Erschienen in Ausgabe: No 120 (02/2016) | Letzte Änderung: 11.02.16 |
von Sebastian Sigler
1.) Ulrich v. Hassell
„Ulrich v. Hassell war eine der markantesten Persönlichkeiten
des deutschen diplomatischen Dienstes in den zwanziger und dreißiger Jahren
des vergangenen Jahrhunderts. Nach 1933 geriet er zunehmend in Widerspruch
zur Politik des nationalsozialistischen Regimes. 1938 wurde er von seinem
Posten als Botschafter in Rom abgelöst und zunächst in den Wartestand versetzt.“
Das schreibt Wilhelm Girardet in dem unten annotierten Band „Corpsstudenten im
Widerstand gegen Hitler“, erschienen 2014 bei Duncker & Humblot, Berlin. Girardet
führt weiter aus, dass v. Hassell zusammen mit Friedrich-Carl Goerdeler und dem
ehemaligen Generalstabschef des Heeres, Ludwig Beck, dann einen Gesprächskreis
gebildet habe, der als frühes Rückgrat des Widerstands gegen Hitler angesehen
werden kann, die „Goerdeler-Beck-v.-Hassell-Gruppe“. Hassell konferierte 1941 ausführlich
mit den wichtigsten Vertretern des „Kreisauer Kreises“, bei denen man sich vor
allem einig war in dem Wunsch, den Staatsstreich möglichst bald herbeizuführen.
Nach dem misslungenen Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 wurde Hassell
verhaftet und in einem zweitägigen Prozeß vor dem Volksgerichtshof am 8.
September 1944 zum Tode verurteilt und noch am selben Tag hingerichtet. Der
Ausspruch, er sei „ein großer Gescheiterter der Geschichte“, stammt von ihm
selbst.
Doch ganz so möchten wir Heutigen
hier nicht zustimmen – unser Urteil ist positiver. Girardet berichtet: Der
spätere Bundeskanzler Helmut Schmidt, der durch „Abkommandierung“ als Soldat
im Rahmen seines Dienstes Zeuge des nicht öffentlichen Prozesses geworden war,
schrieb im Juni 1946 an die Witwe Ilse v. Hassells von einer „schlechthin
vorbildlichen Haltung“ ihres Mannes in einem Prozeß, der „ausschließlich auf
menschliche Entwürdigung und seelische Vernichtung“ ausgerichtet gewesen sei. –
Ulrich v. Hassel hat sein Urteil voller Würde entgegengenommen. Äußerlich wie
seelisch ungebrochen ist er zum Galgen gegangen. In jenem kleinen Raum in
Plötzensee.
2.) Georg Ferdinand Duckwitz
Hans Kirchhof, emeritierter Professor für neuere und neueste
Geschichte in Kopenhagen, ist der der Biograph von Georg Ferdinand Duckwitz. Er
schreibt in dem unten bibliographisch erfassten Band, dassDuckwitz „eine
zentrale Figur in eben jener Rettungsaktion (war), die als greatest hour der Dänen während des
Zweiten Weltkriegs gilt, (…) besonders in Israel und den USA, wo der dänische
Einsatz als Licht im Dunkel des Holocaust gerühmt wird“. Am 8. September 1943
hatte der Reichbevollmächtigte für das besetzte Dänemark per Telgramm die
Deportation der bis zu 8.000 Dänen jüdischen Glaubens befohlen. „Ich weiß, was ich zu tun habe“,
notierte Duckwitz in sein Tagebuch.
Spätestens am 17. September
begann Duckwitz, die Betroffenen, denen die Verschlepppung nach Auschwitz
unmittelbar drohte, zu warnen. „Sein Verhalten in
den September- und Oktobertagen 1943 ist durch seinen Bericht aus der
Nachkriegszeit bekannt. Jetzt kann dieser mit dem Tagebuch verglichen werden,
das hier zum ersten Mal systematisch ausgewertet worden ist“, schreibt im Jahre
2014 Professor Kirchhof.
In die Attentatspläne, die in
den Bombenanschlag des 20. Juli münden sollten, war Duckwitz von Anfang an
eingeweiht. Er sollte, so sahen es die Staatsstreichpläne vor, die
Statthalterrolle von einem SS-General in Kopenhagen übernehmen. Abschließend
sei nochmals Hans Kirchhof zitiert: „Duckwitz glaubte daran, daß Geschichte
einen Sinn hat und daß er in Dänemark eine Rolle spielen sollte. Heute können
wir sehen, daß diese Rolle nicht zufällig war: Duckwitz besaß die politischen
und diplomatischen Begabungen, die ihn nach dem Krieg als Botschafter nach
Kopenhagen zurückbrachten und ihn später auf die höchsten Positionen des Auswärtigen
Dienstes der Bundesrepublik führten, zuletzt als Staatssekretär und Vertrauter
Willy Brandts.“
3.) Eduard Brücklmeier
Im Oktober 1936 traf ein neuer deutscher Botschafter in
London ein: Joachim v. Ribbentrop. Ein junger Diplomat fiel ihm bald auf, und
er beorderte ihn in seinen Stab: Eduard Brücklmeier. Dem gefiel das gar nicht,
denn er war schon seit 1933 erbitterter Gegner des NS-Regimes gewesen.
