Erschienen in Ausgabe: No 120 (02/2016) | Letzte Änderung: 11.02.16 |
von Michael Lausberg
Die AfD befindet sich aktuell auf einem politischen Höhenflug. Beim aktuell
alles beherrschenden Thema, der deutschen und internationalen
Flüchtlingspolitik, profitiert sie von rassistischen Steilvorlagen in allen
sich demokratisch nennenden und dem Grundgesetz verpflichteten Parteien. Selbst
innerhalb der Bündnis 90/Die Grünen und in der Linkspartei gibt es Stimmen von
führenden Personen siehe Sarah Wagenknecht, die mit der Übernahme von rechten
Thesen in der Öffentlichkeit punkten wollen. Dies sind zwar Einzelmeinungen,
die auch heftig in der Linkspartei und innerhalb Bündnis 90/Die Grünen
kritisiert wurden. Trotzdem scheint ein Rechtsruck auch in linken,
emanzipatorischen Parteien stattzufinden.
Stefan Groß bemerkt zu Recht: „Mittlerweile hat die AfD im Kampf um die
Macht alle übrigen Parteien auf ihr semantisches Spielfeld gezwungen, die
ihrerseits auf die von der Partei parolenhaft ausgegebenen Schablonen mit
gleichfalls schablonenhaften Platitüden reagieren. Einer wieder – wie ein
Phönix – aus der Asche tretenden AfD gießt nicht nur die CSU mit einem
geplanten Brandbrief an die Kanzlerin Öl aufs Feuer, sondern auch die Linke um
Sarah Wagenknecht und Oskar Lafontaine schenken sich nichts, wenn es darum
geht, die Populisten am rechten Rand der Gesellschaft stark zu machen. Wenn der
bayerische Finanzminister Markus Söder poltert, dass sich „deutsche Frauen
wieder sicher“ fühlen müssen, regt das nicht einmal mehr Linke-Politikerin
Katja Kipping auf. Die Strategie, die potentiellen AfD-Wähler durch
populistische Äußerungen zurückzuholen, wie es CSU-Chef Horst Seehofer gerade
praktiziert, hat schon in Frankreich nicht funktioniert. Nicolas Sarkozy hatte
dort versucht, den Immigrationskurs zu verschärfen, was dabei herauskam, war
eine Stärkung des Front National. (…) Nach Außen, so scheint es, ist die AfD
eine Alternative, der es ganz geschickt gelingt, die These zu verbreiten, dass
sich die großen Parteien hierzulande mehr um Flüchtlinge und Migranten kümmern
als um die eigene Bevölkerung, um die einfachen Menschen, die sich von der
großen Politik enttäuscht fühlen. Das Perfide an dieser Taktung ist nicht neu. So
mobilisierte schon Adolf Hitler Millionen von Menschen, die sich nach der
Deutschen Wirtschaftskrise in Not, persönlichem Elend, mit Ressentiments
aufgeladen, fanden, um diese in sein uniformes Weltbild einzukleiden. Sie von
dort abzuholen, war ein Leichtes gewesen.“[1]
Dass die Bürger dann doch lieber das Original als die Kopie haben wollen,
zeigen die aktuellen Meinungsumfragen, wo die AfD mittlerweile bei 13% liegt
und die drittstärkste Kraft in der Bundesrepublik darstellt. Dass die Partei
außer populistischen Sprüchen, Panikmache und rassistische Agitation nichts zu
bieten haben und in den bisherigen fünf Landesparlamenten, wo die AfD vertreten
ist, sehr wenig zu ergebnisführender Politik beigetragen hat und sich einem
konstruktiven Dialog verweigert, interessiert offenbar nicht. Die bisherigen
eher peinlichen Fernsehauftritte von Vertretern der AfD schaden dem Bild der
Partei offensichtlich auch nicht.
Die insgesamt gelungene Auseinandersetzung des Artikels von Stefan Groß hat
allerdings auch an einigen Stellen Schwachpunkte, die nun eingehender erläutert
werden sollen.
Groß spricht im Zusammenhang mit dem
Erstarken der AfD in Meinungsumfragen von einem „Trend“und dass es„mittlerweile
(fett, M.L.) ein rechtes Problem in Deutschland“. gebe. So hätte „sich das politische Spektrum in
Deutschland (…) deutlich nach rechts verschoben“. Diese Darstellung eines sich erst in der letzten Zeit
entwickelten „Trends“ nach rechts innerhalb der bundesrepublikanischen
Gesellschaft trifft nicht zu. Es gibt vielmehr seit Jahrzehnten ein
nachweisbares hohes Einstellungspotential innerhalb der „Mitte der
Gesellschaft“, das nun durch die AfD zur Wahl einer rechten Partei ermuntert
und nur noch in Stimmzetteln umgemünzt werden musste. Es gelang in den letzten
Jahrzehnten abgesehen von den Wahlerfolgen der NPD in Sachsen, der DVU in
Sachsen-Anhalt 1998 und den „Republikanern“ in Baden-Württemberg 1996 keiner
rechten Partei dieses schlummernde rechte und demokratiefeindliche Potential
auch nur annähernd abzurufen. Nur dank der Inkompetenz der bisherigen
etablierten rechten Parteien und zivilgesellschaftlicher Gegenwehr – in welcher
Form auch immer- blieb eine elektorale Stärke von Rechs bisher aus. Die CSU/CDU
und auch die FDP saugten mit ihren jeweiligen starken rechten Flügeln diese
Wählerschichten auf. Der schwindende Einfluss der Stahlhelm-Fraktion in der
CDU/CSU und die Annäherung der Politik Angela Merkels an moderne Überzeugungen
ließ Platz für eine Partei rechts von der CDU/CSU, den die AfD nun ausfüllt.
AfD-Mitglieder und Neonazis finden sich vermehrt bei der Polizei, was immer
wieder von staatlichen Stellen als „Einzelfälle“ bagatellisiert wird.
