Erschienen in Ausgabe: No 119 (01/2016) | Letzte Änderung: 07.01.16 |
von Michaela Koller
Beim zweitägigen Symposium der Joseph Ratzinger – Papst
Benedikt XVI. – Stiftung in Berlin(ZENIT berichtete), hat der Paderborner
Philosoph Berthold Wald an eine derzeit wieder hoch aktuelle Äußerung von Papst
Emeritus Benedikt XVI. zur Multikulturalität erinnert. Kardinal Joseph
Ratzinger habe wenige Monate vor seiner Wahl in Berlin gesagt, dass
Multikulturalität das Abendland in seiner absoluten Profanität zu sich selbst zurückrufe.
Der nun emeritierte Papst erkannte damals die moderne Situation des Glaubens in
Europa als Sonderweg im weltweiten Vergleich. Wald nahm die Regensburger Rede
zum Anlass, über die Rolle der säkularen Vernunft, des christlichen Glaubens
und von Interkulturalität im globalen Diskurs nachzudenken. Der Philosoph
stellte zunächst fest, dass Multikulturalität nicht selbst eine Kultur sei,
denn Vielheit könne nicht etwas Eigenes sein. Vielmehr setze Interkulturalität
eine jeweilige kulturelle Identität voraus.
Der Staat verhalte sich neutral, aber nicht gleichgültig. Benedikt XVI. habe in
seiner Vorlesung von Regensburg aufgezeigt, dass mittels der säkularen
Rationalität nicht auf die Grundfragen des Menschseins zugegriffen werden
könne, was einen elementaren Mangel bedeute. Der emeritierte Papst habe zur
Debatte nicht nur über die Pathologie der islamistischen Gewalt, sondern auch
über die der westlichen Hybris aufgerufen. Demzufolge eröffne die
Multikulturalität erst die Möglichkeit, neu zu lernen. In der Regensburger Rede
verbanden sich notwendige Kritik mit begründeter Hoffnung, durch die Selbstüberschreitung
jenseits kultureller und religiöser Grenzen über diese Fragen nachzudenken, da
die Grundbedürfnisse aller Menschen, auch und gerade in der Sehnsucht nach
Wahrheit, identisch seien.
Die Münchner Islamwissenschaftlerin Rocio Daga-Portillo sprach über die
Sprengkraft der Regensburger Rede des emeritierten Papstes vom 12. September
2006 aus Sicht der Muslime. Die in Spanien, Ägypten und den USA ausgebildete
Expertin war über die Reaktionen in der islamischen Welt auf die Vorlesung
nicht überrascht, betonte in ihrem Vortrag aber den Mut des emeritierten
Papstes, das Thema der Gewalt angesprochen zu haben. Durch die Erfahrung des
Kolonialismus wurde die Person Mohammeds zum Identitätsmerkmal und damit gilt
seitdem: „Beleidigung Mohammeds bedeutet Beleidigung der Muslime und der
Gemeinschaft, der Umma.“ Die Wunde des Kolonialismus könne nur durch Vergebung
und gegenseitigen Respekt geheilt werden. Gleichzeitig empfahl die Spanierin
eine kritische Auseinandersetzung der Muslime mit ihrer eigenen Geschichte auf
wissenschaftlicher Ebene.
In den klassischen Scharia-Rechtsbüchern, entwickelt nach dem Tod des
Religionsstifters im 7. Jahrhundert bis zum 10. Jahrhundert, gilt die
Beleidigung Mohammeds nicht als die Beleidigung durch ein Individuum. Am Anfang
der islamischen Geschichte wurde die„Verleugnung seiner Prophetie“ als
gemeinschaftliche Rebellion gegen die Herrschaft verstanden. Die älteste
ausführliche Quelle über das Vergehen der Beleidigung des Propheten der Muslime
stammt aus dem 14. Jahrhundert. Gemäß dem modernen Blasphemie-Gesetz wird die
Beleidigung Mohammeds wieder als Rebellion bestraft, obwohl sie als Beleidigung
eines Individuums gegen die Person des Propheten gesehen wird. Das Buch über
den Jihad in den klassischen Scharia-Rechtsbüchern ziele darauf ab, für die
Armee zu rekrutieren und diese zu organisieren. Herrschaft war religiös
legitimiert und die Religion hatte die Funktion einer Staatsbürgerschaft;
Angehörige anderer Religionen zählten demnach nicht als vollwertige Bürger.
In seiner Rede am 22. September 2011 vor dem Deutschen Bundestag wählte Papst
Benedikt XVI. aus seinen „großen Anliegen“ aus, zeigte sich die Professorin für
Römisches Recht Nadja El Beheiri überzeugt. Es sei ihm nicht nur um das
Verhältnis von Glaube und Vernunft, sondern vor allem auch um Kritik an der
positivistischen Wissenschaftstheorie gegangen. Schon lange vor seiner
Apostolischen Reise nach Berlin habe sich Benedikt XVI./Joseph Ratzinger mit
den Thesen von Hans Kelsen, dem „Meister des Positivismus“ auseinandergesetzt,
da ihn die Wahrheitsfrage schon früh zentral beschäftigte. „Zeugnis für die
Wahrheit geben bedeutet, von Gott, der schöpferischen Vernunft, her die
Schöpfung lesbar und ihre Wahrheit so zugänglich zu machen, dass sie Maßstab
und wegweisendes Kriterium in der Welt des Menschen sein kann“, zitierte El
Beheiri ihn aus seinem Jesus-Buch. Für ihn könne die objektive Vernunft, die
sich in der Natur zeige, ein Weg zur Erkenntnis des Schöpfers sein.