Eduard Brücklmeier war 1938, also in dem Jahr, in dem der
erste Bombenanschlag gegen Hitler geplant wurde, wiederum unmittelbar im
Ribbentrop’schen Ministerbüro. Von hier aus stand er mit weiteren Verschwörern
gegen den Kopf des NS-Regimes, gegen Hitler, in Kontakt. Im Falle einer
wirklichen Durchführung des Attentates gegen Hitler, das anlässlich der Sudentenkrise
ausgeführt werden sollte, aber schon monatelang vorher geplant wurde, wäre Brücklmeiers
Rolle unmittelbar im Zentrum des Geschehens gewesen. Zunächst als eine Art
Nachrichtenoffizier, und später als Perspnalchef des Auswärtigen Amtes. In
dieser Funktion hätte er alle Anhänger des Nationalsozialismus aus dem Amt
entfernt. Diese Zielsetzung ergibt sich aus seiner bilang unveröffentlichten
Privatkorrespondenz.
Am 6. Oktober 1939 wurde Brücklmeier erstmals von der
Gestapo verhaftet. Er hatte in den Tagen des Kriegsbeginns prognostiziert, dass
der Krieg zu einem noch nie erlebten, totalen desaster für Deutschland führen
werde und dass das Deutsche Reich kaum drei Jahre gegen die zweifelsohne
bestehende Allianz der Alliierten bestehen könne. Später gehörte Brücklmeier zum
engeren zivilen Umfeld um die militärisch gesteuerte Verschwörung, die in das Stauffenberg-Attentat
vom 20. Juli 1944 mündete. Er tat alles, was in seiner Macht stand, um den
Diktator zu beseitigen. Die Zeit, die ihm bis zu seiner Verhaftung am 27. Juli
1944 blieb, hat er größtenteils diesem Ziel gewidmet. Am 30. September 1944
wurde Brücklmier durch Roland Freisler dem Galgen überantwortet, am 20.
Oktober, drei Wochen später, wurde er gehenkt.
4.) Herbert Mumm v.
Schwarzenstein
Schon 1933 geriet der im Auswärtigen Dienst tätige Herbert
Mumm v. Schwarzenstein in das Fedenkreuz der neu eingerichteten Gestapo, die
Ermittlungen betrafen „regimekritische Gesinnung“. Zwar schätzte man seine
Fähigkeiten als Diplomat, jedoch mißtraute ihm die Behörde bezüglich seiner
politischen Haltung. Offenbar zurecht. 1935 wurde Herbert Mumm v.
Schwarzenstein gleichzeitig mit anderen hochrangigen Ministerialbürokraten wie
dem Juristen Helmut Nicolai und dem Rassenbiologen Achim Gercke von der Gestapo
verhaftet und gemäß § 6 des Gesetzes zur Widerherstellung des Berufsbeamtentums
vom 7. April beziehungsweise 23. Juni 1933 in den Ruhestand versetzt. Ab 1940
war er in ständigem Kontakt zu verschiedenen Kreisen, die den Sturz Hitlers
vorbereiteten, darunter ist vor allem der Solf-Kreis zu nennen.
Mumm wurde am 23. Februar 1942, während seiner Haft wurde er
gefoltert und misshandelt; zum Tode wegen Hoch- und Landesverrats sowie wegen
„Wehrkraftzersetzung durch Begünstigung der Kriegsfeinde“ wurde er schließlich im
Frühjahr 1944 verurteilt. Als Begründung wurde angeführt, Mumm und Halem hätten
zusammen mit Römer ein Attentat auf Hitler vorbereitet. Am 20. April 1945 wurde
Herbert Mumm von Schwarzenstein im Zuchthaus Brandenburg an der Havel gehenkt.
5.) Hasso v. Etzdorf
Rainer Blasius, der bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
das Ressort Politisches Buch verantwortet sowie im Rheinland als
Hochschullehrer wirkt, ist einer der besten Kenner der Lebensgeschichte von
Hasso v. Etzdorf, einem unauffälligen, aber umso entschiedeneren Gegner
Hitlers. Blasius kannte Etzdorf persönlich, er interviewte ihn immer wieder zu
seinen Denkschriften gegen den Nationalsozialismus; von ihm stammt das einzige
ausführliche – und zugleich gültige – Lebensbild.