Gegen
den Polizisten Norman Wollenzien wird seit Oktober 2015 in Zusammenhang mit
einer PEGIDA-Demonstration dienstrechtlich ermittelt.[2] Bei einem Aufmarsch des
Brandenburger PEGIDA-Ablegers „Bramm“ im Januar 2015 hatte Wollenzien ein
Schild mit folgender Aufschrift hochgehalten: „Antirassismus, Weltoffenheit,
Vielheit sind Kennwörter für weißen Genozid – Europa den Europäern“. Wollenzien
ist politisch bei der AfD engagiert. 2013 wurde er zum stellvertretenden
Vorsitzenden des Kreisverbandes Havelland gewählt.Mittlerweile ist er noch Beisitzer im
Kreisvorstand. Das Heck seines PKW war mit Aufklebern der neonazistischen „Identitären
Bewegung“ und der Organisation „Europäische Aktion“ versehen. [3] Als Identitäre
Bewegung werden mehrere lose verbundene extrem rechte bzw. völkisch orientierte
Gruppierungen bezeichnet, die von der Neuen Rechten entwickelte Ideen des Ethnopluralismus
aufgreifen. Ihr Ziel ist nach eigenen Angaben die Aufrechterhaltung einer
nationalen und/oder europäischen „Identität“, die ihrer Ansicht nach vor allem
von einer „Islamisierung“ bedroht sei. Die Identitäre Bewegung entwickelte sich als Bloc identitaire zunächst
in Frankreich, später entstanden Gruppierungen in anderen europäischen Ländern,
darunter auch in der BRD und Österreich. Die deutsche Sektion wurde im Jahre
2012 gegründet und wurde zu einem nicht unerheblichen Faktor innerhalb der
extremen Rechten. Die „Europäische Aktion“ ist der Verbund
der europäischen Leugner der Shoa, die sich aus Antisemiten, Revisionisten, und
aus Rassisten aus unterschiedlichen Ländern zusammensetzt.
Der
Fall Wollenzien reiht sich ein in eine ganze Reihe von jüngst bekannt
gewordenen Verstrickungen Brandenburger Polizeibeamter in den organisierten und
unorganisierten Neonazismus, auf den aus Platzmangel nicht weiter eingegangen
wird.[4] Im September 2015 wurde
ein Berliner Polizeibeamter zu einer Geldstrafe von 2750 Euro verurteilt und im
Dienst versetzt, nachdem er per WhatsApp neonazistische „Weihnachtsgrüße“ an
seine Kollegen verschickt hatte ("Ho-Ho-Holocaust").[5] Ein AfD-Mitglied und im Hauptberuf Polizist
wurde Ende Dezember wegen einer Reizgasattacke auf Gegendemonstranten wegen
gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Als Reaktion daraus wurde er vom
Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern an die an die Polizeihochschule in
Güstrow versetzt undunterrichtet an der
Hochschule jetzt „Einsatzlehre“ (!).[6]
Wegen des Verdachts der Strafvereitelung imAmt wird
bereits seit 2012 gegen einen Polizeikommissarermittelt, der seit einigen Jahren im Wach- und Wechseldienst der
Polizeiinspektion Uckermark in Schwedt/Brandenburg tätig ist.Er soll zusammen mit einem Kollegen Neonazis
ungeschoren davonkommen lassen haben. Er war dorthin strafversetzt worden,
nachdem er bereits vor einigen Jahren für Schlagzeilen sorgte. Damals war er
noch beim Landeskriminalamt und 2005 und 2006 bei Neonaziaufmärschen
inSeelow und Halbe, beim so genannten„Heldengedenken“,
mitmarschiert.[7]
Der zuständige Polizeipräsident Hans-Jürgen Mörke hat den
Beamten mit sofortiger Wirkung vomDienst freistellen und mit einer
Anzeige Ermittlungen wegen des Verdachts der Volksverhetzung aufnehmen lassen.
Torsten
Rogalla berichtete auf dem Internatportal „Berlin-online: „Beim jährlichen Neonazi-Aufmarsch auf dem Schlachtfeld
in Halbe fiel die militärisch formierte Gruppe am Rande kaum auf: Sie trug
Skinhead-Frisuren und unter den Uniformen T-Shirts, die vorn den Bundesadler
und hinten gekreuzte Schlagstöcke mit einem zähnefletschenden Hundekopf
zeigten. Zum Wechseln hatten die Uniformierten Hemden mit dem Aufdruck “Unsere
Heimat, unsere Liebe, unser Stolz” dabei. In den Händen trugen sie Schlagstöcke
mit den Namen nordischer Götter, ein Anführer hatte für seinen Stock “Odin”
gewählt. Die Männer gehörten nicht zur NPD. Es waren Polizisten aus
Berlin, Angehörige der “Mobilen Kontroll- und Überwachungseinheit” (MKÜ) der
Bundespolizei in Schöneweide. Die meisten von ihnen tun weiter Dienst, bis auf
zwei Beamtenanwärter, die das Bundespolizeipräsidium Ost in Berlin Ende 2005
wegen Verbreitung rechtsradikalen Gedankenguts aus dem Dienst warf. Der
26-jährige Beamtenanwärter Björn S. klagte dagegen vor dem Berliner Verwaltungsgericht,
das die Entlassung jedoch gestern im einstweiligen Rechtsschutzverfahren
bestätigte. Björn S. wurde vorgeworfen, dass er zwei CDs mit Programmen des
rechtsradikalen “Radio Wolfsschanze” aus dem Internet gebrannt und unter
Kollegen weitergereicht hatte.“ [8]
Der nun folgende ausführlichere Verweis auf Meinungsumfragen soll nun
zeigen, dass es mindestens seit der Wende[9] hohe rechte
Einstellungspotentiale gibt. Dies ist verbunden mit dem Hinweis, dass ein
beträchtlicher Bevölkerungsanteil im postfaschistischen Deutschland nichts aus
der NS-Vergangenheit gelernt hat oder nicht lernen will. Die im Ausland penetrant
vertretene Konstruktion, Deutschland hätte mit nationalsozialistischen und
rassistischen Einstellungsmustern gebrochen und sei nun ein demokratisches und
weltoffenes Land, ist eine Lebenslüge.
