Erschienen in Ausgabe: No 119 (01/2016) | Letzte Änderung: 04.01.16 |
von Hans Gärtner
Da legt man sich, seit Jahren, eine kleine bayrische
Weihnachts-Bibliothek an, um grad in der „staadn“ Zeit etwas in diese Passendes
lesen zu können. Ein, zwei Meter lang steht Weihnachtliches im Regal, und immer
wieder kommt was Neues dazu. „Auf Weihnachten zua“ betitelte Paul Ernst
Rattelmüller seine im Süddeutschen Verlag 1976 edierte Sammlung, die er am 1.
Dezember los- und am letzten Dezember ausgehen ließ. Lis Raabe brachte 1984 bei
Heyne ein Taschenbuch voller „Alter Weihnachtsbräuche aus deutschsprachigen
Ländern“ heraus. Mit „Weihnachtsgeschichten aus München“ kam uns Gundel Paulsen
bei Husum noch einmal 2001 recht – mit einem Allerlei aus berühmten und weniger
berühmten Schreibfedern. „Fränkische Bräuche zur Weihnachtszeit“ beschrieb der
Volkskundler Reinhard Worschech 1978 im Stürtz-Verlag, die ihm – „von Martini
bis Lichtmess“ – Otto Mayer illustrierte. Und so könnten die bayrischen
Weihnachtsbibliotheks-Belege noch etliche Zeilen weitergehen.
Mit mundartlich gefärbten oder voll in „Bairischem Deutsch“
stehenden Gedichten ist es in den Büchern nicht weit her. Rattelmüller ließ,
des mundartlich formulierten Titels wegen, auf eine gute Ernte hoffen. Doch
blieb sie relativ bescheiden. Die in abgeschwächter Mundart gehaltenen
Liedtexte unter der Überschrift „Auf den Heiligen Abend zu lernen“ hat der
einstige oberbayerische Bezirksheimatpfleger vermutlich (er gibt`s ja leider
nicht kund) dem Werk August Hartmanns„Weihnachtslied
und Weihnachtsspiel in Oberbayern“ (1885) entnommen. Dort heißt es:
Alle
fangt an, / Wer singen kann, / Pfeifen und geigen! / Keiner soll schweigen! /
Lasst euch nur hörn / Dem Kindlein zu Ehrn!
Jesulein
süeß, / Von Herzen dich grüeß!/ Tuest mir gefallen; / Lieb dich vor Allen. / Du
bist ganz mein: / Schließ mich ins Herz ein!
Erst ab der 3. Strophe färbt sich das Lied immer stärker
mundartlich, auch wenn noch von „Kind(e)lein“ (statt vom „Kinderl“) die Rede
ist:
Maria,
sitz zue! / Leg`s Kindlein in d` Rueh, / Dass es tuet schlafen / Und nit
erwachen! / Denn es liegt hart, / Ist klein und zart.
Öchslein,
nit brüll, / Wann`s Kind schlafen will! / Den Atem lass gehen / Übers Kindelein
schön, / Dass es tuet nit erfriarn! / Der Joseph soll`s wiagn!
Dieses „Bairische Deutsch“ kann auch ein Uneingeweihter
lesen und verstehen. Im Lied „Hol mi da Binkel!“ würde er (und wohl auch
mancher Eingeweihte) schon gleich über das 4. Wort der 1. Strophe stolpern:
„Binkel“ In dieser Wendung hat es wohl nur im übertragenen Sinn mit Bündel, Beutel
oder Beule zu tun. Die 2. Strophe mag trefflich ins Hochdeutsche übersetzen,
wer kann:
Sackra!
Mein Oadling; i hab`s scho daraten; / Loosts na den Engel dort außt, wia a
schreit!“ / Hamt eahm die Zotten und `s G`nack kloa vobraten / Und alsa
g`sengta auf d`Welt obakeit. / Aba da tausend! Er singt wolta schö`; / Loosts
und heids staad! I möcht`n vosteh`.
Auch wer über „Oadling“, „außt“, „Zotten“, „vobraten“,
„g`sengta“, „wolta“ und „heids staad“ stolpern mag – zu „vosteh`“ ist der Text
dennoch.
„Staad“ – dieses Adjektiv gehört in Altbayern zum Winter-,
vornehmlich zum Weihnachtsvokabular. Die „staade“ Zeit wird häufig
angesprochen. Bei Ludwig Zehentner („Bairisches Deutsch“, 1997, S. 277) ist zu
lernen:
„a) ruhig, still. Im
Wald is so staad, / Alle Weg san vawaht (THOMA, Hl. Nacht). Bi(n) s.! Sei still! Geh, sei doch du s.! b) gemächlich,
bedächtig. Die staden letzten Römer (AMERY,
K. 160).// die -e Zeit: der Advent.//schön s., Adv.: allmählich. Jetzt
wird` schön s. Zeit zum Gehen.// -lustig,
Adj., (mdal.): unmerklich langsam. Na
hat`s staadlusti zum Renga ogfangt.“
Der Regensburger bzw. Freisinger Sprachforscher weist auf
das mittelhochdeutsche „staet(e)“ hin und fordert zum Vergleich mit dem
hochsprachlichen „stet(ig)“ auf. (Anmerkung: Wer sich statt MAYER „AMERY“
nannte, hieß mit Vornamen CARL, nicht KARL, wie Zehentner mit der Abkürzung K.
suggeriert.)
