Erschienen in Ausgabe: No 119 (01/2016) | Letzte Änderung: 04.01.16 |
von Anna Zanco-Prestel
Alexej von Jawlensky, "Mystischer Kopf in Blau" (1918).
Es bleibt nach wie vor umstritten, ob Alexej von Jawlensky
1864 oder ein Jahr später im russischen Torschok das Licht der Welt erblickte. Zu
seinem 150. Geburtstag im vergangenen Jahr widmete ihm das Museum Wiesbaden
eine große Retrospektive unter dem Titel „Horizont Jawlensky“.
Seit Anfang November 2015 würdigt ihn nun die Galerie Thomas
Modern im Münchner Museumsareal mit einer ebenso reichlich bestückten
Ausstellung, die Raimund Thomas persönlich gestaltet hat.
In Wiesbaden verbrachte der 1934 naturalisierte deutsche und gleichzeitig als
„entartet“ geltende Künstler die letzten zwanzig Jahre seiner bewegten, von
Erfolgen und Schicksalsschlägen gekennzeichneten Existenz.
In München erlebte er zwischen 1896 und 1907 seine gewiss fruchtbarste Periode
im Umkreis seiner künstlerischen Weggefährtin Marianne von Werefkin, die einen
Salon in der Giselastraße betrieb. Dort fand Jawlensky Anschluss zu
herausragenden Persönlichkeiten der Kunstszene des kulturell aufstrebenden
München, das zu jener Zeit immer mehr mit Berlin und sogar mit Paris mithalten
konnte.
Unter den in die bayerische Metropole „Zugereisten“ befand sich Wassilj
Kandinsky, den Jawlewski in der Malschule des slowenischen Malers Anto Atze
kennen gelernt hatte. Der um ein Jahr jüngere ließ sich von Jawlensky
inspirieren und schaute auf ihn herauf.
Jawlenkys Schaffen war vielerlei Einflüssen ausgesetzt. Aufgewachsen in der
Tradition des russischen Realismus, ignorierte er nicht die ins Abstrakte
führende Bestrebungen seines Landmanns Malewitsch. Als Angehöriger der selben
Generation von Toulouse Lautrec oder Franz von Stuck, blickte er noch auf
Cézanne und unterlag gleichzeitig der Faszination von Van Goghs freien
Pinselduktus oder der kräftigen Farbgebung in schwarz umrandeten Konturen eines
Gauguins. Der Fauvismus hielt ihn auch in seinem Bann, wie das auf rotem
Untergrund gemalte Gemälde an der hinteren Wand des Raumes zeigt, in dem sich
die Werkschau abspielt. „Die Bacchantin“ heißt das an Matisse anklingende Bild
aus dem Münchner Jahr 1912, das Jawlenkys Übergang zum Figurenbildnis und
speziell zum Gesicht markiert. Es hebt sich aus einer rot gestrichenen Tafel
innerhalb einer geglückten Ausstellungsarchitektur heraus, die die unterschiedlichen
Phasen seines Werks zur Geltung kommen lässt und seinen Weg vom Realismus der
frühen Jahre in eine zunehmend abstrahierende Richtung beleuchtet.
Landschaften, Stillleben, die teilweise noch an Cézanne anklingen, sind neben
weiblichen Akten an den Seitenwänden zu finden, wie auch die Zeichnungen und
die sechs Lythos auf Bütten aus der „Mappe“ genannten Reihe von 1922, in denen
die Beschäftigung mit dem Gesicht die Oberhand gewinnt. Mit einfachen Strichen
entworfene Formen, in denen Kurve und Linie harmonisch zueinander finden und mit
großer Eleganz den Minimalismus vorwegnehmen.
In die Mitte des Großraums rücken die kleinen, mal in zarten mal in dunkleren
Tönen gemalten Porträts, die auch eine zentrale Stellung in Jawlenkys Werk
einnehmen. Zentral wie die Wahl des menschlichen Antlitzes als Dauersujet der
reifen Jahre dieses hochmodernen Künstlers, der sich immer entschiedener in die
Abstraktion flüchtet. Es sind die berühmten ausdrucksstarken Serien, die
Jawlensky ab seinem erzwungenen Exil am Genfer See beim Ausbruch vom I.
Weltkrieg zu malen begann oder die in immer kleineren Formaten während der
lähmenden Krankheit entstanden, die ihn zunehmend ans Bett fesselte.
Serien, wie jene „Variationen“ aus den Jahren 1917- 1919, die sich noch an die
Formen der Natur orientieren und die der Maler „Lieder ohne Worte“ nennt.
Oder die „Abstrakten Köpfe“ in grelleren Tönen, der 20er-30er Jahre mit
Untertiteln, die auf eine Haltung wie „Inneres Schauen“ oder auf einen
Gemütszustand wie „ Winterstimmung“ hinweisen.
Schließlich die „Meditationen“, die als Krönung seines Schaffens angesehen
werden. Meditative Erscheinungen auch von stimmungsvollen Untertiteln begleitet
wie „Harmonie Noire“ von 1935 oder „Harmonie in Grün“ und „Sanftmut“ von 1936.
Abstrakte Ikonen als moderne Interpretationen jener altrussischen,
byzantinischen Kunst, die Jawlenskys „Seele immer in eine heilige Vibration“
versetzte und seine Suche in eine mystische und dennoch sehr innovative
Richtung lenkte, wie seine eigenen Worte an Besten beschreiben:
„Meine Arbeit ist mein Gebet,
aber ein leidenschaftliches,
durch Farben gesprochenes Gebet.“
>> Kommentar zu diesem Artikel schreiben. <<
Um diesen Artikel zu kommentieren, melden Sie sich bitte hier an.