Seit 2002 untersuchen
Elmar Brähler, Oliver Decker und Johannes Kiess von der Universität Leipzig im
Zwei-Jahres-Rhythmus die Verbreitung extrem rechte Einstellungen in der so
genannten „Mitte der Gesellschaft“. 2014 sank der Anteil der Menschen mit einem
geschlossenen extrem rechten Weltbild von 9,7 Prozent 2002 auf 5,6 Prozent.[10] Dafür wird Rassismus
ausdifferenzierter: Während die Zustimmung zu allgemeinen
ausländerfeindlichen Aussagen sinkt, steigt die Abwertung gegen spezielle
Gruppenunter den Migranten. Hier die
Ergebnisse im Einzelnen:
Ausländerfeindlichkeit
2014:18,1 % (2002: 26,9 %)
Chauvinismus
2014: 13,6 % (2002: 18,3 %)
Antisemitismus
2014:5,1 % (2002: 9,3 %)
Befürwortung einer Diktatur
2014: 3,6 % (2002: 7,7 %)
Sozialdarwinismus
2014: 2,9 % (2002: 5,3 %)
Verharmlosung des Nationalsozialismus
2014: 2,2 % (2002: 4,1 %)
Abwertung von Flüchtlingen
55 - 76 % (2014)
Abwertung von Roma
47 - 55 % (2014)
Abwertung von Muslimen
36 - 42 % (2014)
Zustimmung zu extrem rechten Aussagen
gibt es bei Anhängern aller politischen Parteien – am meisten aber bei den
Anhängern der AfD. Während die Zustimmung zu allgemein rassistischen Aussagen
sinkt, fokussiert sich Rassismus auf bestimmte Gruppe von Migranten:
Diejenigen, die den Befragten als „grundlegend anders“ erschienen oder so, als
„hätten sie ein gutes Leben ohne Arbeit“. Die Forscher sehen hier auch die
Folge davon, rassistische Diskurse aktuell kulturalistisch zu verschieben, also
nicht mehr von „anderen Rassen“ zu sprechen, aber von „anderen Kulturen“.
Den folgenden
Aussagen haben prozentual von den Befragten zugestimmt:
Muslimen sollte die Zuwanderung
nach Deutschland untersagt werden – 36,6 %
Durch die vielen Muslime hier fühle ich
mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land. – 43 %
Ich hätte Probleme damit, wenn sich
Sinti und Roma in meiner Gegend aufhalten – 55,4 %
Sinti und Roma sollten aus den
Innenstädten verbannt werden. – 47,1 %
Sinti und Roma neigen zur Kriminalität –
55,9 %
Bei der Prüfung von Asylanträgen sollte
der Staat großzügig sein. (hier: Prozentsatz der Ablehnung) – 76 %
Die meisten Asylbewerber befürchten
nicht wirklich, in ihrem Heimatland verfolgt zu werden – 55,9 %
Die unter anderem von Wilhelm Heitmeyer
von der Universität Bielefeld durchgeführten Studien zur „Gruppenbezogenen
Menschenfeindlichkeit“ kommen seit Jahren zu dem Ergebnis, dass rechte Aussagen
von einem Teil der Bundesbürger befürwortet werden.[11] Das Syndrom „Gruppenbezogener Menschenfeindlichkei“t
beinhaltet der Definition nach folgende Elemente: Rassismus,
Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Homophobie, Abwertung von Obdachlosen,
Abwertung von Behinderten, Islamfeindlichkeit, Sexismus,
„Etabliertenvorrechte“, Abwertung von Langzeitarbeitslosen. Die Ergebnisse der
jährlich stattfindenden Erhebungen werden kontinuierlich berichtet.
12,6% der Befragten
vertraten im Jahr 2007 vertretene Auffassung, dass die Weißen zu Recht führend
in der Welt seien. (2002: 16,4%; 2004: 13,1%). Der Aussage,
Aussiedler sollten besser gestellt werden als Ausländer, da sie deutscher
Abstammung seien, schlossen sich 18,5% der Befragten an (2002: 22%;
2004: 21,9%).
54,7% der Befragten im
Jahr 2007 waren der Auffassung, dass zu viele Ausländer in Deutschland leben
würden (2002: 55,4%; 2004: 60%). Zudem, so die Auffassung von
29,7%, sei es richtig, Ausländer zurückzuschicken, wenn die Arbeitsplätze
knapp würden (2002: 27,7%; 2004: 36%).
Hinsichtlich des
Antisemitismus wurde von 15,6% der Befragten im Jahr 2007 zu viel
Einfluss von Juden in Deutschland angenommen (2002: 21,7%; 2004:
22%). Etwa 17,3% waren überzeugt davon, dass Juden durch ihr
eigenes Verhalten eine Mitschuld an der Judenverfolgung trügen (2002:
16,6%; 2004: 12,8%).
31,3% der Befragten im
Jahr 2007 äußerten „Ekel“, wenn Homosexuelle sich in der Öffentlichkeit küssen
(2005: 34,8%). Homosexualität bezeichneten 15,3% als unmoralisch
(2005: 16,6%). Gegen die Möglichkeit der Ehen zwischen Frauen und
zwischen Männern sprachen sich 35,4% aus (2005: 40,5%).
Zur Frage hinsichtlich des
Klassismus sagten 2007 38,8%, dass ihnen Obdachlose in Städten unangenehm
seien (2005: 38,9%). Der Aussage, Obdachlose seien arbeitsscheu, stimmten
32,9% zu (2005: 22,8%). Der Forderung, bettelnde Obdachlose sollten
aus den Fußgängerzonen entfernt werden, schlossen sich 34% der Befragten
an (2005: 35%).
Bei statistischen Erhebungen
zur Behindertenfeindlichkeit gaben 7,7% der Befragten im Jahr 2007 an,
dass viele Forderungen von Behinderten „überzogen“ seien (2005: 8,3%).
Ebenso meinten 12,7% der Befragten, dass für Behinderte in Deutschland zu
viel Aufwand betrieben werde (2005: 15,2%). Dass Menschen mit
Behinderungen zu viele Vergünstigungen erhalten würden, wurde von 8%
angenommen (2005: 7,5%).
