Erschienen in Ausgabe: No 121 (03/2016) | Letzte Änderung: 02.03.16 |
Mit der CDU-Vize-Chefin und Spitzenkandidatin von Rheinland-Pfalz, Julia Klöckner, sprach Stefan Groß vor dem EU-Gipfel in Brüssel über das Thema der Stunde, die Flüchtlingskrise, über die erstarkte AfD, über Religion und Heimat.
von Stefan Groß
SG:Frau Klöckner Sie fordern eine härtere
Integration und betonen: „Deutschland ist kein Selbstbedienungsladen“. Wie geht
es weiter mit der Flüchtlingspolitik? Sehen sie eine baldige Lösung?
JK: Die
Flüchtlingskrise wird nicht mit einem Schalter zu beenden sein. Wir haben langfristige
und kurzfristige Perspektiven zur Reduzierung. Deshalb müssen wir als Land
zweigleisig fahren. Denn wir können nicht nur warten, bis die EU einstimmig
entscheidet. Sicherlich wird der Gipfel in Brüssel am 18. und 19. Februar eine
Zäsur sein.
Wir
brauchen schnell wirksame Maßnahmen. Gleichzeitig dürfen wir nicht nachlassen,
für die Reduzierung der eigentlichen Fluchtursachen einzutreten. Das wird aber
länger dauern. Deshalb habe ich meinen A2 Plan vorgeschlagen, weil es jetzt um
eine Atempause für die Kommunen geht. Sie tragen die Hauptlast, auch für
Integration. Die kann nicht gelingen, wenn eine Überforderung eintritt. Deshalb
müssen wir Tageskontingente einführen, die Aufnahmerichtungen an die Grenze
verlegen, Menschen konsequent zurückschicken, die hier nicht bleiben dürfen und
ein Integrationspflichtgesetz einführen.
SG: Hat sich unser Land verändert? Befindet sich die Bundesrepublik in einer
schweren Krise? Brauchen wir eine neue Leitkultur?
JK: Unser Land, unsere
Gesellschaft hat sich schon immer verändert und das ist auch gut so, ja sogar
notwendig. Sonst wären Frauen, zum Beispiel, weit davon entfernt,
Landesvorsitzende oder Kanzlerin zu sein. Veränderung ist also per se nichts
Schlechtes, allerdings ist die Frage, wohin sich etwas verändert. Es gibt
Grundwerte, die wir nicht ändern wollen und die müssen wir kennen und deutlich
machen – uns selbst und den Menschen gegenüber, die jetzt zu uns kommen. Das
ist auch eine Chance der Selbstvergewisserung, also in was hinein wollen wir
die Menschen denn integrieren? Wir müssen uns klar werden, was uns wichtig ist.
Wir
haben lange für die Gleichberechtigung von Mann und Frau gekämpft. Darauf kann
es jetzt keinen kulturellen oder religiösen Rabatt geben. Bei uns stehen
Familienehre und die Scharia nicht über dem Grundgesetz, aus dem sich Rechte
ergeben, aber eben auch Pflichten.
Natürlich
verändert die Flüchtlingskrise unser Land, auch ins Positive. Wir sehen es bei
den Ehrenamtlichen, die an ihren Aufgaben wachsen, mir ihrer
Leistungsbereitschaft ein freundliches Gesicht Deutschlands zeigen. Die
Situation ist aber auch ein Stresstest für unsere Institutionen, für Verfahren
und Gesetze, die jetzt auf dem Prüfstand stehen. Vieles wird so pragmatischer
gestaltet.
Ob
wir uns in einer Krise befinden? Ich würde sagen, dass wir ein Rendezvous mit
der Globalisierung haben, so wie es auch Wolfgang Schäuble ausdrückt. Wir, auch
die EU, haben das Flüchtlingsproblem zu lange ignoriert. Bei den Schengen
Außengrenzen haben wir gesagt: Die andern regeln das schon. Aber das geht jetzt
so nicht mehr.
Eine
neue Leitkultur brauchen wir nach meiner Meinung nicht. Wir haben eine Kultur,
geprägt durch unsere aufgeklärte, freiheitlich, demokratische Werteordnung. Die
gilt es jetztauch zu artikulieren, auch
einzufordern und mit Nachdruck zu vermitteln. Das ist mir wichtig. KeinNebeneinander von wertneutralem multi-kulti, nicht
einfach nur die Addition von Vielfalt. Wir dürfen die Generationenaufgabe der
Integration nicht dem Zufall überlassen.
