Erschienen in Ausgabe: No 119 (01/2016) | Letzte Änderung: 02.03.16 |
Die politische Lage in Deutschland ist gekippt, „rechtsfreie Räume“ werden immer größer, Gewalt und Gegengewalt bestimmen den traurigen Alltag der Bundesrepublik. Das Land radikalisiert und spaltet sich immer mehr in rechts und links. Schuld an diesem Dilemma ist der Rechtsbruch der Kanzlerin, die mit ihrer Politik der offenen Türen ein „eklatantes Rechtsversagen“ initiiert hat.
von Stefan Groß
Es gäbe „keinerlei rechtliche Verpflichtung
Deutschlands“, „den Schutz aller Menschen weltweit durch faktische oder
rechtliche Einreiserlaubnis“ zu garantieren. „Eine solche unbegrenzte
Rechtspflicht besteht auch weder europarechtlich noch völkerrechtlich“, so
konstatierte Verfassungsrechtler Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio in einem Gutachten,
das der Bundesregierung den Bruch des Verfassungsrechtes vorwirft. Di Fabio
hatte in diesem von der CSU beauftragten Gutachten nachgewiesen, dass der Bund
aus verfassungsrechtlichen Gründen dazu verpflichtet ist, die Landesgrenzen der
Bundesrepublik Deutschland zu sichern, dies insbesondere dann, „wenn das
europäische Grenzsicherungs- und Einwanderungssystem vorübergehend oder
dauerhaft gestört ist“. Für Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer kommt das
Gutachten zur rechten Zeit, bestätigt es ihm doch, dass die angedrohte
Verfassungsklage des Freistaats gegen die Flüchtlingspolitik der
Bundesregierung juristisch berechtigt wäre. Die Bayerische
Staatsregierung sieht jetzt die Bundesregierung in der Pflicht, zu handeln,
damit die „Herrschaft des Rechts“ wiederhergestellt wird. Wenngleich das
Gutachten die Position Seehofers stärkt, wird Bayern vor den anstehenden
Landtagswahlen in drei Bundesländern nicht klagen.
Niemals
war die Kluft zwischen Recht und Wirklichkeit größer
Auch der ehemalige Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier hat nun zur
Flüchtlingskrise Stellung bezogen und vor einer Bedrohung der staatlichen
Integrität gewarnt. Gegenüber dem „Handelsblatt“ erklärte der 72-Jährige, dass
in der rechtsstaatlichen Ordnung der Bundesrepublik die Kluft zwischen Recht
und Wirklichkeit niemals so groß und tief gewesen sei, wie zum derzeitigen
Augenblick. „Die engen Leitplanken des deutschen und europäischen Asylrechts
sind gesprengt worden. Bestehende Regelungen wurden an die Wand gefahren. Die
Asyl- und Flüchtlingspolitik krankt seit Langem daran, dass man es versäumt
hat, zwischen dem individuellen Schutz vor Verfolgung einerseits und der
gesteuerten Migrationspolitik für Wirtschaftsflüchtlinge andererseits zu unterscheiden.
Letzteres erfolge nicht aufgrund rechtlicher Verpflichtungen, sondern aufgrund
politischer Ermessensentscheidungen, die aus humanitären Gründen oder einer
vorsorgenden Zuwanderungspolitik getroffen werden könnten.“
Wie Di Fabio macht auch Papier die Bundesrepublik samt ihrer Politik der
offenen Türen für die Misere des Rechtsstaates mitverantwortlich und
kommentiert, dass die unbegrenzte Einreise ein Fehler gewesen sei und die
Bundesregierung damit sowohl ihre Grenzen als auch Kompetenzen deutlich
überschritten habe. Der Fehler der unbegrenzten Einreise beruhe nicht auf einem
umzusetzenden Recht; er ist in voller Tragweite einer politischen Entscheidung
zu überantworten, die die Kanzlerin höchst selbst getroffen habe. Damit wird
auch von Seiten Papiers der von Di Fabio bescheinigte Rechtsbruch der Kanzlerin
aus juristischer Sicht unterfüttert.