Ähnlich verhält es sich mit der Entscheidung aus naturrechtlicher Perspektive,
derzufolge diese im Wege der Evidenz gefunden wird. Naturrecht stehe für ein
schauendes Erfassen der Wirklichkeit, der Weisungen der Schöpfung. „Die
Bedeutung, die einer grundlegenden Evidenz bei der Entscheidungsfindung
zukommt, gehört zu jenen Punkten, bei denen sich die Erkenntnisse des Theologen
Ratzinger und des Juristen Waldstein harmonisch ineinander fügen“, sagte die in
Budapest lehrende Professorin. Wolfgang Waldstein ist der Salzburger Professor
für Römisches Recht, den der Papst in seiner Naturrechtsrede so ausführlich wie
keinen Zweiten zitierte. Daraus zieht El Beheiri den naheliegenden Schluss, der
Papst habe sich nach langen Überlegungen ein Naturrecht zu eigen gemacht, das
in der griechisch-römischen Antike begonnen und bis zur Allgemeinen Erklärung
der Menschenrechte und dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland für die
Rechtsentwicklung in Europa bestimmend gewesen ist. Mit Blick auf seine
Geschichte ist das Naturrecht grundsätzlich nicht an den christlichen Glauben
gebunden, sondern an eine „um stete Reinigung bemühte Vernunft“.
Der Philosoph Martin Rhonheimer von der Päpstlichen Universität Santa Croce
konzentrierte sich ebenfalls auf die Naturrechtsrede Benedikts XVI., die die
Frage ins Zentrum stellte, wie Recht von Unrecht unterschieden werden könne.
Der emeritierte Papst habe mit seinen Ausführungen vor dem Deutschen Bundestag
keine Demokratiekritik üben wollen. Seine Ansprache sei vielmehr rechtsethisch
zu verstehen gewesen. Das Naturrecht sei ein Maßstab für geltendes Recht, um
erkennen zu können, ob es sich wirklich um Recht oder nicht doch materiell um
Unrecht handele. Die Frage stelle sich, wer das Naturrecht interpretiere. Wenn
kein Konsens zustande komme, könne die Auslegung ja nicht Freipass für Anarchie
sein. Die Kirche könne heute nicht mehr oberster Verfassungsrichter einerRespublica
christianasein. Mit seiner Feststellung, dass es wahre und richtige
Maßstäbe für Recht gibt, habe Benedikt XVI. die positivistische
Hintergrundkultur kritisiert. „Dadurch kann Demokratie nur gewinnen“, wertete
der in Zürich geborene Rhonheimer. Ihm sei es darum gegangen, auf die Stimme
der natürlichen Vernunft zu hören. Auch der liberale Sozialphilosoph Friedrich
August von Hayek sei davon überzeugt gewesen, dass bestimmte
Verantwortungsbereiche einer Mehrheitsregierung entzogen sein sollten.
Ausgehend von der in der Papst-Rede vom 22. September 2011 erwähnte Ökologie
des Menschen sprach die Philosophin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz über die
„Ökologie der Geschlechtlichkeit“. Exemplarisch schilderte die Professorin wie
sich Utopien fließender Identität im Sinne eines totalen Selbstentwurfs
zunehmend durchsetzen, anhand einer transsexuellen Frau, die biologisch Vater
wurde. Samen, der von ihr vor der Geschlechtsumwandlung eingelagert wurde, half
bei der Erfüllung des Kinderwunsches, bei dem eine Leihmutter half. Gender
nauting, Navigieren zwischen den Geschlechtern ersetzt dabei die Dualität von
Mann und Frau als biologische Gegebenheit.
Den Körper durch den Begriff Cyborg, also Cyber Organismus, zu ersetzen, schlug
schon die amerikanische Feministin Donna Haraway vor: Der Körper ist dabei
nicht mehr eine materielle Gegebenheit. Vielmehr muss man von ständigen
Prozessen ausgehen, in dem der Körper auch keine rein kulturelle Schöpfung
darstellt. Gerl-Falkovitz sprach von einer Pflicht zur fortlaufend zu
inszenierenden Identität: „Diese Vision kennzeichnet eine Zerstörung, zumindest
die Vernachlässigung eines umfassenden Leibbegriffs.“ Die Genderforschung sieht
sie „weithin im Bann der Leibferne und Körper-Dekonstruktion“.Den Grund dafür
sei,dass leicht aus dem Sein ein Sollen geschlossen werden kann.
Daherbezeichnetsie[…]Judith Butlers Überlegungen in „Gender Trouble“ von
1991alseine „erneute Variante der extremen Bewußtseinsphilosophie“, sowie als
einen „Radikal-Konstruktivismus“, eine Vorstellung, in der die Faktizität des
Körpers vom Einzelnen bestimmt wird. Dieser setzt Gerl-Falkovitz die Sprache
des Leibes entgegen. „Das Geheimnisvolle, dass nur Frau und Mann ein Fleisch
werden und dabei neues Leben im Fleisch hervorbringen, ist das Phänomen, um das
es geht.“ Diese Tatsache verweise darauf, dass Gott selbst Beziehung, ja Liebe
sei. Als Konsequenzrät sie zueiner umfassenden Erziehung zur
Geschlechtlichkeit[...].
Quelle: www.zenit.org
Pater Prof. Dr. Stephan Horn, Erzbischof, Dr. Georg Gänswein (v. l.)
Zwischenspiel
Dr. Rocio Daga-Portillo, Dr. Dr. Stefan Groß (Moderation) Prof. Dr. Berthold Wald (v.l.)
Blick ins Publikum
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