Erschienen in Ausgabe: No 122 (04/2016) | Letzte Änderung: 01.04.16 |
von Hans Gärtner
Mal weg von zuhause. Das bringt´s. Verreisen kann jeder.
Aber abhauen? Das können Maik und der Junge, der sich Tschick nennt,
fördergeschulter Spätaussiedler-Boy, Eltern Deutsch-Russen. Zwei Gymnasiasten
zusammen in die großen Ferien. Weg von Berlin– in die Walachei. Wo immer die liegen mag. Irgendwo, wo nicht daheim
ist. Aber wie hinkommen? In einem geklauten Lada. In Berlin und für Tschick
kein Problem.
2013 freiwillig aus dem Lieben geschiedene Hamburger Autor
Wolfgang Herrndorf (geboren 1965) ging jedenfalls davon aus, dass es für seinen
Roman (2010 bei Rowohlt erschienen, „Spiegel“-Bestseller, 2011 mit dem
Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet) gut ist, zwei 14-Jährige in einem
gestohlenen Lada ein Stück Welt er-fahren zu lassen. Fahren, fahren, fahren.
Ein Kumpel-Abenteuer. Wie stellt man das auf die Bühne? Wie machten das
Regisseur Philipp Moschitz und Dramaturgin Katharina Nay, die das Stück nach
der Fassung von Robert Koall ins Studio der Münchner Theaterakademie August
Everding (Prinzregententheater) brachten?
Ganz einfach. Sie setzten die zwei Jungs auf ein fahrbares
Klavier. Draufhocken und – ab! So tun als ob man führe. Es sausen und flitzen
lassen. Stoppen. Gegen die Windschutzscheibe rennen. Die Bremsen quietschen
lassen. Ein Bein brechen. Nicht echt. Sondern ebendies und noch so vieles, was
ein mitreißendes Jugend-„Roadmovie“ ausmacht, darstellen, spielen lassen. Von
zwei umwerfenden jungen Schauspielern, denen man es– der eine 26, der andere 22 – sofort
abnimmt, erst (oder nochmal?) 14 zu sein. So „Teenie“-mäßig geben sich Daniel
Holzberg als Maik und Klaus Steinbacher als Tschick. Auch so unterschiedlich im
Denken und Handeln. Klaus Steinbacher – er bringt in der Tat ein bisschen
„Asi“-Look von Natur aus mit – gelingt es, sein ihm von Herrndorf
„angedichtetes“ Alkohol-Problem latent zu zeigen. Das ist ebenso großartig wie
Holzbergs Schwadronier-Kunst, seine Traurigkeitsanfälle und sein Auftauen beim
Anblick weiblicher Reize.
Das Tolle: Sie halten, der eine als bebrillter Streber-Softie,
der andere als (du liebe Güte: wirklich nicht an Mädchen interessierter?)
nonchalanter Riski-Burschi, anderthalb Stunden die Zuschauer am
Mund-nimmer-zukriegen. Geht`s noch? He? So phantastisch turnen und tollen und
treiben es die beiden auf ihrem verbotenen Lada-Trip, dass es eine wahre Freud
ist, jeweils auf den nächsten Regie-Gag – immer einen Gang höher geschaltet –
zu warten. Davon gibt es zu genüge. Sie überstürzen sich geradezu. Keiner ist
abgegriffen. Alle wirken wie frisch aus dem Eiskasten.
Das Duo komplettiert sich zum Trio – könnte „Tschick-eria“
heißen (und würde so der „Schick-eria“eins auswischen, vermutlich ganz im Sinne Herrndorfs) – durch Sveta
Belesova, welche die den Jungs auf einer Müllhalde über den Weg gelaufene Isa
spielt. Wie Holzberg und Steinbacher gehört Belesova Jochen Schölchs
Studiengang Schauspiel im 3. Jahrgang an. Die 28-Jährige übertrifft ihremännlichen jungen Kommilitonen in manchen
Passagen noch an darstellerischer Verve, ob als pfiffig-dreiste Göre mit Verführungsqualitäten,
ob als verwirrter Tattergreis mit Glatze und Sabber-Kieke. Die drei baden im
See? Ach wo. Sie spritzen sich ausgelassen mit Wasserpistolen voll. Den
ozeanblauen See kriegt der Zuschauer per Video geliefert. Er hört es glucksen
und plätschern. Alles perfekt simuliert. Wie Klavier ist gleich Lada. Pittoresk
alles und voller Poesie. – Kein Wunder: „Tschick“ ist grad eben die gefragteste
Theaterakademie-Produktion. Ständig ausverkauft. Was vom guten Theatergeschmack
der Münchner zeugt. Zusätzliche Vorstellungen werden in den Spielplan
eingebaut. Tipp auch für Schulklassen: Für die eine der April-Vorstellungen
(26., 27., 28. – jeweils um 9 und 13 Uhr) schon mal gleich buchen:
089 - 2185 1917 oder 089 – 54 81 81 81.
>> Kommentar zu diesem Artikel schreiben. <<
Um diesen Artikel zu kommentieren, melden Sie sich bitte hier an.