SG: Die Parteienlandschaft im Land verschiebt sich, sie wird radikaler. Die AFD
erstarkt. Was läuft falsch im Land?
JK:
Ich würde nicht von radikaler sprechen, ich nehme eher eine Polarisierung in
der Gesellschaft wahr. Erstmal denke ich, wir müssen damit aufhören, dass sich
die Skeptiker und die Euphoriker gegenseitig mit Polemik überziehen. Menschen
wollen Antworten, weil sie Ängste und auch Sorgen haben. Das ist auch nichts
Ungewöhnliches angesichts dieser beispiellosen Herausforderung. Falsch finde
ich, wenn Menschen pauschal diffamiert oder in die rechte Ecke gestellt werden
durch rot-grüne Moralkeulen. Wir wissen aus Weimar, dass Demokraten in der
Mitte zusammen stehen müssen und sich nicht taktisch auseinander dividieren
oder gar spalten lassen sollten. Und wir dürfen Populisten nicht ausweichen,
sondern wir müssen sie argumentativ entwaffnen. Deshalb ist es ein Fehler, dass
die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz bei der so genannten Elefantenrunde
abtaucht und sogar einen öffentlich-rechtlichen Sender unter Druck setzen wollte,
die AFD auszuladen. Die bekam so einen Märtyrer Status. Das halte ich für
fatal.
SG: Sie sind quasi die politische Enkelin von Helmut Kohl und bezeichnen ihn
als Weltbürger und Mann der Weltgeschichte.Helmut Kohl nannte sie einen Glücksfall für die Partei. Was haben sie
was andere nicht haben? Was zeichnet sie aus? Helmut Kohl ist ja nicht dafür
bekannt, Komplimente in den eigenen Reihen zu verteilen.
JK:
Was vielleicht die wenigsten wissen, oder sich daran erinnern können ist, dass
Helmut Kohl ein junger Wilder, ein Reformer in Rheinland-Pfalz war. Er hat
unsere Partei modernisiert, hatte das meistbeachtete Kabinett in Deutschland.
Unter ihm galt unser Land als Talent- und Ideenschmiede der Republik. Daran
wollen wir anknüpfen mit einem frischen Team, das ich aufgestellt habe.
Ich
glaube, es geht darum, eine Partei zusammen zu halten und dann programmatisch
aufzustellen. Dass wir heute eine moderne Programmpartei sind, mit dem
Erfahrungsschatz vieler, das ist die Tradition von Helmut Kohl.
SG: Ihre politische Karriere weist ja indirekt nach Berlin ins Kanzleramt.
JK: Dem
widerspreche ich. Meine politische Karriere weist, sofern die Wähler wollen, in
die Mainzer Staatskanzlei. Das ist mein Ziel. Ich war neun Jahre lang als
Abgeordnete und Staatssekretärin in Berlin. Ich habe mich bewusst für
Rheinland-Pfalz entschieden und deshalb weist mein Weg in meine Heimat
Rheinland Pfalz.
SG: Was macht die Führungsstärke von Bundeskanzlerin Angela Merkel aus? Wo
liegt das Geheimnis Ihres Erfolges gerade in Zeiten, wo eine Krise die andere
jagt.
JK: Angela Merkel zeigt
Standhaftigkeit und Rückgrat, und das ist in schwierigen Zeiten besonders
wichtig. Sie denkt vom Ende her und ist niemand, der reflexhaft reagiert und
ihre Meinung ständig ändert, so wie Herr Gabriel.
Natürlich
spürt Angela Merkel Dringlichkeit der Krise und die Sorgen vieler Menschen, die
damit verbunden sind. Sie arbeitet bis an die Leistungsgrenzen und darüber
hinaus daran, Europa zusammen zu halten, die Zahlen der Flüchtlinge zu
reduzieren und die Fluchtursachen zu beseitigen. Sie ist eine sehr souveräne
und in sich ruhende Führungsperson. Ich wüsste nicht, wen ich an ihrer Stelle
jetzt eher in der Position sehen möchte.
SG: Welche Rolle spielt der
katholische Glaube. Überhaupt das Religiöse in Ihrem Leben?
JK:Ich würde es gar nicht in katholisch oder
evangelisch sortieren. Der Glaube gibt mir Halt. So weiß ich auf der einen
Seite, dass man seine Talente nutzen soll und sagen: „mach das, was du kannst“.
