Erschienen in Ausgabe: No 120 (02/2016) | Letzte Änderung: 11.02.16 |
von Hans Gärtner
Ein paar Unentwegte am Ende der Zweitaufführung der
Doppeloper „South Pole“ des Tschechen Miroslav Srnka in Parkett-Reihe 8 des
Münchner Nationaltheaters: „Da müssen wir nochmal!“ Und legen nochmal los mit
Bravos für die lachend sich die Hand reichenden zweimal fünf Solisten und zwei
Solistinnen, die GMD Kirill Petrenko, sowieso immer ein Lächeln auf den Lippen,
in ihre Mitte nehmen und händchenhaltend an die Rampe eilen. Wo bleibt der
Komponist? Wurde doch in der Pause gesichtet. Verdeckt verfolgt er die
positiven Publikums-Reaktionen auf sein von Hans Neuenfels höchst beeindruckend
inszeniertes Staatsopern-Auftragswerk. Denkt Srnka an die fünf Jahre, die er
daran arbeitete? Auch er, der 40-jährige, lächelt. Auf „arte“ war zu sehen, wie
er sichnach der Premiere fassungslos
die Hände ins Gesicht geklatscht hatte.
Man war für 2 Stunden in der Antarktis des Winters 1911/12.
In schattenlos-unwirtlicher Reinweiß-Gegend mit tiefschwarzem Südpol-Kreuz an
der Rückwand der grell-kahlen Bühne von Katrin Connan. Man fror mit den beiden
konkurrierenden Expeditionsteams um den Briten Robert F. Scott und den Norweger
Roald Amundsen, die Andrea Schmidt-Futterer in allzu schicke Kostüme steckte.
Man nahm frostig wabernde Eisluft-Winde aus dem sich heiß laufenden
Orchestergraben wahr, gefasst auf (allerdings ausgebliebene) glitzernde
Schneestürme und gleißende Blizzards. Man erlebte, auf einem melodie-armen
Klangteppich der Spektralmusik Grauenvolles: die Tötung von Ponys, die
Erschießung von Hunden im ewigen Eis. Suizide, Erfrierungen. Lebensängste.
Todkampf.
Zweimal eine volle Stunde hielten uns der begnadete
Minimalist Neuenfels und der Perfektionist Petrenko am Zittern und Bibbern.
Unerträglich das permanente Drohen des Scheiterns. Auch mit dem beflissenen
Lesen zweigeteilter deutscher Texte der englisch gesungenen Oper hatte man zu
tun. Und litt, zwischen Widerwärtigkeit und Sympathie schwankend, mit den vor
Ehrgeiz (Scott) und Hochmut (Amundsen) berstenden Polar-Eroberern und ihren
bedauernswerten Begleitern. Ihnen galt alle Empathie. Ihren Träumen,
Heimwehattacken, Streitigkeiten. Auch ihrem Fehlverhalten und Ungehorsam
geheimer Tagebuchkritzeleien. Eine aufreibende Männergeschichte mit trivialem
Anstrich, gestrickt von Tom Holloway, Miroslav Srnkas Freund. Im Hinterkopf
bohrte die Frage, die ein Begleitprojekt der Staatsoper stellte: „Wie also
klingt der Südpol?“ Statt Srnka antwortete Kollege Moritz Gagern mit seiner
12-minütigen „Klanginstallation des Unbewohnbaren“ unterm Portal des
Nationaltheaters. Der Südpol – kein stilles Stück Erde: „Die Energie des Eises
und des Windes“, der Polartiere, Menschenatem …
Der Atem stockte dem Zuschauer fürwahr, auch wenn er aus dem
Geschichtsunterricht wusste: Scott stirbt. Erfriert. Amundsen war fünf Wochen
früher als Scott am Ziel. Diesen gab der Belcanto-Narr Rolando Villazon,
sportiv, aber sicher, dabei ständig grimassierend. Amundsen lieh der grandiose,
noble Thomas Hampson Edelbariton und Hünenstatur. Seine perfekt gespielte
Arroganz nervte, seine Großzügigkeit (am Ende gratuliert er Scott-Villazon und
widmet ihm den Pol) nahm für ihn ein. Dank der beiden Frauengestalten – sie
wären allerdings besser als nebulose Traumfiguren und nicht real in Erscheinung
getreten – kamen Stimmglanz (Tara Erraught) und Stratosphärensang (Mojca
Erdmann) ins besonders nach der Pause ergreifende, packende Spiel. Entscheidend
mitgetragen wurde es vom Engagement der Forscher-Adlaten beiderseits: Dean
Power, Kevin Conners, Matthew Grills und Joshua Owen Mills sowie Tim Kuypers
(mit einer herzzerreißenden Sehnsuchts-Hymne an die Vögel), John Carpenter,
Christian Rieger und Sean Michael Plumb. Die Bayerische Staatsoper griff voll
in die Saiten ihrer Pracht-Jungmannen. Sie sorgte freilich auch für den nötigen
Medienrummel der Welturaufführung. Bei aller Skepsis hinsichtlich der
Zukunftsträchtigkeit der Srnka-Novität: So rasch wird es Petrenko & Co.
kein anderes Haus der Welt mit diesem Südpol-Klang-Drama gleichtun.
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