Blasius stellt die Denkschrift „Das drohende Unheil“, das
Etzdorf zusammen mit dem Abwehroffizier Groscurth ab Spätherbst 1939 in arkanen
Widerstandskreisen zirkulierten, in den Mittelpunkt seiner Schilderung. Demnach
stellten die beiden Autoren „nachdrücklich den Erfolg einer Invasion
Frankreichs in Frage, sie prognostizierten den Kriegseintritt der Vereinigten
Staaten von Amerika korrekt. Weiter war Etzdorf, so Blasius, von der
Unzuverlässigkeit des zeitweiligen Bundesgenossen UdSSR überzeugt. Er sagte ein
„Zerbrechen der militärischen und inneren Front, Zerfall, Bolschewismus oder
bestenfalls Partikularismus und Loslösung“ voraus. Den Sturz der
nationalsozialistischen Herrschaft bezeichneten Etzdorf und Groscurth als
einzige Möglichkeit, um eine Ausweitung des Zweiten Weltkriegs zu verhindern.
Sie ließen – und das 1939! – eine prophetische Prognose für die Ergebnisse der
Hitlerschen Kriegspolitik folgen: „Noch nie war Deutschland dem Chaos und dem
Bolschewismus näher als jetzt, nach sechs Jahren des Hitler-Regimes, das es in
den letzten Wochen fertigbrachte, 20 Millionen Menschen dem Bolschewismus zu
überantworten.“
Etzdorf resignierte ab 1940 angesichts der Erfolge des
NS-Regimes. Er sah, so Blasius weiter, „nun seine Hauptaufgabe darin, die sich
aus seiner Dienststellung als Verbindungsmann ergebenden Informations- und
Reisemöglichkeiten zu nutzen und für eine ungeschminkte Unterrichtung über die
außenpolitische und militärische Lage zu sorgen (…). Davon profitierte
insbesondere Ulrich von Hassell, der mittlerweile mit Beck und dem ehemaligen
Leipziger Oberbürgermeister Carl-Friedrich Goerdeler zu den führenden
Persönlichkeiten des (…) Widerstandes zählte.“ Etzdorf sah auch die Bemühungen
der Widerstandskämpfer um Stauffenberg skeptisch. Die Zeit des
Nationalsozialismus hat er überlebt.
6.) Rudolf v. Scheliha
Der Berliner Historiker Wolfgang Wippermann hat 2014 in dem
unten bibliographisch annotierten Band über Rudolf v. Scheliha, den lange
verkannten Widerstandkämpfer, folgendes geschrieben: „Rudolf von Scheliha wurde
am 14. Dezember 1942 vom Reichskriegsgericht wegen Landesverrats zum Tode
verurteilt und acht Tage später, am 22. Dezember 1942, im Strafgefängnis Berlin
hingerichtet. Das gegen ihn verhängte Todesurteil war falsch und seine
Hinrichtung war Mord. Rudolf von Scheliha war kein Landesverräter, sondern ein
Widerstandskämpfer. Einer, der gegen Hitler und für Polen gekämpft hat.
Außerdem war Rudolf von Scheliha Corpsstudent. Hat das eine etwas mit dem
anderen zu tun? Hat er auch deshalb Widerstand geleistet, weil er Corpsstudent
war und das corpsstudentische Netzwerk im konservativen Widerstand genützt hat?
Das sind Fragen, die bisher zu selten gestellt und nur stückweise beantwortet
worden sind.“
Was maßgeblich zur Irritation über Scheliha beigetragen hat,
ist seine Nähe zur „Roten Kapelle“, einem höchst aktiven Widerstandskreis, der
nach 1945 über Jahrzehnte hinweg im Geruch des Landesverrats zugunsten der
UdSSR stand; die „Oragnisation Gehlen“ und ihr Wirken sind in diesem
Zusammenhang von Interesse. Wippermann über Scheliha: „Um es noch einmal klar
und deutlich zu sagen: Rudolf von Scheliha war kein Landesverräter, sondern ein
Widerstandskämpfer. Dies im doppelten Sinne. Rudolf von Scheliha war einmal ein
Widerstandskämpfer für Polen. Dies als Mitglied des Moltke-Scheliha-Wühlisch-Kreises
und wegen seiner sonstigen persönlichen Aktivitäten für verfolgte Polen und
Juden. Darüber hinaus war Rudolf von Scheliha auch ein Widerstandskämpfer gegen
Hitler. Er hat gegen das nationalsozialistische Regime gekämpft.“
7.) Adam v. Trott zu
Solz
Eine der führenden
Persönlichkeiten des deutschen Widerstands gegen den Nationalsozialismus – so
darf Adam v. Trott zu Solz bezeichnet werden. Seine vielfältigen Kontakte zu
britischen und amerikanischen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens waren
Grundlage für seine zahlreichen, aber letztlich vergeblichen Bemühungen, für
die deutsche Widerstandsbewegung Brücken zu den Regierungen Großbritanniens
und der USA zu schlagen. Nach dem missglückten Attentat auf Adolf Hitler am 20.