Das Phänomen des „klassischen
Sexismus“ bezog sich auf laut den Forschern auf geschlechtsdiskriminierende
Vorstellungen. So sollen sich Frauen nach der Auffassung von 28,5% der
Befragten im Jahr 2007 wieder auf die „angestammte“ Rolle der Ehefrau und Mutter
besinnen (2002: 29,4%; 2004: 29,3%). Und 18% stimmten der
Aussage zu, dass es für eine Frau wichtiger sein sollte, ihrem Mann bei seiner
Karriere zu helfen, als selbst Karriere zu machen (2004: 15,6%).
Unter „Etabliertenvorrechte“
verstanden die Forscher die von Alteingesessenen, gleich welcher Herkunft,
beanspruchten raum-zeitlichen Vorrangstellungen, die auf eine Unterminierung
gleicher Rechte hinauslaufen und somit die Gleichwertigkeit unterschiedlicher
Gruppen verletzen. Für 35,1% der Befragten im Jahr 2007 sollten
diejenigen, die schon immer hier leben, mehr Rechte haben als solche, die
später zugezogen sind (2002: 40,9%; 2004: 35,5%). Und wer neu sei,
solle sich erst mal mit weniger zufriedengeben; 52,8% vertreten eine solche
Auffassung (2002: 57,8%; 2004: 61,5%).
2010 unterstellten 47 Prozent
der Befragten, dass die meisten Arbeitslosen nicht wirklich daran interessiert
seien, einen Job zu finden. 59 Prozent fänden es empörend, wenn
Langzeitarbeitslose sich auf Kosten der Gesellschaft ein bequemes Leben
machten.
Die Abwertung von
Asylbewerbern wurde nur 2011 erfasst. Dabei lehnten 25,8 Prozent der Befragten
die Aussage „Bei der Prüfung von Asylanträgen sollte der Staat großzügig
sein" ab. Fast die Hälfte der Befragten (46,7%) stimmte der Aussage
„Die meisten Asylbewerber befürchten nicht wirklich, in ihrem Heimatland
verfolgt zu werden" zu.
Auch Zahlen zu Antiziganismus
wurden nur 2011 erfasst. 40,1 Prozent der Deutschen hätten „(…) Probleme damit,
wenn sich Sinti und Roma in meiner Gegend aufhalten" würden. 27,7 Prozent
der Befragten finden, „Sinti und Roma sollten aus den Innenstädten verbannt
werden", und 44,2 Prozent stimmen dem Satz „Sinti und Roma neigen zu
Kriminalität" zu.
Laut
einer Umfrage von Emnid aus dem Jahre 2010 würde fast jeder fünfte Befragte
eine „Sarrazin-Partei“ wählen.[12] LauLDie von Bundesbank-Vorstandsmitglied Thilo
Sarrazin angefachte Integrationsdebatte lässt nach einer Umfrage Sympathien der
Deutschen für eine bürgerliche Protestpartei zu Tage treten. Sarrazin hatte mit
seinen Thesen zur angeblich mangelnden Integrationsfähigkeit von Migranten und
weiteren provokanten Äußerungen für heftige Kritik gesorgt.
Wie eine repräsentative Emnid-Umfrage für die
"Bild am Sonntag" ergab, würde fast jeder fünfte Deutsche (18 Prozent)
eine neue Partei wählen, wenn ihr Chef Sarrazin wäre. Besonders viel Zuspruch
bekäme eine Sarrazin-Partei demnach bei Anhängern der Linkspartei (29 Prozent).
Auch 17 Prozent der Unionswähler würden eine solche Formation wählen.
Emnid-Chef Klaus-Peter Schöppner sagte, für diese Befragten sei Sarrazin
jemand, „der endlich ausspricht, was viele denken“.
Nicht nur diese Studien führen
die Extremismustheorie ad absurdum, die die theoretische Grundlage für die
Veröffentlichungen des Verfassungsschutzes sowohl des Bundes als auch der
Länder bildet. Die Extremismustheorie wird als „Sammelbezeichnung für
unterschiedliche politische Gesinnungen und Bestrebungen“ verstanden, „die sich
in der Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates und seiner fundamentalen
Werte einig wissen.“[13]
Es handelt sich um eine Ideologie, die „die
Bestandteile des demokratischen Verfassungsstaates (Gewaltenteilung, Menschen-
und Bürgerrechte, Anerkennung des Pluralismus und des Repräsentationsprinzips)
negieren.“[14]
Im Falle der Negierung des Prinzips menschlicher Fundamentalgleichheit handelt
es sich um „Rechtsextremismus“, im Falle der Ausdehnung des
Gleichheitsgrundsatzes auf alle Lebensbereiche und Ablehnung der „individuellen
Freiheitsrechte“ wird von „Kommunismus“ gesprochen. Als Anarchismus wird die
Ablehnung jeder Form von staatlicher Gewalt bezeichnet.
Die Extremismustheorie geht
davon aus, dass der „Linksextremismus“ und der „Rechtsextremismus“ einerseits
weit voneinander entfernt, und andererseits dicht benachbart sind, wie die
Enden eines Hufeisens. Der „Extremismus“ steht dabei als „Bedrohung“ der
Demokratie gegenüber; „Extremismus“ und Demokratie bilden demnach sich
ausschließende Antipoden.
Die Konzentration auf die Extreme lenkt zwangsläufig vom politischen
Machtzentrum und seiner Verantwortung für die gesellschaftlichen Entwicklungen
ab. Diese selbsternannte Mitte will dabei kritische und unerwünschte Positionen
links und rechts von ihr ausgrenzen und bezeichnet sie als undemokratisch. Eine
unleugbare Interaktion zwischen „Rechtsextremisten“ und der Mitte der
Gesellschaft – wie Studien (siehe oben) beweisen – bei Themenfeldern wie
Islamfeindschaft oder Einwanderung wird dabei geleugnet.[15]
Die Vertreter der Extremismustheorie setzen auf einen starken Staat, der
„Extremisten von links und rechts“ in Form einer „wehrhaften Demokratie“
bekämpfen soll. Dass dies Tendenzen eines autoritären Staates begünstigt, ist
nicht schwer zu durchschauen.
