Erschienen in Ausgabe: No 122 (04/2016) | Letzte Änderung: 01.04.16 |
von Patrick Zimmerschied
Foto: Statis Kokki
Foto: Statis Kokki
Seit sich vor ungefähr zwei Wochen durch heftige Regenfälle
ein Großteil der inoffiziellen und einiger offizieller Flüchtlings-Camps im
Norden Griechenlands in Sumpflandschaften verwandelt hatten, bin ich dort mit
meiner griechischen Lebensgefährtin als freiwilliger Helfer tätig.
Wir versorgen zusammen mit anderen engagierten Menschen das Masaraki-Lager in
Cherso, das durch das griechische Militär geleitet wird, mit gespendeter
Kleidung, Snacks und mit Medikamenten.
Dieser sogenannte “Hotspot” liegt zirka 30 Kilometer von dem inoffiziellen
berüchtigten Camp Idomeni an der Grenze zu Mazedonien entfernt.
In dem Hotspot befindet sich eine Unmenge an Säuglingen und kleinen Kindern in
verzweifelter Lage. Es mangelt vor allem an adäquatem Schuhwerk und sanitären
Einrichtungen für die dort Untergebrachten. Die Zelte befinden sich in einer
permanenten Ausräucherung, da die einzige Wärmequelle, die zur Verfügung steht,
Lagerfeuer mit feuchtem Holz sind.
Trotz der herrschenden Zustände, zeigen die Flüchtlinge ein erstaunliches Maß
an Optimismus, Dankbarkeit und Verständnis für die Grenzen dessen, was wir für
sie tun können.
Der jetzt ausgehandelte Deal mit der Türkei erwähnt nirgendwo was mit diesen
bereits in Griechenland gestrandete Flüchtlinge, die an der von Mazedonien
geschlossenen Grenze aufgelaufen sind, passieren soll, obwohl es ein Problem
von enormer Dringlichkeit ist.
Flüchtlinge, die jetzt nach Griechenland kommen, sollen jedenfalls in die
Türkei deportiert werden. Es entzieht sich meinem Verständnis wie eine solche
gigantische Masse an Individuen, wahrscheinlich zehntausende, die sich dagegen
sträuben in ein Land wie die Türkei abgeschoben zu werden, in menschenwürdiger
Weise dorthin transportiert werden soll.
Und vor allem, inwiefern dies eine Verbesserung der gegenwärtigen Lage
darstellt.
Wenn ich meine Erfahrungen in dem griechischen Camp betrachte, kann ich mir
ausmalen wie die Menschen in türkischen Auffanglagern dahinvegetieren werden.
Die Türkei ist nicht gerade das, was man sich unter einem sicheren Hafen für
Flüchtlinge vorstellt.
Was denken sich die verantwortlichen Politiker? Man gibt der Türkei eine
Unmenge Geld um die Sorgenkinder erst mal loszuwerden und sie dann nur noch
tröpfchenweise nach Europa durchzulassen und das Problem ist gelöst?
Wohl kaum. Zum einen ist Griechenland zu dem Unterfangen der Rückführung in die
Türkei vorerst überhaupt nicht in der Lage. Zum anderen sind die meisten Länder
aller Wahrscheinlichkeit nach nicht gewillt Flüchtlinge aufzunehmen, wenn sie
schließlich aus der Türkei nach Europa entlassen werden.
Wenn die EU im Prinzip nur dafür gut ist Vorschriften über den Gebrauch von
Glühbirnen zu machen, aber nicht fähig ist, jetzt wo es zählt, Integrität und
strategisches Geschick für die Lösung einer humanitären Katastrophe zu zeigen,
dann läuft etwas gewaltig schief.
Warum wurden nicht frühzeitig Stationen in Nordafrika und im Nahen Osten
eingerichtet um einen geordneten Ablauf der Flüchtlingsströme zu gewähren?
Warum gab es keinen umfassenden Ansatz von Seiten der Europäischen Union die
Flüchtlinge zu registrieren und sicher nach Europa zu bringen, anstatt
zuzusehen wie sie ertrinken?
Kanada hat über 25 000 syrische Flüchtlinge mit Flugzeugen ins Land gebracht.
In Europa scheint es hingegen fast so als ob man die Augen vor der Realität
verschlossen hätte bis es zu spät war um noch Haltung zu bewahren.
Andererseits kann ich die “besorgten Bürger” und all die Nationalisten durchaus
verstehen, die sich am liebsten der andrängenden Scharen entledigen würden.
Wie heisst es so schön: “Ich bin ein Mensch, nichts Menschliches ist mir fremd.”
Doch die Anhänger von AfD und Co. müssen sich auch darüber im Klaren sein, dass
es hierbei um Notleidende geht. Es sind keine Angreifer, sondern Verzweifelte
auf der Suche nach einem besseren Leben.
Als Konservative sollten sie eigentlich eine Vorstellung von dem besitzen, was
der Anstand gebietet.
Natürlich können wir es uns allerdings nicht leisten abendländische Werte von
radikalen Ideen untergraben zu lassen. Weder von denen fremder Kulturen, noch
von denen die aus unseren eigenen Reihen kommen.
Gegen Verbrecher muss mit der ganzen Strenge des Gesetzes vorgegangen werden
und es muss klar gemacht werden, dass es keine Toleranz gegenüber religiös
motivierter Gewalt geben kann.
Der Islam ist aber nicht an sich gewalttätig. Und das multikulturelle
Zusammenleben ist nicht zwangsläufig problematisch. In dem Emirat von Cordoba
lebten im Mittelalter Muslime, Christen und Juden für Jahrhunderte friedlich
nebeneinander und schufen eine der herausragendsten Zivilisationen in der
Geschichte der Menschheit. Die intellektuellen und kulturellen Errungenschaften
dieser Periode sind vergleichbar mit denen der Renaissance.
Das soll nicht heißen, dass es keine Schwierigkeiten in einem vielfältigeren
Europa geben würde. Natürlich wäre es nicht einfach.
Doch wenn ich die Angst der Bevölkerung vor Überfremdung und kriminellen
Ausländern gegen das Leid von Kindern denen Gliedmaßen fehlen und die keine
Mütter oder Väter mehr haben abwäge, fällt mir das Urteil leicht.
Die Abschottung europäischer Länder gegen die Hilfesuchenden an den Grenzen
weckt Assoziationen zu dystopischen Filmwelten: Die privilegierte Oberschicht
unter ihrer schützenden Kuppel und die Ghetto-Bewohner draußen vor den Toren
lungernd. Im Kino wissen wir ganz genau wer die Bösen und wer die Guten sind.
Die Realität ist nicht so simpel, aber vielleicht sollten wir alle auch hier
etwas mehr unserem moralischen Kompass vertrauen.
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PatrickZimmerschied 23.03.2016 20:20
https://en.wikiquote.org/wiki/Al-Andalus
AFKovacs 23.03.2016 12:51
Bitte informieren Sie sich. Auch das Emirat von Cordoba ist KEIN Beispiel für gutes Zusammenleben: Juden und Christen waren Menschen zweiter Klasse wie in jeder muslimischen Gesellschaft, die angeblichen Errungenschaften dieses aggressiv in ein christliches Land vorgetriebenen Staates sind niemals mit denen der Renaissance zu vergleichen - nennen Sie bitte einige Baumeister, Künstler und Philosophen (nicht Averroes, dessen Werk nur knapp der Verbrennung entkam).