Dem Altbayern geht es also um eine – nur ihm und seiner
Mundart zu dankende – Mischung aus Ruhe, Bedächtigkeit, Gemächlichkeit, die
Fähigkeit des Zuwartens und der, wie heute gesagt wird, Entschleunigung. In der
„staadn Zeit“ hat man Zeit. Da pressiert`s nicht. Da bringt man Geduld auf und
fährt nicht gleich aus der Haut, wenn einmal etwas länger als gewohnt oder
erwartet dauert. Da eilt nichts. Da sitzt man beisammen und kehrt den Sinn nach
innen. Alle Geschäftigkeit sei einmal dahingestellt. Die Sorgen rücken fern.
Die Gedanken an Endlichkeit und Ewigkeit dagegen rücken nah. „Staad“ – allein
schon der Wort-Klang wirkt kalmierend.
Die Miesbacherin Rosmarie Heindl aber gibt in ihrem Gedicht
„Staade Zeit“ zu bedenken:
Laut is
worn, de staade Zeit,
Lassts es
trotzdem in eier Haus.
Singts a
staade Weis,
De macht`s
Laute leis,
Kehrt
d`Unruah und d`Hast hinaus.
Wenn des
Liacht kämpft mit da Dunklheit
Nach am
uroidn Ritual,
Dann gebts
eich d`Händ weltweit,
Advent is
heit
Und da
Erlöser steht scho am Portal.
Stellts
d`Gabn bereit, zünds a Liachtl o,
Nehmts des
Elend in Arm und des Leid,
Denn des
Liacht macht warm
und `s
Gebn froh.
Und staada
werds in eich – de Zeit.
Dieses Gedicht steht in keinem der Bücher aus
dem Weihnachtsbibliotheks-Kontingent. Es stand vor 30 Jahren in der
Weihnachts-Ausgabe des „Münchner Merkur“. Damals sandten, aufgefordert,Leserinnen und Leser Weihnachtsgedichte an
die Redaktion. Einige von ihnen sind in Bairischem Deutsch gehalten, so wie das
Gedicht der Miesbacherin.
Sieglinde Ostermeier aus Freising erzählte, in
hübschen Mundart-Reimen, vom bedauerlicherweise heutzutage fehlenden
„Englshaar“ an Weihnachten. Leider, sagte sie, „leit“ heut auch „koa Glöckerl
mea, / boi`s Christkindl kimd“. Sie weinte den „gstoina Christbaam“ nach und
bedauerte, dass „koa Sternschnuppn“ mehr „foid“. In die Mettn ginge, behauptete
sie, schon gar niemand mehr, und längst würden keine „Lebkuacha“ mehr gebacken
und keine „Bratäpfe“ gäb`s mehr aus dem Rohr. Stattdessen dächten „d`Leid“
schon „im Somma an Weihnachtn“ und überlegten bereits „zur
Schlussverkaufszeid“, was sie als Geschenke einschaffen sollten. Die
Christbäume wären heute aus Styropor, von denen „koane Nodln owafoin“. Zu
alledem „plärrts überoi … aus Lautsprecha“ Stille
Nacht. „Weihnachtn is hoid aa nimma, wos amoi war.“
Eben dies beklagt „Das Boarische
Weihnachtsbüachl“ von 1985 der in Starnberg beheimatet gewesenen Hanna Walther
in Geschichten und Gedichten. In einem der ersten lyrischen Beiträge ist statt
von der „staadn“ von der „hoamlichn Zeit“ die Rede, was aber in etwa das
Gleiche meint. In einem Gedicht des Mittelteils kommt in der Wahl des
Konjunktivs, also der Möglichkeitsform, zum Ausdruck, dass heute wohl auf so
manches alte Brauchtum kein Verlass mehr ist, wenn es heißt:
Mir kaaman
gern zum Kindlwiagn, / Mir kaaman gern zum Stoill. / Na lassat mar a Gsangl
hörn, / Mir viere oder drei, / Und taatn a weng musiziern / Mit Flötn und
Schalmei.
Mir
braachtn aa zum Kindlwiagn / A schneeweiss`s Lambefell, / Und gaabn für Ochs
und Esl dir / An Howan und a Heu. / Geh, lass uns halt die Kindl wiagn, / Des
daat uns narrisch freu!
„Staad“ wird`s bei der aus dem Rupertiwinkel
stammenden promovierten Philologin und „Büachl“-Autorin Hanna Walther erst Am Heilign Obnd:
Koa
Schneewind waaht,
Koa Flockn
foillt.
`s is
seltsam staad.
`s
Chistkind kimmt boild!
Vom „Kindl-Anschießen“ mit richtigen Böllern
wird dann erzählt, und ganz unwirklich wird es, wenn der Himme glüaht mit lauter Stern“ und auf oamoi was vo fern funkelt, nämlich a schneeweiss`s Gwandl, gschnecklats Haar. Das Christkind ist zu
sehen, wie es auf einem Schlitten daherfährt. Den Schein, der am Heiligen Abend
am Himmel sichtbar ist, gilt manchem als ein göttliches Zeichen. Und der eine
oder andere fragt sich, nicht laut, aber „staad“, ganz für sich:
Wer
woass`s, ob `s Chistkindl nomoi kimmt!
A Kind
müasst ma halt sei!
Das Fatschnkindl-Foto
machte Hans Gärtner auf dem Weihnachtsmarkt von Schloss Tüßling/Oberbayern.
>> Kommentar zu diesem Artikel schreiben. <<
Um diesen Artikel zu kommentieren, melden Sie sich bitte hier an.