Karl
Heinz Roth bezeichnet die Extremismustheorie als eine „manichäische Schwarz-Weiß-Typologie,
die aus einem Bild und einem Gegenbild besteht. Dabei fungiert die Vorderseite
lediglich als normativer Ausgangspunkt. Sie stellt den ,repräsentativ
demokratischen Verfassungsstaat‘ dar, der aus der weiteren Analyse ausgeblendet
bleibt. Das normative Vor-Bild hat lediglich die Funktion, die ,totalitäre
Diktatur‘ als Kehrseite der Gewaltenteilung und der Garantie von
Menschenrechten zu entwerfen, um sie für komperativ-empirische Analysen von
bestimmten Varianten des Gegen-Bilds verfügbar zu machen. Ein solches Modell
ist per se reine Herrschaftsideologie.“[16]
Weiterhin
wird übersehen, dass antidemokratische Tendenzen oder Gefahrenpotentiale in
allen politischen Parteien, Gewerkschaften oder gesellschaftlichen Gruppen
auftreten können. Butterwegge stellt fest: „Rechtsextremismus kommt aus ,der
Mitte der Gesellschaft‘, ist also keineswegs ein Randphänomen. Eine nicht näher
definierte Mitte grenzt somit rivalisierende Positionen links und rechts von
sich aus und lässt keine Kritik an der eigenen Werthaltung zu.“[17] Die extreme Rechte kann
sich nur dann etablieren, wenn die „demokratische Mitte“ – verbunden mit den
staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen – ihm nicht genügend
Widerstand leistet oder sogar nationalistische Diskurse aufnimmt und weiterverbreitet
(z.B. faktische Abschaffung des Asylrechts).
Die
Extremismustheorie bedient sich – angelehnt an Aristoteles – einem Zentrum
zwischen zwei Extremen, um den eigenen Standpunkt als legitim und mustergültig
erscheinen zu lassen. Die extreme Rechte wird nicht als soziales Phänomen
gesehen, das mitten in der Gesellschaft Anklang findet und sich immer weiter
ausbreitet: „Gesellschaftliche Ursachenzusammenhänge wie etwa soziale
Ungleichheiten, ökonomische Entwicklungen und Vorurteilsstrukturen bleiben
außen vor, weil soziologische und analytische Ebenen in einer
Politikwissenschaft keine Rolle spielen, wo es um die Rehabilitierung und
Verteidigung der Staatsräson gegen politische Normabweichungen von Bürgern
geht.“[18]
Der Ansatz der „wehrhaften
Demokratie“ geht auf das Scheitern der Weimarer Republik zurück. Die Legende,
dass die Weimarer Republik von rechts (Nationalsozialisten) und von links
(Kommunisten) zerstört worden sei, diente dabei als Legitimationsbasis. In
Wirklichkeit wurde die Weimarer Republik von oben durch die missbräuchliche
Anwendung der Artikels 48 schrittweise beseitigt. Der Artikel 48 galt als
Notverordnung, nach dem der Reichspräsident im Falle einer Gefährdung der
öffentlichen Sicherheit die Grundrechte außer Kraft setzen konnte. Schon ab
1930 kann nicht mehr von einer demokratischen Regierung gesprochen werden, da
alle Reichskanzler seit Brüning unter Bezug auf den Artikel 48 ohne Zustimmung
des Parlaments regierten. 1933 wurde die Republik endgültig durch das Bündnis
von Deutschnationalen und Nationalsozialisten beseitigt.
Die
Verwendung des Begriffes der „Flüchtlingskrise“ oder sonstige Angstmetaphern
sind sicherlich nicht hilfreich für eine Versachlichung des Diskurses. Schon
Anfang der 1990er Jahre bestärkten Begriffe wie „Asylantenflut“ oder
„Ausländerschwemme“, die 2015/16 unhinterfragt wiederverwendet werden, den
rassistischen Diskurs. Das Wort „Flüchtlingskrise“ suggeriert auch, dass die
Flüchtlinge für eine „Krise“ in der BRD sorgen würden, also Ursache des
„Problems“ sind. Vielmehr sind sie in großer Zahl vor Kriegen geflüchtet,
traumatisiert und aufgrund der zuweilen unzulänglichen staatlichen Organisation
von Problemen betroffen.
Die
jetzt herrschende Situation ist vielmehr als schwierige Herausforderung zu
betrachten, die natürlich an vielen Stellen noch Mängel aufweist. Ohne
ehrenamtliche Flüchtlingshelfer würden sich die institutionellen staatlichen
Unzulänglichkeiten wie in Berlin zu sehen noch wesentlich verschärfen. Während
Geflüchtete durch rassistische Agitationen bedroht werden, grenzt ihre
„Unterbringung“ an eine humanitäre Katastrophe. Mitten in einem der reichsten
Länder der Welt werden Zeltstädte oder Container errichtet, aus zahlreichen
Unterkünften wird berichtet, dass den Geflüchteten nicht ausreichend Nahrung,
Wasser und Hygieneartikel zur Verfügung gestellt werden und die Menschenrechte
auf Gesundheit und Privatsphäre außer Kraft gesetzt sind. Wer solch einen
künstlichen Notstand erzeugt, ist mitverantwortlich für die Taten der rechten
Brandstifter.[19]
Die
jetzige Situation lässt sich zumindest teilweise mit der nach Ende des
2.Weltkrieges vergleichen. Als damalsMillionen Flüchtlinge aus dem Osten des ehemaligen Deutschen Reiches in
der Bundesrepublik kamen, gab es aber keine Hetze aus den bürgerlichen Parteien
gegen diese Gruppe. Dies lag vor allem an der Tatsache, dass diese„Volksdeutsche“ waren und nicht „Ausländer“
wie 2015/2016.
