schon längst zu einem anderen Nutzer-Verhalten
übergegangen sind.
Vor allem das Fernsehen und die digitale Welt haben den Markt der unbegrenzten
Möglichkeiten weit aufgestoßen. Neben den
Kinoformen gibt es unzählige Formate, im Event- und Serienerzählen aufzufallen.
Einerseits treibt uns die technische Entwicklung vor sich her, andererseits
eröffnet sie ungeahnte Möglichkeiten und Herausforderungen für uns.
3.Sparmaßnahmen stehen auf der Tagesordnung
von ARD und ZDF, wie kann man den Spagat zwischen Sparen einerseits und
anspruchsvoller Fernsehkultur andererseits überbrücken?
Ich sehe es
allgemeiner: Das Zusammenspiel zwischen Sendern und Förderern auf der einen
Seite, und den Kreativschaffenden auf der anderen Seite, knirscht. Verleih- und
Sender-Interessen sind nicht kompatibel! Es geht hier nicht um Schuldzuweisung,
sondern um die Feststellung, dass das Geld für so viele Filme nicht reicht und
zu viele Filme, zumindest im Kino, nicht erfolgreich genug sind. Die Qualität
der Bücher und Produktionen muss hierbei genauso streng überprüft werden, wie
eine kalkulationsgerechte und faire Finanzierung. Auch und gerade in Zeiten digitaler
Realität sollten wir uns zu einer starken Kultur- und Filmlandschaft bekennen!
Die kreativen
Entwickler in diesem Land sind unsere Zukunft und das schließt ohne
Wenn und Aber die
Künstler ein. Sender und Förderer müssen die Entwicklung von Drehbüchern
finanziell besser ausstatten und den Produzenten bei ihren Entwicklungen und
Produktionen helfen.
4.Deutschland wird immer älter. Sie
kritisieren zu Recht, dass der demographische Wandel letztendlich dafür
verantwortlich ist, dass sich viele Jugendliche vom Öffentlichen Fernsehen
verabschieden und Alternativen beispielsweise bei amerikanischen Angeboten
suchen und ins Internet wechseln. Wie ist dem telegenen Generationenkonflikt zu
begegnen?
Die öffentlich-rechtlichen Anbieter unternehmen große
Anstrengungen, um auch in diesen Zielgruppen ernst genommen zu werden. Ich sehe
es dennoch skeptischer, da „Programmangebote für Alle“ oftmals gleichbedeutend
ist mit „Programmangeboten für ältere Zielgruppen“. Junge Menschen bewegen sich
in kleinen, fragmentierten Interessengruppen und wollen mit ihren Film- und
Fernsehinteressen gerne in Grenzbereiche vordringen. Die sind aber nicht
unbedingt Mainstream und FSK 12.
Die Generation, die wir bei uns ausbilden, wird in einem
veränderten Markt neue Chancen vorfinden, sich darin aber auch behaupten
müssen. Neue Sehgewohnheiten sind eine Sache. Eine andere ist die Entwicklung
von Geschichten, die bestenfalls Menschen weltweit begeistern, weil sie
existentielle Themen behandeln. Hier müssen wir auch groß und international
denken dürfen!
5.Was muss die Ausbildung an einer
Filmhochschule wie der HFF München leisten, damit hier die Erfolgsgeschichten
von Morgen erzählt werden?
Sie muss das Vertrauen in die eigene kreative Kraft stärken
und erreichen, dass ein starkes Team und eine gemeinsame Vision mit einer
Sicherheit über das Was und Wie der Gestaltung einhergehen. Einer Sicherheit um
die Wirkung, die filmische Ausdrucks- und Sogkraft, die man als Filmemacher erreichen
will. Es geht um das Bewusstsein meiner filmischen Wirkungsmöglichkeiten.
Dafür sind ganz verschiedene Bereiche des Studiums wichtig: Die Vermittlung von
Basis-Wissen aus den Bereichen Technik und Medienwissenschaft. Die künftig noch
stärker verzahnte Zusammenarbeit zwischen den Abteilungen, die Spiel- und
Dokumentarfilmregisseure, Produzenten, Drehbuchautoren und Kameraleute
ausbilden. So dass Teams mit gegenseitigem Respekt vor und Verständnis für die
unterschiedlichen Talente entstehen, die im Idealfall weit über die Studienzeit
hinaus zusammenarbeiten. Hinzu kommen professionelle Angebote in der Lehre über
neue Lehrstühle wie Montage oder VFX oder künftig seriellem Erzählen. Und das
Erkennen und Aufzeigen neuer beruflicher Möglichkeiten für unsere Studierenden,
die sich mit dem Wandel des Fernsehens vielleicht gerade erst abzeichnen. Das
müssen wir in die Ausbildung mit einbeziehen und selbst Trends setzen für
unsere künftigen Absolventen.
6.Dann sollen die künftigen Absolventen also
nicht alle möglichst viele Oscars gewinnen?
Solche großen Preise wie der Oscar sind etwas ganz
Besonderes. Ich selbst werde die Erfahrungen rund um den Oscar für „Das Leben
der Anderen“ von Florian Henckel von Donnersmarck, an dem ich als BR-Ko-Produzentin
unmittelbar beteiligt war, niemals vergessen. Aber ich weiß, dass dies eine
Ausnahme war. Und ich weiß auch, dass man Filme, Ideen und die hier sprudelnde
Kreativität nicht daran messen darf. Unsere Studierenden sollen den Markt
prägen, mit gestalten und verändern. Aber sie sollen dabei nicht an Preise
denken, sondern an Geschichten, die eine Kraft besitzen, und die sie so
umsetzen können, dass ihr filmisches Werk weltweit beeindruckt.
7.Oft
heißt es ja zum Filmnachwuchs nur noch, in Deutschland würde zu viel davon ausgebildet.
Und dem gegenüber stehe zu wenig Vielfalt; zu viel Fernsehen im Kino, zu wenig große Kinogeschichten.
Diesen Vorwürfen
müssen sich alle Filmhochschulen kritisch stellen. Woran krankt
der Kinofilm
hierzulande und was müssen wir konkret tun, um ihm zu helfen?
Das ist keine
Einzelaufgabe, sondern ein gewaltiges Gemeinschaftsprojekt, das wir zusammen
mit der Filmbranche und der Politik unbedingt angehen und zum Erfolg führen
müssen.
Kino ist ein
wichtiges Kulturgut und bindet in der Gemeinschaft Menschen unterschiedlicher
Herkunft zusammen. Das ist gerade in diesen Zeiten eine enorm wichtige
integrative Chance.
Fragen: Dr. Dr. Stefan
Groß
Bettina Reitz studierte
Germanistik, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften sowie Psychologie in
Frankfurt mit Magisterabschluss. Sie ist eine der renommiertesten deutschen Medienmanagerin
und Filmproduzentin. Von 2012-2015 war Reitz Fernsehredakteurin des bayerischen
Rundfunks. Seit Oktober 2015 ist sie Präsidentin und Professorin der Hochschule für Fernsehen
und Film München. Reitz ist Mitglied der Deutschen Akademie der Darstellenden
Künste, aber auch der Deutschen-und der
Europäischen Filmakademie. Sie ist seit dem Jahr 2012 Ehrenmitglied in die Bayerische
Akademie der Schönen Künste.
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