Erschienen in Ausgabe: No 121 (03/2016) | Letzte Änderung: 02.03.16 |
Das Christentum verschwindet zunehmend aus der deutschen Gesellschaft. Schuld daran sind vor allem die Kirchen selbst, besonders die evangelische Kirche. Beispiele dafür sind ihre Behandlung von Homo-Ehe und Abtreibung. Doch Religion wird in Deutschland nicht verschwinden. Vielleicht tritt der Islam in das Vakuum, welches die christlichen Kirchen hinterlassen.
von Adorján F. Kovács
Das Christentum ist schon seit den ersten Tagen seiner
Entstehung von innen und außen angegriffen worden, seit der Aufklärung aber
besonders effektiv. Schon damals war zu erkennen, dass die meisten der
kirchenkritischen Aufklärer eine Ausbildung auf jesuitischen oder anderen kirchlichen
Schulen bekommen hatten; Voltaire sei hier stellvertretend genannt. Sie waren
also zu einer geistigen Freiheit erzogen worden, die es ihnen ermöglicht hat,
diejenige Institution kritisch anzugreifen, die sie ausgebildet hat. Im 19.
Jahrhundert setzten sich die Angriffe, nun vermehrt von außen, insbesondere
durch den atheistischen Marxismus fort bis zum Versuch der
staatsterroristischen physischen und geistigen Auslöschung im Kommunismus des
20. Jahrhunderts. Im kapitalistischen Westen, v. a. aber in Deutschland, hat
die kulturrevolutionäre Bewegung seit den 1960er Jahren auf friedlichem Wege zu
einer fast völligen Verdrängung des Christentums aus dem öffentlichen Raum
geführt.
Das bemerkenswerteste an dieser Entwicklung war nun,
dass diese teilweise nihilistische, jedenfalls kulturrelativistische Bewegung
auch Eingang in die Kirchen selbst gefunden hat. Das kirchlich verfasste
Christentum hat auf diese letzte Herausforderung nicht nur keine Antwort
gegeben, sondern sein öffentliches Erscheinungsbild, seine öffentliche Rolle
lässt heute erkennen, dass von einer essentiellen Übereinstimmung ausgegangen
werden muss. Diese Diagnose, und ich orientiere mich im folgenden am deutschen
Philosophen Günter Rohrmoser, betrifft Teile der Katholischen Kirche seit dem Zweiten
Vaticanum, v. a. aber die Evangelische Kirche in Deutschland. Sie hat schon zur
Zeit der „Deutschen Christen“ die nationale und völkische Bewegung zum Kontext
und Prinzip der Auslegung der Verkündigung und ihres Verhaltens gemacht und ist
auch heute völlig mit der aktuellen Politik und dem Zeitgeist eins geworden -
das Phänomen ist identisch, nur die Vorzeichen sind geändert. Kirche, die dem
Zeitgeist huldigt, braucht man nicht und macht sich unnötig.
So meldete der epd, dass homosexuelle Paare in der
Evangelischen Kirche im Rheinland künftig vor den Traualtar treten können. Die
Synode der zweitgrößten deutschen Landeskirche beschloss am 15. Januar in Bad
Neuenahr die völlige Gleichbehandlung von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnern
und verheirateten Paaren. Die Trauung der homosexuellen Paare ist eine
offizielle Amtshandlung, die in die gleichen Kirchenbücher eingetragen wird wie
bei heterosexuellen Ehepaaren. Nun ist von Jesus kein einziges Wort zur
Homosexualität überliefert und eine Neuorientierung kirchlicher Praxis im
Umgang mit Homosexuellen ist von daher natürlich denkbar und wünschenswert,
aber er hat sich in Mk 10,6-9 so eindeutig über die Ehe zwischen Mann und Frau
geäußert, dass diese christlich nicht als eine Lebensform unter anderen gewertet
werden kann. Genau das macht aber die EKD im Einklang mit der Politik und
verlässt damit den Boden des Christentums.
Der menschheitsversöhnende Friedenszustand
Der trotz des Untergangs des kommunistischen Ostblocks
immer noch vitale Sozialismus bleibt die bestimmende Ersatzreligion großer
Teile der deutschen Bevölkerung, besonders der Intellektuellen und Medienleute.
