Erschienen in Ausgabe: No. 36 (2/2009) | Letzte Änderung: 30.03.09 |
von Constantin Graf von Hoensbroech
Seine Sorge darüber, dass viele Menschen möglicherweise
immer noch nicht recht begriffen haben, was die Kernfrage der gegenwärtigen
gesamtwirtschaftlichen Krisensituation eigentlich ausmacht und welch
fundamentale Frage sich daraus ergibt, war vor diesem Auditorium sicherlich
unbegründet. Doch als Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers
ohne Pathos bemerkte „Wir haben eine Systemkrise“, schien sich auch unter den über
300 Gästen beim Festakt aus Anlass des 60. Geburtstages des Bundes Katholischer
Unternehmer (BKU) eine auffallende Nachdenklichkeit bemerkbar zu machen. „Es
geht nicht nur um die Wirtschaft, sondern es geht um das Ganze, um den Verlust
elementarer Maßstäbe“, beschrieb der CDU-Politiker die aktuelle Situation und
fügte hinzu: „Das rein materialistische Denken muss verschwinden, um die
Grundlagen unserer Gesellschaft zu erhalten, und es muss verschwinden, wenn wir
das Erbe der Sozialen Marktwirtschaft erfolgreich in die Zukunft tragen
wollen.“
Denn das gerade die Soziale Marktwirtschaft einer dieser
elementaren Maßstäbe ist, um den ungebremsten Materialismus in Teilen der
Wirtschaft mit den global so offenkundigen dramatischen Auswirkungen zu
überwinden, daran ließ Rüttgers keinen Zweifel. Es mag vielleicht gerade hier
die Chance für die in den Augen des Politikers erfolgreichste Wirtschafts- und
Sozialordnung der deutschen Geschichte liegen, deren Spielregeln weltweit zur
Geltung zu bringen. Rüttgers jedenfalls sieht darin eine zentrale Aufgabe der
Gegenwart, die er als Politiker mitgestalten will. „Ich suche Verbündete, die
bereit sind, das Innere der Sozialen Marktwirtschaft zu vertreten und zu
zeigen, dass wirtschaftliche Vernunft und soziale Gerechtigkeit zusammengehören
und möglich sind.“
Den BKU kann Rüttgers, der sich immer deutlicher als der
sozialpolitische Vordenker unter den Christdemokraten profiliert, sicher an
seiner Seite wissen – und das nicht erst seit der Systemkrise. Unter dem
dankbaren und lang anhaltendem Beifall der Festgesellschaft hatte Rüttgers bei
der Feier im Katholisch-Sozialen Institut in Bad Honnef dem BKU attestiert,
großen Anteil an der Mitarbeit zur Verwirklichung des Traums vom Wohlstand für
alle zu haben. In 60 Jahren engagierten Einsatzes für die Grundsätze der
Sozialen Marktwirtschaft habe der BKU vorgelebt, dass es eben nicht nur auf
Profit ankomme. „Es kommt darauf an, Verantwortung zu übernehmen, für das
Unternehmen, für die Mitarbeiter, für die Heimat und für die Schöpfung.“
Gedanken, die der BKU-Ehrenvorsitzende Cornelius Fetsch in seinen Schlussworten
bestätigte: „Zu der Verantwortung über den eigenen Betrieb hinaus gehören auch
die Fragen nach Sinn und Werten und eben auch der religiöse Horizont.“
Gegenwärtig fühlen sich rund 1250 Unternehmer, Selbständige
und leitende Angestellte in bundesweit 36 Diözesangruppen diesem
Selbstverständnis verpflichtet. Seit seinem Bestehen im Jahr 1949 hat sich der
Verband stets mit innovativen Konzepten und dezidierten Überlegungen in die
aktuelle Wirtschafts- und Sozialpolitik eingebracht. Erinnert sei an dieser
Stelle nur an die dynamische Rente, die Wilfried Schreiber 1954 im Auftrage des
BKU entwickelte oder auch an die federführende Mitwirkung am viel beachteten
Sozialwort „Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit“, das die
Evangelische und Katholische Kirche 1997 vorlegten. Aktuelle Beispiele aus der
jüngsten Vergangenheit waren Modelle zur Unternehmenssteuerreform, zur
Mikrofinanz in der Entwicklungspolitik oder zur Bildungsfinanzierung.
Gegenwärtig wird ein Papier zur Fortentwicklung der Sozialen Marktwirtschaft in
Zeiten der Globalisierung erarbeitet. Stets ging und geht es dabei darum, aus
Sicht der Katholischen Soziallehre, grundgelegt in den Enzykliken „Rerum novarum“
und „Quadragesimo anno“, die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung
mitzugestalten. Die Botschaft des Sozialen Friedens sei, wie Wilfried Schreiber
einmal betonte, die Kernbotschaft der Sozialen Marktwirtschaft.