Groß
schreibt weiterhin: „Alexander Gauland gar
hatte die Flüchtlingskrise als „Geschenk“ für seine Partei bezeichnet. Ohne Asylanten
und Flüchtlinge, ohne Syrer, Iraker, Algerier und Afghanen könnte die AfD in
der Tat einpacken.“
Die
Feststellung, dass die AfD ohne die Diskussion um die Flüchtlingspolitik, wo
sie ja selbst auch keine sachlichen Lösungen findet und nur auf dumpfe
„Ausländer raus“-Agitation setzt, in Meinungsumfragen drastisch abstürzen
würde, ist richtig. Allerdings ist auch der Themenbereich Islam und Islamismus
in den letzten Jahren so virulent geworden, dass eine mögliche Konzentration
auf dieses Thema der AfD sicherlich Zuspruch geben wird. Und das nicht nur
kurzfristig, sondern auf jahrelanger Sicht.
Unter
den bürgerlichen Parteien sticht besonders die CSU mit rassistischen und wohlstandschauvinistischen
Parolen gegen Flüchtlinge und Ausländer im Allgemeinen hervor.
Die
CSU unternimmt systematisch den Versuch, mit rassistischen und populistischen
Thesen zur Flüchtlingspolitik der AfD das Wasser abzugraben und macht sich
mitschuldig am angeheizten rassistischen Klima in der Gesellschaft, was direkt
in Übergriffe auf Flüchtlinge oder Anschläge auf ihre Wohnheime mündet. Im
Folgenden einige Beispiele:
Als am 5.9.2015 die deutsche
Regierung mit Beteiligung von CSU-Ministern der Einreise von 8000 in Ungarn
festgehaltener Flüchtlinge zustimmte, verurteilte der bayerische Innenminister
Joachim Herrmann die Entscheidung als „völlig falsches Signal innerhalb
Europas“.[20]
Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer
kündigte Anfang Oktober 2015 an, neu ankommende Asylbewerber direkt in andere
Bundesländer weiterzuleiten: „Hinzu kommen ausdrücklich auch Maßnahmen der
Notwehr zur Begrenzung der Zuwanderung, wie etwa Zurückweisungen an der Grenze
zu Österreich und unmittelbare Weiterleitung neu eintreffender Asylbewerber
innerhalb Deutschlands.“[21]
Wenige
Stunden nach den Anschlägen von Paris stellte Markus Söder (CSU) mit dem Tweet
„#ParisAttacks ändert alles. Wir dürfen keine illegale und unkontrollierte
Zuwanderung zulassen“ völlig zusammenhanglos einen Zusammenhang zwischen
Flüchtlingen und Terrorismus her. Dies erntete Kritik aus allen Fraktionen in
Bundestag. Söder hielt dem entgegen: „Die deutsche Regierung muss zuvorderst an
ihre eigenen Leute denken.“ Die Regierungsmitglieder hätten sich dazu
verpflichtet, das deutsche Volk zu schützen: „Sie verpflichten sich nicht, dies
für die ganze Welt zu tun.“ Seehofer stellte sich vor Söder und forderte: „Wir
müssen uns umgehend wieder Klarheit verschaffen, wer in unser Land kommt, wer
durch unser Land fährt und wer sich hier aufhält.“[22]
Horst
Seehofer forderte in der Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel (CDU)
kategorisch eine Kurskorrektur: „Wie man es dreht und wendet, an einer
Begrenzung, einer Obergrenze führt kein Weg vorbei".[23] Seehofers
Hauptforderungen in der Flüchtlingsdiskussion waren eine Obergrenze für
Asylsuchende, Transitzonen an Grenzen Bayerns, eine schnellere Bearbeitung der
Asylanträge sowie schnellere Vertreibung abgelehnter Asylsuchender. Nach jüngsten Meinungsumfragen sinkt die Beliebtheit der
Kanzlerin in Bayern, während Seehofers Werte auf ein Rekordhoch gestiegen sind.
Daraus schloss Seehofer: „Wir sind von dem Sinkflug (der Union) nicht erfasst.
Die Basis denkt wie wir.“[24]
Markus Rinderspacher,
SPD-Fraktionsvorsitzende bemerkte im Bayerischen Landtag zu der rassistischen
Agitation der CSU: „Wir brauchen einen politischen Diskurs, in dem auf geistige
Brandstiftung verzichtet wird, da dies reale Feuerteufel nach sich zieht.”[25]
Die
Zornedinger CSU-Ortschefin Sylvia Boher schrieb Mitte November im
Partei-Mitteilungsblatt „Zorneding-Report“, Bayern werde derzeit von Flüchtlingen
„überrannt“: „Das, was wir heute erleben, ist eine Invasion“. Migrant_innen aus
Eritrea bezeichnete sie als Militärdienstflüchtlinge. Als der Pfarrgemeinderat
diese Äußerungen missbilligte, bezeichnete der CSU-Ortsverbandsvize Johann
Haindl den aus dem Kongo stammenden katholischen Pfarrer als „Neger“. Die
oberbayerische CSU-Bezirksvorsitzende und Wirtschaftsministerin Ilse Aigner
(CSU) schloss auf öffentlichen Druck Parteiausschlussverfahren gegen die
Zornedinger Parteispitze nicht aus. "Wir prüfen Ordnungsmaßnahmen – von
der Rüge bis zur Amtsenthebung", sagte sie.[26]
Im Jahre 2014 wurden offiziell
77 Übergriffe auf Flüchtlinge und 35 Brandanschläge auf deren Unterkünfte gezählt.
Nach einem Brandschlag in Franken stellte Heribert Prantl zu Recht fest: „Wer
heute hetzerische Reden verharmlost, leistet Beihilfe zur Herstellung von
Agitationscocktails. Und wer, wie 1992, von Wogen, Wellen und Massen von
Flüchtlingen spricht, soll seine Hände nicht in Unschuld waschen.“[27]
In
Deutschland sind 2015 789 Anschläge auf Asylbewerberunterkünfte verübt worden.
Das geht aus einer Statistik des Bundeskriminalamts (BKA) hervor. Darunter
seien 65 Brandstiftungen. Im gesamten Jahr 2014 waren es zum Vergleich sechs
Brandanschläge gewesen. Die Zahl der Übergriffe hat sich damit 2015 im
Vergleich zum Vorjahr mehr als vervierfacht.[28] Dass es bislang noch
keine Toten gab, ist nichts als Zufall. Diese Anschläge sind als Mordversuche
zu werten und sind keine Bagatelldelikte von „frustrierten Bürgern“ oder
Neonazis.