Juli 1944 verurteilte ihn der NS-Volksgerichtshof zum Tode; am 26. August 1944
wurde er in Berlin-Plötzensee hingerichtet.
Das Leben v. Trotts und sein Einsatz für den Widerstand
gegen den Nationalsozialismus wurde jüngst von Benigna v. Krusenstjern mit
einer umfassenden Biographie gewürdigt: „daß es Sinn hat zu sterben – gelebt zu
haben“ – einem Standardwerk, erschienen bei Wallstein in Göttingen. Schon
deswegen bedarf es an dieser Stelle nur weniger Zeilen über v. Trott; umso mehr
des Hinweis auf die lohnende Lektüre. Auch Wolfgang v. der Groeben hat sich in
„Corpsstudenten im Widerstand gegen Hitler“ mit Spezialaspekten im Leben Trotts
beschäftigt, unter anderem mit den Werten, auf denen seine Erziehung und seine
Mitgliedschaft im Göttinger Corps Saxonia beruhten.
8.) Friedrich-Wilhelm
v. Prittwitz und Gaffron
Bereits vor der Machtergreifung der
Nationalsozialisten 1933 hatte Friedrich-Wilhelm v. Prittwitz und Gaffron die
Ansicht vertreten, dass der Nationalsozialismus „unsagbares Leid über
Deutschland hereinbrechen lassen musste.“ Verschiedentlich warnte er in Briefen
und Stellungnahmen vor der Reaktion der amerikanischen Bevölkerung auf einen
Rechtsruck der deutschen Politik, sowie vor einer Beteiligung von
Nationalsozialisten an der Regierung. Aber auf diese einsamen Rufe bekam er
keine greifbaren Reaktionen.
Am 6. März 1933 dann, sieben Wochen
nach Hitlers Machtübernahme, knapp eine Woche nach dem Reichtagsbrand und der
Aufhebung von Grundrechten durch die Notverordnung „Zum Schutz von Volk und
Staat“, sandte der deutsche Botschafter in den Vereinigten Staaten von Amerika,
Prittwitz und Gaffron ein kurzes Telegramm nach Berlin. Mit dem Text:
„Angesichts der innenpolitischen Entscheidung in Deutschland halte ich es für
meine Pflicht, Sie zu bitten, dem Herrn Reichspräsidenten mein bisheriges Amt
zur Verfügung zu stellen.“ An den Reichsaußenminister Konstantin von Neurath
schrieb Prittwitz, „er habe nie einen Hehl aus seiner politischen Einstellung
gemacht, die in einer freiheitlichen Staatsauffassung und republikahnischen
Grundsätzen wurzele. Deswegen könne er „aus Gründen des persönlichen Anstandes“
nicht weiter seinen Dienst ausüben, ohne sich „selbst zu verleugnen“. Prittwitz
hatte inständig gehofft, andere Diplomaten würden seinem Beispiel folgen, zumal
das eigentlich so verabredet war. Doch als es soweit war, blieb er der einzige
deutsche Botschafter, der derart konsequent handelte.
Für seinen mutigen Schritt hat sich
v. Prittwitz nicht vor einem Nazi-Gericht verantworten müssen. Er lebte bis
1945 zurückgezogen in Oberbayern; nach der Befreiung wurde er Mitbegründer der CSU.
Zu den Widerstandskämpfern gehören auch zwei besondere
Persönlichkeiten, deren Wirken bisher nur in unvollständigen Zusammenhängen
bekannt war und die aus dem Bereich der Wirtschaft kamen: Nikolaus v. Halem und
Wilhelm Frhr. v. Flügge. Diese beiden werden in den nächsten Wochen in Kolumnen
zu diesem Thema hier bei Tabula Rasa behandelt.
Diese Texte sind Auszüge aus "Corpsstudenten im
Widerstand gegen Hitler":http://www.amazon.de/Corpsstudenten-im-Widerstand-gegen-Hitler/dp/3428143191,
herausgegeben von Sebastian Sigler bei Duncker & Humblot, Berlin 2014.
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