Auf der anderen Seite kann man sich aber irgendwann auch aufgehoben fühlen und
loslassen. Das gibt schon ein Stück Gelassenheit. Und bei schwierigen
Entscheidungen orientiere ich mich erst recht am christlichen Menschenbild,
Stichwort Subsidiarität. Die christliche Soziallehre besagt, auf Freiheit zu
setzen, auf die Persönlichkeit des Einzelnen. Das heißt, dass der Mensch frei
sein muss, um sich entsprechend des Potentials zu entwickeln, das in ihm
steckt. Das heißt aber auch Eigenverantwortung, eben das Subsidiaritätsprinzip,
also nicht alles auf die nächsthöhere Ebene abzuschieben. Und es heißt
Solidarität, konkret Hilfe zur Selbsthilfe. Insofern leite ich daraus auch viel
für die Bildungspolitik ab. Keine Einheitsschulen beispielsweise, jedem seine
Bildung und nicht eine Bildung. Aber ich leite damit auch den Schutz des Lebens
ab. Jeder Mensch ist gleich viel Wert. Aus diesem Grund bin ich auch gegen
aktive Sterbehilfe.
SG:Sie sind ein Mensch, der tief in seiner
Heimat Rheinland-Pfalz verankert ist. Was bedeutet Heimat eigentlich für sie?
JK:Der
Begriff Heimat hat verschiedene Bedeutungen und Ebenen. Ich versteht erst
einmal etwas Lokales darunter, einen Ort. Ich bin groß geworden in Guldental,
das elterliche Weingut steht da, die feste Scholle. Heimat sind für mich
Gerüche, wie Heu oder die Hefe, die im Herbst über dem Dorf liegt, wenn die
Weinlese eingefahren wird und wenn der Most anfängt, zu gären.
Heimat
sind natürlich Menschen, ist Familie, sind die Liebsten, die man hat. Und wenn
ich mit Flüchtlingen rede, dann sagen sie, dass sie die Heimat in sich tragen,
als Erinnerung an ihre tatsächliche, zerbombte Heimat, wo sie nicht mehr leben
können. Heimat ist also auch ein Grundgefühl, wo man sich aufgehoben fühlt.
SG: Sie waren
Chefredakteurin des Sommeliermagazins. Was verbindet Politik mit einem guten
Wein? Jesus von Nazareth erzählt das Geheimnis vom neuen Wein in alten
Schläuchen, wie interpretieren Sie das?
JK:
Ich spreche lieber von neuem Wein in neuen Schläuchen: Denn gibt man den neuen
Wein in alte Schläuche, zerreißen sie. Eine neue Botschaft braucht auch neue
Mittler. Bei Jesus war es so, dass er das Vierfachgebot der Liebe gepredigt
hat, also auch die Feindesliebe. Und er hat gesagt, dass der Mensch nicht für
die Gesetze da sein muss, sondern die Gesetze für den Menschen. Und die alten
Schläuche, die alte Gesetzgebung, die alte Mannschaft, die wollte und konnte
die neue Botschaft von Jesu nicht weitertragen.
Deswegen
hat er von diesem neuen Wein für neue Schläuche gesprochen. Und das heißt
politisch für Rheinland-Pfalz auch: Wir brauchen den Wechsel, damit Neues
möglich wird. Und das geht nicht durch einen neuen Anstrich, sondern durch eine
neue Mannschaft und andere Inhalte. Wein und Politik haben gemeinsam, das es ab
zu und mal brodeln muss, so wie die Gärung beim Wein. Und natürlich kommt es
auf die Zutaten an und die Menschen dahinter.
SG: Am Deutschen
Stammzellgesetz von 2001 würden Sie aber nicht rütteln, oder?
JK:Es
zeigt sich ja inzwischen, dass wir Recht behalten haben. Bei der embryonalen
Stammzellforschung ist man nicht vorangekommen, aber bei der adulten, die
ethisch unbedenklich ist, schon. Und die Schiebung des Stichtages führte nicht
zu einer Verbesserung, sondern zu einer Doppelmoral. Denn wenn wir in
Deutschland keine Stammzellen gewinnen können und die in anderen Ländern
gewonnenen Stammzellen nutzen müssen, dann ist das ethisch nicht korrekt.
Deshalb sollten wir mehr in die adulte Stammzellforschung investieren.
Fragen:
Dr. Dr. Stefan Groß
Das Interview erschien im The European
Ralf Roletschek, CC BY 3.0
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