Das „eklatante Politikversagen“ der
Bundesregierung
Und damit nicht genug: Papier wirft der Bundesregierung um Angela Merkel
nicht nur ein „eklatantes Politikversagen“ vor, sondern sieht in den vielen
gutgemeinten Appellen aus dem Bundeskanzleramt der letzten Monate eine reine
Zeitverschwendung am Werk, die zu einem Politikversagen auf breiter Front
geführt hat. Die Bundesregierung hat zu lange bei ihrer Flüchtlingspolitik
gezögert, die Hinhaltetaktik ist nun in die falsche Richtung gelaufen, bzw. in
einer Orientierungslosigkeit eingemündet, die nur noch hilflos agieren kann,
statt – wie politisch sinnvoll – vorausschauend verantwortungsvoll und damit
verantwortungsethisch zu agieren. Rechtfreie Räume sowie die sexuellen
Belästigungen in der Silvesternacht sind das traurige Ergebnis einer Politik,
die nur auf Sicht fährt. Diese Geschehnisse „manifestierten ein partielles
Versagen des Staates als Garant von Freiheit und Sicherheit gegenüber seinen
Bürgern“.
Merkel Auf-Sicht-Politik ging lange gut. Damit steuerte sie sowohl durch die
Banken- und Finanzkrise als auch durch die Griechenlandrettung. Aber nun rächt
sich diese kurzsichtige Politik nicht nur bei der nichtvorhandenen Absicherung
der europäischen Außengrenzen, sondern insbesondere an den deutschen
Innengrenzen, wo, trotz Winter, der Flüchtlingsstrom mit mehren Tausenden täglich
nicht abreißt.
Ein
Paradigmawechsel in der Flüchtlingskrise ist dringend geboten
Ein Paradigmawechsel innerhalb der Asylpolitik
bleibt für Papier die dringende Aufgabe, die die Kanzlerin jetzt leisten muss.
Es ist das Gebot der Stunde, das auch über die Zukunft der Kanzlerin selbst
entscheidet. Zu den dringlichsten Aufgaben zählt er die radikale Trennung
zwischen Kriegsflüchtlingen und Wirtschaftsflüchtlingen, die Sicherung der
deutschen Grenzen, die vorübergehende Aussetzung der Schengen-Regeln und die
Unterbindung von illegalen Einreisen, denn es „gibt kein voraussetzungsloses Recht
auf Einreise für Nicht-EU-Ausländer“. Laute Kritik über Merkels „Führung“ bei
der Flüchtlingspolitik und den Sex-Übergriffen kam zuletzt aus den USA, wo
Autoren unterschiedlicher Couleur – nicht nur wie in der „New York Times“ – sogar
den Rücktritt der Kanzlerin forderten.
Für den ehemaligen Verfassungsrichter und Staatsrechtswissenschaftler Papier,
der bis 2010 Präsident des Bundesverfassungsgerichts war, und der schon nach
der Bundestagswahl von 2005 die Politiker dazu ermahnt hatte, das Vertrauen der
Bürger nicht aufs Spiel zu setzen, der „eine verantwortliche politische Führung
des Landes“ und „keine Vorführung taktischer Scharmützel“ oder „smarte Sprüche
aus der Werbeabteilung der Politikberatung“ forderte, bleibt die Tatsache, dass
Deutschland von anderen EU-Staaten die Grenzsicherung verlangt, diese aber
selbst nicht leisten kann, eine Ungeheuerlichkeit. Mit den geplanten schärferen
Einreisegesetzen und schnelleren Abschiebungen von abgelehnten oder
kriminell-gewordenen Ausländern, sei der richtige Weg beschritten. Jedoch
können diese relativ wenig bewirken, wenn sich der politische Kurs der
Bundesregierung in Sachen Flüchtlingskrise nicht radikal ändert.
Hans-Jürgen Papier kann sich allerdings nur
schwer vorstellen, „dass das Bundesverfassungsgericht dem Bund eine bestimmte
Asyl- und Migrationspolitik vorschreiben wird“. Hier unterscheiden sich Papier
und sein Kollege Di Fabio deutlich voneinander, denn es gibt, so Papier, keine Grundlage
dafür, dass ein Eingreifen Merkels beim Schutz der Grenzen eingeklagt werden
könne. Den politischen Gestaltungsauftrag muss die Bundesregierung selbst in
die Hand nehmen, anstatt den untauglichen Versuch unternehmen zu wollen, diesen
an das Bundesverfassungsgericht zu delegieren.
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