Dennoch: Trotz eines so prominenten Bekenntnisses wie das
des Vorstandsvorsitzenden der RAG-Stiftung, Wilhelm Bonse-Geuking, der in Bad
Honnef die Soziale Marktwirtschaft als unverzichtbar für den Zusammenhalt
unserer Gesellschaft lobte und sich daher die Frage nach ihrer Aktualität so
gar nicht stelle, warfen auch die vielen nachdenklichen Stimmen und Gedanken
beim Festakt doch auch die Frage auf, in wie weit dieses Bewusstsein denn
tatsächlich vorausgesetzt und als allgemein anerkannt gewertet werden könne. So
stellte Marie-Luise Dött, BKU-Bundesvorsitzende, fest: „Gerade heute müssen wir
daran erinnern, auf welchen Säulen unsere Soziale Marktwirtschaft steht. Es ist
sicher nicht nur die CDU-Bundestagsabgeordnete, die mit Besorgnis beobachtet,
dass die ordnungspolitischen Aussagen der Sozialen Marktwirtschaft zunehmend
verdrängt werden. Übrigens auch mit Bezug auf ihre wirtschaftswissenschaftliche
Fortführung. Gegenwärtig ist an einigen Hochschulstandorten wie etwa in Köln,
wo die Soziale Marktwirtschaft seit Jahrzehnten so etwas wie ihre wissenschaftliche
Heimstatt besaß, die Zurücknahme der bewährten ordnungspolitischen Lehre
zugunsten anders gelagerter volkswirtschaftlicher Lehrsysteme zu beobachten.
Ob der fachliche Rat eines so vitalen Verbands wie des BKU
solche Entwicklungen entscheidend zu beeinflussen vermag, muss sich freilich
noch erweisen. Dass der Verband immer häufiger in Politik und Kirche
nachgefragt wird, ist jedoch wohl unbestritten. Prälat Karl Jüsten, der Leiter
des Katholischen Büros in Berlin, schilderte aus seinem tagtäglichen Umgang mit
der Politik, dass trotz des gesellschaftlich immer wieder gefühlten
Relevanzverluste der Kirchen, diese im politischen Meinungsbildungsprozess von
erheblicher Bedeutung sind. „Entscheidend ist es, die Positionen etwa in
sozialen und moralischen Fragen so vorzutragen, dass sie Eingang in die Politik
und den Gesetzgebungsprozess finden.“ Dass die Kirchen dabei selbst auf
Expertenwissen angewiesen sind, machte der Geistliche am Beispiel der
gegenwärtigen Krisenszenarien deutlich: „Statt vordergründiger
Betroffenheitslyrik geht es um die Erinnerung an die Grundlagen der
christlichen Soziallehre und Sozialen Marktwirtschaft.“ Der BKU als die wohl
einzig anerkannte Stimme der Wirtschaft in der Kirche habe hier eine besondere
Verantwortung, die Kirche bei ihrem advokatorischen Eintreten für eine
gesellschaftliche und soziale Wertorientierung, die dem Wohl aller diene, zu
unterstützen.
Auch Ministerpräsident Rüttgers hatte in diesem Sinne eine
stärkere Orientierung der Gesellschaft an christlichen Grundwerten
eingefordert: „Wir müssen aufpassen, dass die Krise der Wirtschaft nicht zu
einer Krise der Gesellschaft wird und die Einheit der Gesellschaft gefährdet.“
Orientierung an christlichen Grundwerten bedeute für ihn, Verantwortung zu
übernehmen und sich für andere einzusetzen. Der BKU als Verband und seine
einzelnen Mitglieder lebten das vor, und es klang wohl den anwesenden
Mitgliedern wie eine Bestärkung in ihrem persönlichen Selbstverständnis und
unternehmerischen Tun als Rüttgers betonte: „Wenn es den BKU nicht schon gäbe,
müsste man ihn gründen.“
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BHeinemann 07.03.2012 10:50
Es ist immer gut auch einmal eine andere Stimme zu hören. Positiver Weise findet man das aber auch an Stellen, wo man es eigentlich nicht erwartet. Im Sanierungsbereich! Auch wird wird sich offensichtlich mit dem Spagat EBIT vs. Ethos auseinandergesetzt. Ich empfehle einen Blick in den wirklich interessanten Wirtschaftsblock der Seneca Vision: http://seneca-vision.de/klaus-peters/blog-klaus-peters-seneca-vision/item/2-werteorientierung-vs-ebit-orientierung-%E2%80%93-ein-widerspruch?.html