Der Sozialismus ist der Versuch, in dieser Welt das einzulösen, was das
Christentum angeblich immer versprochen hat: einen menschheitsversöhnenden
Friedenszustand, einen Zustand der definitiven Befreiung des Menschen mit der
Befriedigung aller materiellen Bedürfnisse. Realiter hat dieses Versprechen
allerdings am ehesten der westliche kapitalistische Sozialstaat eingelöst, der
jedoch heute spürbar an seine finanziellen Grenzen gekommen ist. Auch hier
redet besonders die Evangelische Kirche die Sprache des Zeitgeists, indem sie
das Christentum im Sinne des breitflächig ökonomisierten Denkens eigentlich nur
als eine Art Dienstleistung zur Verbesserung der psychischen und physischen
Fitness anbietet. Frau Käßmann lobt die Pille, aber zu Erlösung und Jüngstem
Gericht hört man von ihr nichts. Sie kann nicht klarmachen, warum es eine
andere Bedeutung hat, einer Kirche anzugehören als einem Fußball- oder einem
Taubenzüchterverein. Mission Fehlanzeige! Bei der Katholischen Kirche soll es
nach dem Willen der Medien - und leider mancher Theologen - auch so werden:
Franziskus wird von ihnen als Polit-Papst dargestellt, der er ziemlich sicher
nicht ist. Aber ein auch hier gepflegter interreligiöser Dialog, der von einem
Tausch von Bibeln und Koranen begleitet ist, lässt es als gleichgültig
erscheinen, ob man Christ ist oder nicht. Es ist aber nicht egal, wie man immer
öfter sieht und sehen wird.
Gott wird in unerträglicher Weise verharmlost; aber er
macht nicht nur lebendig, er tötet auch, ist er doch Herr über Leben und Tod.
Von Sünde wird gleich gar nicht mehr geredet, noch davon, dass am Nicht-Hören
und Nicht-Befolgen Gottes zugrundegeht, wer ihn nicht erkennt und nicht hört.
Alles soll mit der unbedingten und absoluten Liebe Gottes zugedeckt werden. Es
fragt sich, zu welchen Dingen eine Kirche dann noch nein sagen kann. Und
wirklich: Auch die massenhafte Abtreibung Ungeborener ist schon von evangelischer
Seite als liberales Frauenrecht bezeichnet worden. Alles Unangenehme, und das
ist die Wahrheit immer, wird geleugnet. Doch Gott ist auch Richter.
Holt Jesus vom Kreuz!
Das Kreuz, das den leidenden Gottessohn zeigt, ist
seit jeher anstößig gewesen, so auch heute. Der jüdische Journalist Michel
Friedman forderte schon vor Jahren, Jesus vom Kreuz zu holen, aus Gründen der
Humanität; heute nennt der muslimische Schriftsteller Kermani das Kreuz eine
Blasphemie. Aber auch eine feministische Bischöfin Jepsen empfand das Kreuz als
zu unfreundlich und ersetzte es durch ein Bild aus Blumen. Im Grunde ist das
fast dasselbe, wie das Kreuz in Klassenzimmern abzuhängen, was der Staat ja
tut. Aber es ist eben nicht ganz dasselbe. Früher haben Abtrünnige die Kirche
und das Christentum angegriffen, dann ungläubige Gegner. Heute sitzen die
schärfsten Feinde des Christentums in der Kirche selbst. Besser als die Synode
des Rheinlands, zynischer als Frau Käßmann, effektiver als Frau Jepsen kann man
das Christentum nicht bekämpfen. Der wahre Antichrist, sagt der russische
Philosoph Wladimir Solowjew, kommt mit freundlicher Miene und verkündet
irdische Wohltaten.
Aber mit der Abschaffung des öffentlichen Christentums
in Deutschland ist die Religion nicht weg. Die scheinbar siegreichen Medien und
Politiker, die das so schreckliche Christentum beseitigen wollen, fordern
ausgerechnet im Namen der christlichen Nächstenliebe von Deutschland die
Aufnahme von Millionen von afrikanischen und asiatischen Einwanderern. Aber das
Christentum verpflichtet nur den einzelnen Menschen dazu. Ein Staat kann keine
Nächstenliebe üben. Das geht nicht, denn er hat keinen Nächsten. Zwar besteht
ein Staat aus vielen Einzelnen, aber, wie Martin Mosebach sagt, „eine
moralische Entscheidung wie die, in höchstem Maße sich äußernde Nächstenliebe
zu üben, kann nicht befohlen werden. Das ist etwas, eine Entscheidung, die frei
jeder für sich fällen muss und zu der Jesus die Menschen auffordert. Nicht den
Staat! Der Staat hat nicht über die Nächstenliebe seiner Bürger zu befinden.“
Es ist lächerlich, wie ein Staat, der alles dafür tut,
das Christentum zu einer rein privaten Sache zu machen, sich auf dessen Ethik
stützt. Und natürlich ist es dabei eine höhere Gerechtigkeit, dass es Millionen
Muslime sind, die kommen, und dass dieselben Leute, die den christlichen
Religionsunterricht zugunsten eines Lebenskunde- oder Ethikunterrichts
abgeschafft haben, nun einen islamischen Religionsunterricht fordern, als
könnten die Muslime dadurch in ihrer Überzeugung, die einzig wahre Gesellschaft
zu errichten, beirrt werden. Der Islam wird mit Macht in das Sinnvakuum
eindringen, das die Zurückdrängung des Christentums in Deutschland geschaffen
hat.
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