Die Taktik der CSU besteht
darin, mit rassistischen Aussagen den rechten Rand bedienen, um diese immer
größer werdende Gruppe für die Koalition einzunehmen und der AfD das Wasser
abzugraben. Flüchtlinge werden dabei als Gefahr dargestellt, anstatt die
Fluchtursachen zu bekämpfen. Migration wird in der Semantik der Gefahren
dargestellt und mit Angstmetaphern betitelt, eine sachliche Darstellung der
eigentlichen Situation und zielgerichtetes Handeln nach den Prinzipien der
Vernunft ist nicht erkennbar und wahrscheinlich auch gar nicht gewollt.
Konkrete Fluchtursachen (Kriege, Gewalt, regionale Bürgerkriege aufgrund der
westlichen Interventionen in den vergangenen Jahrzehnten, deutsche
Waffenlieferungen) werden bewusst in der Debatte unterschlagen.[29] Dass die eigentliche Gefahr
der teilweise rassistische Umgang mit der Situation der Flüchtlinge und die
dramatisch zunehmenden Anschläge auf Unterkünfte oder rechte Gewalttaten sind,
ist nur ein Nebenschauplatz. Die Situation der Flüchtlinge wird gezielt von der
CSU für parteipolitische Zwecke instrumentalisiert.
In der taz stellte Tobias
Schulze mit Recht fest: „Was schizophren wirkt, ist nichts anderes als die alte
CSU-Strategie des Sowohl-als-auch: Einerseits erledigt sie ohne großes Aufheben
ihren Job als Regierungspartei und sorgt dafür, dass Flüchtlinge ein Dach über
den Kopf haben. Dazu passt auch, dass Bayern als einziges Bundesland die
Unterbringungskosten der Kommunen übernimmt. Andererseits fischt die
Staatsregierung mit Verbalrassismus am rechten Rand um Wählerstimmen und lässt
so fleißig abschieben wie niemand sonst.“[30]
Im
Zeitalter der Globalisierung bilden nicht mehr die Nationalstaaten, sondern die
kosmopolitische Weltgesellschaft den Referenzrahmen des alltäglichen Denken und
Handelns. Die Bedeutung der Nationalstaaten schwindet, da sie ihre ökonomische,
soziale und kulturelle Steuerungsfunktion nur noch in begrenztem Maße
wahrnehmen können. Die interagierende Weltgesellschaft mit ihrer kulturellen
Vielfalt kann nur durch interkulturellen Dialog und Kooperation bestehen. Der
Philosoph Kwame Anthony Appiah stellt zu Recht fest: „Eine Welt, in der sich
Gemeinschaften klar gegenüber abgrenzen, scheint keine ernsthafte Option mehr
zu sein, falls sie es denn jemals war. Abtrennung und Abschließung waren in
unserer umherreisenden Spezies schon immer etwas Anormales.“[31]
Die
Geschichte der Ein- und Auswanderung nach bzw. aus Deutschland zeigt eindeutig,
dass es immer wieder zu einer Vermischung und Neuschöpfung von Kultur in
jeglicher Form gab.[32]
Die im Laufe des 17. Jahrhunderts nach Brandenburg-Preußen eingewanderten
Salzburger Protestanten, holländische Fabrikanten und Handwerker sowie die
französischen Glaubensflüchtlinge (Hugenotten) sind dafür das beste Beispiel.
Gerhard Paul bemerkt richtigerweise: „‘Autochtone‘ Kulturen gibt es nicht. So gibt es
keine reine oder ‚wahrhaft‘ deutsche Kultur.“[33]
Flucht und Migration
sind Folgeerscheinungen von Kriegen, zu deren Entstehung die Bundesrepublik und
andere westliche Staaten auch durch Waffenlieferungen beigetragen haben. Es gilt
also auf dem Parkett der internationalen Politik für ein Ende der Kriege oder
wenigstens einen vorzeitigen Frieden zu sorgen.
Als weiteres gilt, das was Aydan Ösuguz,
Bundesbeauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration, bemerkte: „Die EU
ist multikulturell, multiethnisch und multireligiös. Unsere Grundwerte
verpflichten uns und diejenigen, die bei uns eine neue Heimat suchen. Besonders
schutzbedürftige Personen, wie die syrischen Flüchtlinge, sollten bereits im
Libanon oder Nordafrika aufgenommen und auf sicheren und legalen Wegen nach
Europa gebracht werden. Sie dürfen sich nicht mehr länger in Lebensgefahr
begeben, um bei uns Asyl zu beantragen. Der aktuelle Zustrom an Flüchtlingen ist die Folge
dramatischer Entwicklungen in unserer Nachbarschaft. Doch die Krisen in den
Herkunftsstaaten der Flüchtlinge – wie Bürgerkriege, zerfallende Staatlichkeit,
Terrorismus oder Armut – werden wir nicht mit Zäunen an den Außengrenzen der EU
oder Patrouillenbooten im Mittelmeer lösen. Wir müssen die Fluchtursachen
bekämpfen, nicht die Flüchtlinge!“[34]
© dpa
Michael Roth ist Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt
[1] http://tabularasamagazin.de/artikel/artikel_6854/
[2] http://www.maz-online.de/Brandenburg/Polizist-hetzt-auf-Bramm-Pegida-Demonstration
[3] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/berliner-polizist-und-afd-mitglied-unter-rechtsextremismus-verdacht-a-1059295.html
[4]
Weitere Erläuterungen unter http://www.pnn.de/brandenburg-berlin/1031220/
[5] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/berliner-polizist-und-afd-mitglied-unter-rechtsextremismus-verdacht-a-1059295.html
[6] http://www.svz.de/regionales/mecklenburg-vorpommern/afd-mitglied-nach-reizgasattacke-an-polizeischule-versetzt-id8193526.html
[7] www.pnn.de/brandenburg-berlin/1031220/
[8] http://www.elementarteile.de/2006/11/06/nazis-bei-der-polizei/
[9]
Zu extrem rechten Einstellungen vor
1989 in der Bundesrepublik siehe: Nationalrat der Nationalen Front des
Demokratischen Deutschland. Dokumentationszentrum der Staatlichen
Archivverwaltung der DDR (Hrsg.): „Braunbuch“.
Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik und in West-Berlin. Staat,
Wirtschaft, Verwaltung, Armee, Justiz, Wissenschaft, 3. Auflage, Berlin
1968; Herbart, U.: NS-Eliten in der Bundesrepublik.
Bestrafung-Tolerierung-Integration, in: Teppe, K./Thamer, H.-U. (Hrsg.): 50
Jahre Nordrhein-Westfalen. Land im Wandel, Münster 1998, S. 7-22; Kühnl, R.:
Die NPD. Struktur, Programm und Ideologie einer neofaschistischen Partei,
Berlin 1967; Kühnl, R./Rilling, R./Sager, C.: Die NPD. Struktur, Ideologie und
Funktion einer neofaschistischen Partei, 2. Auflage, Frankfurt/M. 1969;
Liepelt, K.: Anhänger der neuen Rechtspartei, Berlin 1967; Maier, H./Bott, H.:
Die NPD. Struktur und Ideologie einer nationalen Rechtspartei, 2.Auflage,
München 1968 Zur Entnazifizierung in den Westzonen siehe Niethammer, L.: Die
Mitläuferfabrik. Die Entnazifizierung am Beispiel Bayerns, 2. Auflage, Berlin
1982; Funke, H. (Hrsg.): Von der Gnade einer geschenkten Nation. Zur
politischen Moral der Bonner Republik, Berlin 1988; Krüger, W.: Entnazifiziert!
Zur Praxis der politischen Säuberungen in Nordrhein-Westfalen, Wuppertal 1982; Peukert,
D./Bajohr, F.: Rechtsradikalismus in Deutschland, Hamburg 1990
[10] http://www.fes-gegen-rechtsextremismus.de/pdf_14/141120pressemitteilung.pdf
[11] Deutsche
Zustände. Folge 1. Suhrkamp,
Frankfurt a. M. 2002,Deutsche Zustände. Folge 2. Suhrkamp,
Frankfurt a. M. 2003, Deutsche
Zustände. Folge 3. Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2004, Deutsche Zustände. Folge 4. Suhrkamp,
Frankfurt a. M. 2005,Deutsche Zustände. Folge 5. Suhrkamp,
Frankfurt a. M. 2006, Deutsche
Zustände. Folge 6. Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2007, Deutsche Zustände. Folge 7. Suhrkamp,
Frankfurt a. M. 2008, Deutsche
Zustände. Folge 8. Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2009, Deutsche Zustände. Folge 9. Suhrkamp,
Frankfurt a. M. 2010, Deutsche
Zustände. Folge 10. Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2011
[12] http://www.welt.de/politik/deutschland/article9409117/Jeder-fuenfte-Deutsche-wuerde-Sarrazin-Partei-waehlen.html
[13] Backes,
U./Jesse, E.: Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland, 3.
Auflage, Bonn 1993, S. 40ff
[14]
Ebd.
[15] Vgl. dazu die
Ausführungen von Wolfgang Wippermann in:
http://jungle-world.com/artikel/2009/10/32822.html
[16] Jaschke, H.-G.: Staatliche Institutionen
und Rechtsextremismus, in: Kowalsky, W./Schröder, W. (Hrsg.):
Rechtsextremismus. Einführung und Forschungsbilanz, Opladen 1997, S. 9-53, hier
S. 23
[17] Butterwegge, C.: Entwicklung,
gegenwärtiger Stand und Perspektiven der Rechtsextremismusforschung, in:
Ders.:/Griese, B./Krüger, C. u.a.: Rechtsextremisten in Parlamenten, Opladen
1997, S. 9-53, hier S. 34
[18] Jaschke, H.-G.: Staatliche Institutionen
und Rechtsextremismus, in: Kowalsky, W./Schröder, W. (Hrsg.):
Rechtsextremismus. Einführung und Forschungsbilanz, Opladen 1997, S. 9-53, hier
S. 25
[19] http://www.disskursiv.de/2015/08/25/diss-presseerklaerung-das-problem-heisst-rassismus/
[20] www.tagesspiegel.de/politik/newsblog-zu-fluechtlingen-csu-sauer-auf-die-kanzlerin-linke-geben-usa-schuld-an-krise/12282848.html
[21] Abendzeitung München, 8.10.2015
[22] http://www.mz-web.de/politik/-terror-von-paris-sote-soeder-zusammenhang-terror-fluechtlinge,20642162,32421910.html#plx927164031
[23] www.derwesten.de/politik/csu-will-merkel-bei-parteitag-wegen-fluechtlingen-unter-druck-setzen-id11304786.html
[24]
Ebd.
[25]
SZ,
17. Juli 2015, S. 37
[26]
http://www.sueddeutsche.de/bayern/zorneding-das-schwarze-loch-der-csu-1.2717296
[27] SZ 13.12.2014,
S. 4
[28] http://www.derwesten.de/politik/789-anschlaege-auf-fluechtlingsheime-seit-jahresbeginn-id11365088.html#plx296536233
[29] www.tagesspiegel.de/politik/newsblog-zu-fluechtlingen-csu-sauer-auf-die-kanzlerin-linke-geben-usa-schuld-an-krise/12282848.html
[30]
www.genios.de/presse-archiv/artikel/TAZ/20150903/-dachzeiletobias-schulze-ueber-die/T150903.5226261.html
[31] Appiah,
K.A.: Der Kosmopolit. Philosophie des Weltbürgertums, München 2009, S. 19
[32] Bade, K.J.: Europa in
Bewegung: Migration vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, München 2000 oder Bade, K.J.
(Hrsg.), Deutsche im Ausland – Fremde
in Deutschland: Migration in Geschichte und Gegenwart, München 1992
[33] Paul, Einführung in die interkulturelle
Philosophie, a.a.O., S. 19
[34] http://www.faz.net/aktuell/politik/europaeische-union/gastbeitrag-die-fluchtursachen-bekaempfen-nicht-die-fluechtlinge-13597358.html
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